Emilia Smechowski: "Rückkehr nach Polen"

Die Last der Freiheit wiegt schwer

05:43 Minuten
Das Cover von Emilia Smechowskis "Rückkehr nach Polen" auf einer orangenen Fläche
Die Berliner Journalistin Emilia Smechowski ist für ein Jahr in die Heimat ihrer Kindheit zurückgekehrt und schreibt darüber in "Rückkehr nach Polen". © Hanser Verlag/ Montage: Deutschlandradio
Von Simone Schmollack · 27.07.2019
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Die polnische Gesellschaft ist zerrissen. Was ist nur in den letzten Jahrzehnten passiert? Die Berliner Journalistin Emilia Smechowski hat in der Heimat ihrer Kindheit recherchiert. Sie findet Ursachen der Spaltung. Ihre Bilanz ist ernüchternd.
"Rückkehr nach Polen" nennt die Berliner Journalistin Emilia Smechowski ihr zweites Buch. Und ja, man kann durchaus Parallelen zu Didier Eribons "Rückkehr nach Reims" finden. Wie der französische Autor und Philosoph in Frankreich untersucht Smechowski die politischen und sozialen Verhältnisse in Polen, des Landes, das sie vor gut 30 Jahren mit ihren Eltern als Fünfjährige verließ. Sie will die Widersprüche der Gesellschaft verstehen, die Zerrissenheit des Landes, das sich - salopp formuliert - in Rechts und Links einteilen lässt, in Oben und Unten, in Gewinner und Abgehängte. Und es ist eine ganz private Suche nach der eigenen polnischen Identität, die die 36-Jährige heute vermisst.

Warum ist das Land so zerrissen?

Von März 2018 an lebte Smechowski mit ihrer Tochter gut ein Jahr lang in Danzig und versuchte, dort ein ganz normales polnisches Leben zu führen: Die Tochter geht in die Kita, zum Ballettunterricht, zu Kindergeburtstagen. Emilia Smechowski arbeitet, besitzt einen Bibliotheksausweis, kauft ein, findet Freundinnen. Sie trifft Menschen, die ihr den Riss, der durch die polnische Gesellschaft, geht, erklären sollen.
Frauen, Männer, Prominente, Unbekannte, Junge, Alte. Die Worte dafür finden, was mit dem Land, von dem mal eine enorme politische Kraft für Europa ausging, seit 30 Jahren passiert ist. Jemand erzählte ihr, diesen Riss könne man nur verstehen, wenn man Lech Walesa kennt. Also bittet sie den ersten polnischen Staatspräsidenten nach dem Mauerfall um ein Interview.
Aber Walesa, der in den 1980er-Jahren als Chef der Gewerkschaft Solidarnosc und den von ihm mitorganisierten Streiks auf der Danziger Werft weltberühmt geworden ist, hat keine rechte Lust darauf. Auf Fragen reagiert er genervt, er doziert lieber über die Vergangenheit und sagt Sätze wie "Ich denke erst mal gar nichts. Ich bin nicht zum Denken hier." Nur beim Stichwort "Freiheit" wird er gesprächiger: "Das Gewicht der Freiheit wiegt schwer. Wir haben keine gemeinsamen Werte mehr. Auch Verantwortung übernimmt überhaupt niemand."

Die tiefe Sehnsucht nach einem maskulinen Helden

Anders erlebt es Smechowski bei Jacek Jáskowiak. Er übernimmt Verantwortung: als Bürgermeister von Posen. Wie viele Bürgermeister polnischer Städte gehört er der linksliberalen Opposition an. Jáskowiak versteht die Massen auf besondere Weise zu begeistern: mit Boxen. Jáskowiak ist in ganz Polen berühmt, weil ihm ein Profiboxer, mit dem er öffentlichkeitswirksam in den Ring gestiegen war, eine Rippe gebrochen hat. Jáskowiak gibt sich modern und liberal, symbolisiert aber gleichzeitig eine tiefe Sehnsucht nach einem maskulinen Helden.
Überhaupt ist die Politik Polens männlich geprägt. Das schlägt sich unter anderem im gelebten Geschlechterbild nieder: Der Mann fühlt sich als der Ernährer der Familie, Frauen kümmern sich um Kinder, Küche, Haushalt. Smechowski lernt Frauen kennen, die sich als Feministinnen bezeichnen und ausführlich ihre aktuellen Diäten debattieren. Den Gegensatz dazu bilden die unzähligen Frauen (und Männer), die gegen eines der strengsten Abtreibungsverbote Europas auf die Straße gehen.
Am Ende von Smechowskis Aufenthalt wird der Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz ermordet. Er stand für ein geeintes, weltoffenes Europa, für Polen als Land, in dem Flüchtlinge willkommen, Frauen nicht Menschen zweiter Klasse und Homosexuelle keine Kranken sind. Der Täter war ein Pole, ein verurteilter Bankräuber, der glaubt, zu Unrecht im Gefängnis gesessen zu haben. Für seine Haft macht er die Bürgerplattform verantwortlich, die heute Oppositionspartei ist, aber einst regierte, und der auch Adamowicz einmal angehörte.

Inzwischen hat jeder eine eigene Wahrheit

Der Mord trieb Polen aus allen politischen Lagern um. Aber er einte das Land nicht. Im Gegenteil, sagt Smechowski, beide Seiten benutzen die Tat jeweils für ihre Agenda. Adamowicz´ Anhänger meinen, die Rechten hätten jetzt "Blut an den Händen", und bezeichnen die national-konservative und EU-kritische Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) von Jaroslaw Kaczyński als "Mörder". Die PiS wiederum bezeichnet die Opposition als "Kanaillen" und "Verräterfressen". Der Ton ist verroht, die einen Polen hassen die anderen und umgekehrt.
Jeder hat seine eigene Wahrheit, seine eigenen Medien, seine eigene Seite, in der er sich einrichtet. So hat es Smechowski erlebt. Sie sagt: Der Riss ist nicht zu kitten. Aber für die Autorin persönlich endet das Jahr überraschend positiv: Sie hat ihre polnische Identität (wieder) gefunden – ausgerechnet beim Trauermarsch für Adamowicz. Die Zivilgesellschaft, ihr Drang nach Freiheit und Gerechtigkeit, lebt noch. Das spürt Smechowski. Damit hatte sie nicht gerechnet.

Emilia Smechowski: "Rückkehr nach Polen. Expeditionen in mein Heimatland"
Hanser, Berlin 2019
256 Seiten, 22 Euro

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