Elisabeth Plessen: "Die Unerwünschte"

Adeliger Abstieg

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Vierzig Jahre nach ihrem Skandalbuch "Mitteilung an den Adel" erzählt Elisabeth Plessen in ihrem Spätwerk die Geschichte einer norddeutschen Adelsfamilie.
40 Jahre nach ihrem Skandalbuch "Mitteilung an den Adel" erzählt Elisabeth Plessen in ihrem Spätwerk die Geschichte einer norddeutschen Adelsfamilie. © imago images / United Archives / Berlin Verlag
Von Edelgard Abenstein · 17.06.2019
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"Mitteilung an den Adel" war ein Bestseller und zeigte eine in Traditionen erstarrte Familie. Beinahe vier Jahrzehnte später knüpft Elisabeth Plessen mit "Die Unerwünschte" an ihren Erfolgsroman an und schildert eine Welt voller Schrullen und Verluste.
Es war schwierig, einen Verleger für das Manuskript zu finden. Der Suhrkamp-Verlag schickte es der jungen Autorin mit der seltsamen Bemerkung zurück: "An so einen Stoff" könne man vielleicht "mit 80" herangehen. Das war 1976.
Der Roman erschien dann doch, in einem anderen Verlag. Er hieß "Mitteilung an den Adel", handelte von einer in Traditionen erstarrten Familie, vom radikalen Abschied aus einer gestrigen Welt - und wurde zum Bestseller einer ganzen Generation, zum Buch der Epoche. Damals war die Autorin, Elisabeth Plessen, die ihren Adelstitel längst abgelegt hatte, 32 Jahre alt.

Aus Familie wegen "Nestbeschmutzung" verstoßen

Sieben Romane und rund 40 Jahre später knüpft sie mit "Die Unerwünschte" inhaltlich jetzt an ihren ersten Erfolg an. Nochmals blickt Plessen zurück, sie besichtigt ihre weitverzweigte noble Familie, aus der sie wegen "Nestbeschmutzung" verstoßen wurde.
Anders als damals sieht sie sich selbst als Teil dieser Familie, eingebunden in die Abfolge von drei Generationen, in der es nur so wimmelt von tragischen Verlusten, vom Versuch der Selbstbehauptung, von Scheitern und Abstieg.
Erzählt wird aus der Perspektive von Charlotte, einer Mittsiebzigerin. Die sitzt irgendwo in der Toscana am Meer mit ihrer Großnichte Alma und deren italienischem Liebhaber. Von dem jungen Paar, das auf jeden Standesdünkel pfeift, lässt sie sich befragen: Nach der schrulligen Großmutter Stefanie, die, bevor sie seltsam wurde, Schloss und Ländereien anstelle ihres versagenden Mannes durch ökonomische Krisen steuerte.
Nach dem Bruder, der die Schwestern enterbte, dem Vetter, der in Frauenkleidern mit einer Überdosis Veronal in New York tot aufgefunden wurde. Und nach dem Onkel, den die Gutserbin aus Standesgründen heiraten musste, obwohl er katholisch war und ein Weizenkorn nicht von einem Roggenkorn unterscheiden konnte.

Ein Beitrag zur Feminismusdebatte

Angestiftet durch den unbeschwert jungen Blick ihrer Zuhörer umkreist die Erzählerin die Vergangenheit, legt sie aus, spekuliert, füllt Lücken. Den in der Erinnerung oft diffusen Figuren verleiht sie Kontur, sie zeigt sie nie schwarz-weiß, als Abziehbilder, sondern stets zwiespältig: ängstlich, verlogen, sehnsuchtsvoll, eiskalt, hinterhältig, liebend und hasserfüllt zugleich.
So formt sich ein Panorama, das viele starke Charaktere hervorbringt. Männer, die trotz des Hefts in der Hand zu schwach sind für das Glück; Frauen, denen nur ein Sohn und die Etikette etwas gilt, um dann doch dem Kind, das die Tochter mit einem Marokkaner bekommt, eine fabelhafte Großmutter zu sein.

Als traute die Autorin ihrem Spiegelbild nicht

Nur die Erzählerin selbst bleibt sonderbar blutleer, als traute die Autorin ihrem Spiegelbild nicht, sodass die Passagen, in denen diese sich selbst befragt, nach ihren Motiven, Gefühlen, der großen, alles prägenden Liebesgeschichte, zu den schwächsten des Romans zählen.
Wie schon in der "Mitteilung an den Adel" betreibt Elisabeth Plessen in ihrem jüngsten Buch keine Jagd auf Schuldige. Und wie ihr Debüt, so ist auch "Die Unerwünschte" mehr als ein Adelspotpourri.
Neben dem farbigen Blick zurück liest sich das Buch ganz nebenbei auch als ein Beitrag zur Feminismusdebatte – wenn man an deren Wiege nicht nur Suffragetten stehen sieht, sondern Frauen, die tatkräftig, standfest, auch im Scheitern stark sind.

Elisabeth Plessen: "Die Unerwünschte"
Berlin Verlag, Berlin 2019
384 Seiten, 22 Euro

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