Elisabeth Filhol: "Doggerland"

Sturm über der Nordsee und in der Seele

06:20 Minuten
Zu sehen ist das Cover des Buches "Doggerland" von Elisabeth Filhol.
Ein Blick in die Wissenschaftscommunity: Der Roman "Doggerland" von Elisabeth Filhol ist hoch aktuell. © Edition Nautilus / Deutschlandradio
Von Hans von Trotha · 09.09.2020
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Ihren Klima-Roman "Doggerland" hat Elisabeth Filhol auf der Nordsee angesiedelt. Die Protagonisten sind fossilen und alternativen Energien sowie einem verlorenen Paradies auf der Spur. Dann zieht ein schwerer Orkan auf.
"Rekonstruktion durch Fiktion" nannte Elisabeth Filhol ihre Methode, nach der sie sich in ihrem gefeierten Debüt von 2011, "Der Reaktor", in die Sperrzonen eines Atomkraftwerkes vorarbeitete. Das Ergebnis war in seiner eiskalten Reduktion überraschend wuchtig.
Die Autorin ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Buchprüferin. Das erklärt ihren ausgeprägten Blick für Details in Verbindung mit dem Interesse, diese in große Zusammenhänge einzubinden.

Stürmische Gegenwart

In "Doggerland" kommt die Autorin den fossilen und alternativen Energiequellen, also Öl, Gas, Wind, kurz: der Nordsee auf die Spur. Oder, um die Bewegung des Romans aufzunehmen, sie lässt sich von einem Sturm auf diese Spur wehen, dem Orkan Xaver von 2013.
Der treibt die agierenden Personen vor sich her: Ted, der als Meteorologe vor Xaver warnt; Stephen, der für die Nachhaltigkeit bei Offshore-Windparks sorgt; Marc, der richtig Karriere gemacht hat und nach all der Ausbeutung fossiler Energiequellen in aller Welt von einem internationalen Nordsee-Monitoring träumt; und Margaret, die bei all der stürmischen Gegenwart fast schon in einem Akt innerer Emigration ihr ganzes Forscherleben als Geologin der Rekonstruktion einer vor 8000 Jahren in der Nordsee untergegangen bewohnten Insel widmet, ein Nordsee-Atlantis, "ein verlorenes Paradies": Doggerland.

Auge des Orkans

"Doggerland" ist metaphorisch, geografisch und ozeanologisch die Mitte des Romans, so etwas wie das Auge des Orkans. Dramaturgisch ist dies eine Konferenz im dänischen Esbjerg, aber letztlich ist es Margarets Leben: Ted ist ihr Bruder, Stephen und Marc waren einst Kommilitonen, jetzt ist ersterer ihr Mann, letzteren hat sie seit Jahrzehnten nicht gesehen. Nun lassen sie sich vom Sturm nach Esbjerg treiben.
Xaver klingt ab. Aber die von ihm freigesetzten Energien stürmen als innere Orkane weiter, lang stillgelegte, wieder aufgewühlte Gefühlswelten. "Eine innere Kraft treibt ihn an", heißt es etwa von Marc, "deshalb sieht er der in wenigen Stunden zu erwartenden Entfesselung der Naturgewalten mit Gelassenheit entgegen."
Wenn er sich da mal nicht täuscht. An einer anderen Stelle heißt es: "Die Natur hat ihre eigenen Gesetze. Man weiß nicht, wann der Worst Case eintritt, wichtig ist jedoch, dass man sich darauf vorbereitet."

Aktualität des Romans ist offensichtlich

Die Aktualität des Romans ist offensichtlich. Ebenso offensichtlich ist allerdings die Konstruktion, zu der viele referierende Erklärungen gehören, die dann ins Symbolische übersetzt werden, all dies im geschlossenen Raum einer wissenschaftlich-ökonomischen Community.
Das erinnert deutlich an den ersten Roman, einschließlich der Aktualität. "Der Reaktor" erschien kurz vor der Havarie von Fukushima, "Doggerland erscheint" jetzt.
Doch der ausgreifende Sturm über die Nordsee*) und in die Seelen der Beteiligten erzeugt trotz vieler gelungener Beobachtungen, Ideen und Details über die Strecke nicht dieselbe überwältigende Energie wie die drastische Reduktion, die damals die emotionale Wucht der klinischen Aseptik und der menschlichen Abgründe der Atomkraft transportiert hat.

Elisabeth Filhol: "Doggerland"
aus den Französischen von Cornelia Wend
Edition Nautilus, Hamburg 2020
272 Seiten, 22 Euro
Ab 5. Oktober im Handel


*) Wir haben an dieser Stelle eine Ortsangabe korrigiert.
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