Elfriede Jelinek: "Angabe der Person"

Ein Steuerfall wird zum Musterfall

06:20 Minuten
Cover des Buches "Angabe der Person" von Elfriede Jelinek. Der Titel steht rot auf grauem Hintergrund.
© Rowohlt Verlag

Elfriede Jelinek

Angabe der PersonRowohlt, Hamburg 2022

188 Seiten

24,00 Euro

Von Verena Auffermann · 07.12.2022
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Die Empörung über den Zugriff von Steuerfahndern war der Anlass für ein sehr persönliches Buch: Elfriede Jelinek beschreibt das Absurde eines Deutschlands der gehorsamen Beamten, die Verwandte ihres jüdischen Vaters ins Konzentrationslager schickten.
Elfriede Jelinek stelle ich mir als eine Gegenwartsfanatikerin vor, fortwährend dem Strom der Nachrichten ausgesetzt, unmöglich, eine Biegung im Weltgeschehen zu verpassen. Ihre Bücher der letzten Jahre sind als Textstrecken gefürchtet, als ziemlich unleserliche zeithistorische Dokumente.
In ihrem neuen Buch „Angabe der Person“ ist etwas anders. Auch dieser an uns gerichtete Text fließt pausenlos, unterbrochen mit direkten Appellen "Was sagen Sie?", oder mit Fragen, "Kennen Sie den Ort, wo die Sterblichen den Unsterblichen begegnen?" Doch diesmal ist die Autorin persönlicher.
Elfriede Jelinek will, so schreibt sie es in der ersten Zeile, mit diesem Buch ihre "Lebenslaufbahn" bauen, sich lieber selbst "entziehen" als etwas zu "hinterziehen". Schreibauslöser war die Anklage des Steuerbetrugs. Die bayerische Steuerfahndung wollte der teils in München, teils in Wien lebenden Nobelpreisträgerin im Rahmen des Doppelbesteuerungsabkommens Steuerbetrug nachweisen, konfiszierte ihre Festplatte mit ihren Texten, ihre E-mails. Ein empörender und verstörender, längst wieder eingestellter Angriff auf Person und Werk.

Resignative Ironie und brutale Komik

Die Dramatikerin, eine Expertin im Fach der Tragikomik, macht ihren "Steuerfall" zu einem Musterfall und schließt in ihre gerechte Empörung eine Darstellung des realistisch Absurden unserer vergangenen und der gegenwärtigen Realität ein. Deutschland, das Land ordentlicher Steuerfahnder und gehorsamer Beamter, hat Verwandte ihres jüdischen Vaters in Vernichtungslager geschickt. Ein Thema, das sie exemplarisch in ihrem Werk „Kinder der Toten“ 1995 und immer wieder thematisierte. Auch in "Angabe der Person". Niedergeschrieben in einer Mischung aus Empörung und Resignation und zugespitzt durch die ihr eigene resignative Ironie und brutale Komik. Letzter Ausweg "jüngstes Gericht", das aber, typisch Jelinek, "kommt erst noch, da wird erst was los sein!"

Himmelschreiende politische Fehler

Die Jelineksche Genialität liegt nicht in der Bekanntmachung katastrophalen Unrechts. Da ist ihre Stimme eine von unendlich vielen. Es ist ihre Reflexionsfähigkeit, die ständige Überprüfung des Allgemeinen an der eigenen Person, "denn immerhin, mit mir selbst verwechsele ich mich nie", ihr sprachlicher Schalk, die Aufzählung himmelschreiender politischer Fehler, wie die Schonung der Familie Baldur von Schirachs, die Diffamierung des alten Kunsthändlers Gurlitt. Jelinek, die hochangesehene Dramatikerin, nutzt dieses Talent direkter Ansprache, um ihre Leser Teil der Handlung werden zu lassen. So sehr diese appellative Textfläche ihre eigene Geschichte ist, so sehr ist sie zum Teil unsere.

Spurenelemente und Zeitungen

Elfriede Jelinek hat für "Angabe der Person" außer ihrer eigenen Prosa "Spurenelemente" von Heidegger bis Freud eingeschleust und, wie es im Nachsatz heißt: "Zeitungen, Zeitungen, Zeitungen".  Ihr typischer "Sound" auch hier, sprudelnd und böse, zum Lachen, Weinen und Nachdenken. Wer Genaueres über ihre Biografie und die Auswirkungen auf ihre Person erfahren möchte, dem sei Claudia Müllers großartiger Film "Die Sprache von der Leine lassen" zusätzlich empfohlen.
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