Elena-Kaufmann-Ausstellung in Erfurt

Jüdische Leben in starken Porträts

Blick in die Ausstellung der Dokumentarfotografin Elena Kaufmann "Ein Jahr mit dem Stern" im Renaissancesaal der Kunsthalle in Erfurt
Blick in die Ausstellung der Dokumentarfotografin Elena Kaufmann "Ein Jahr mit dem Stern" im Renaissancesaal der Kunsthalle in Erfurt © Sandro Jödicke
Von Blanka Weber · 27.07.2018
Menschen, die dir in die Augen schauen – ganz nah: Die Schwarzweiß-Porträts der Dokumentarfotografin Elena Kaufmann stehen in der Tradition eines Henri Cartier-Bresson. Sie erzählen vom Leben osteuropäischer jüdischer Einwanderer nach Deutschland.
Elena Kaufmann ist eine zarte und zurückhaltende Person: blaue Augen, offener Blick. Der blonde Pagenkopf steckt unter einem schwarzen Hut. Ihrem Markenzeichen.
Eigentlich wollte sie die Welt ein Stück besser machen und studierte zunächst in St. Petersburg "ethnische Weltkonflikte", bis sie eines Tages die Anzeige für ein Studium zur Dokumentar-Fotografie las. Es sollte ihr Leben verändern.
"Ich habe durch viele Bilder auch meine Gefühle übertragen, Angst, wo man sich verstecken möchte."

2012 kam sie nach Deutschland

Eine Angst, die man hat, wenn man fremd ist, nicht dazu gehört, weil man anders ist, eine Minderheit oder eben neu in der Gemeinschaft. So wie sie 2012, als sie nach Deutschland kam. Durch ihre russische Sprache fand sie Anschluss in der Jüdischen Gemeinde, wo fast alle Menschen Russisch sprechen.

Benjamin Kochan: "Wir haben nichts anderes getan mit Elena, als wir mit jedem anderen machen würden."
Sagt der orthodoxe Rabbiner der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen; Benjamin Kochan:
"Wir haben unsere Türen aufgemacht, jeder, der kommen will - sicherlich - es hängt auch daran, dass man versteht, dass man in eine andere Welt kommt, in ein anderes Haus."
Mit anderen Regeln und Bräuchen, ergänzt er und betrachtet die lebensgroßen Fotoaufnahmen, die Elena Kaufmann von den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde schuf. Ein Ventilator brummt in den Ausstellungsräumen und Benjamin Kochan wirkt in dem Moment so nachdenklich wie auf seinem eigenen Porträtfoto. Es geht um "das andere" und die Frage, wie man respektvoll damit umgeht.
Benjamin Kochan: "Dass man gleich anfängt zu analysieren, zu vergleichen, das finde ich nicht sehr produktiv. Denn zunächst mal muss man erkennen, dass es anderes gibt und auch das Recht, anders zu sein und dann kann man sich damit auseinander setzen."
Genau das hat Elena Kaufmann getan - sensibel und einfühlsam. Sie nahm sich Zeit und war vielleicht die erste, die ehemalige Einwanderer aus Osteuropa wirklich gefragt hat, woher sie kommen und wie es ihnen geht.
Elena Kaufmann: "Ich hatte überhaupt keinen Plan. Ich war einfach da und es ist so passiert, alle diese Geschichten, zwischenmenschlichen Situationen, die waren da und ich war nah. Und diese Situationen so festzuhalten."

"..., dass die Augen sich treffen"

Auf ihren Bildern. Sie traf die Menschen in ihrem Atelier, nahm sich viel Zeit, lernte sie kennen und hörte sich ihre Geschichten an.
Elena Kaufmann: "Für mich war es auch wichtig, dass die auf mich schauen, ich wollte auch, dass die Menschen, die vor einem Porträt stehen, dass die Augen sich treffen, als ob sie nebeneinander stehen und im Gespräch sind."
Und es sind tatsächlich die Augen, die den Betrachter einfangen, ihn einladen - mehr wissen zu wollen über die Person dazu.
"Das glaube ich, wenn die Augen von zwei Menschen zusammen treffen, das ist das Intimste, das Schönste, was es gibt, wenn wir in die Augen von anderen schauen können."
Sie stellt Generationen gegenüber: Einen Großvater und seinen Enkelsohn, begleitete den 14-Jährigen bei der Bar Mizwa. Sie hält kraftvolle Momente fest - die ernsten, aber auch jene der puren Lebensfreude.

Sie zeigt ausdrucksstarke, authentische Gesichter. Porträtiert schlicht und fast immer schwarz-weiß im Stile der großen alten Fotografie-Tradition eines Henri Cartier Bresson.
Menschen, die sich zeigen wie sie sind, sagt Elena Kaufmann, sind mein größtes Glück - und erzählt von einer jungen Frau:
"Und sagte: Lena ich möchte stark sein. Und da habe ich irgendwann verstanden: Sie ist sehr romantisches Mädchen, sehr luftiges, Träumerin. Aber es gibt so wenige solche Menschen. Und am Ende hat sie mir gesagt: Lena, Ich muss ich bleiben. Ich möchte ich selbst sein."
Ein Blick, eine Geschichte: Die 34-jährige Porträtierte hat in Moskau und Sankt Petersburg studiert und kam als IT-Technikerin nach Deutschland.
Ein Blick, eine Geschichte: Die 34-jährige Porträtierte hat in Moskau und Sankt Petersburg studiert und kam als IT-Technikerin nach Deutschland.© Elena Kaufmann

Dunkel gekleidet vor dunklem Hintergrund

Auch Marina hat sie wie alle anderen - dunkel gekleidet vor dunklem Hintergrund - fotografiert. Und so blickt den Betrachter auch hier eine zarte Frau im schwarzen Kleid mit dezenter Schleife am Hals an. Die Haare fallen blond gewellt über die Schulter. Ein tiefer, ernster, stolzer aber auch fragender Ausdruck liegt in ihrem Gesicht. Es ist die Geschichte einer 34-Jährigen, die in Moskau und Sankt Petersburg studiert hat und als IT-Technikerin hier – in ihrem neuen Land – Fuß fassen möchte.
Fast schüchtern betrachtet sie zur Vernissage ihr eigenes Porträt und ist Elena Kaufmann dankbar:
"Sie macht super Foto und sie fühlt im Herz: Wie muss man sein."
Ein Interview möchte sie nur ungern geben, ebenso wie andere Personen der Gemeinde, die Angst haben, ihre Sprache könnte nicht gut genug sein und die deshalb lieber im Hintergrund bleiben möchten.
Doch eines erzählt uns Marina noch: Sie sei stolze Jüdin, trägt den Davidstern um den Hals und wäre ohne den Halt in ihrer Gemeinde nicht so glücklich wie sie es heute ist.
Marina: "Ja, in der Woche ist der Schabbat die Lieblingszeit für mich. Und wir gehen sehr gern in unsere jüdische Gemeinde."
Es braucht Mut, diese Lebensgeschichten zu erzählen, das weiß die junge Fotografin.
Zusammengearbeitet hat sie mit Antje-Maria Lochthofen, einer erfahrenen Journalistin.
Auch sie kennt aus der Familie ihres Mannes das Thema Flucht und Vertreibung und hat sich in unzähligen Stunden auf den Weg gemacht, sensibel die Geschichte der Menschen - hinter den Fotos - zu erkunden.
Antje-Maria Lochthofen: "Alle tragen mit sich: Wo komm ich her? Wie ist das angelegt in meiner Familie? Was trage ich? Was habe ich auf meinen Schultern? Und was bin ich auch den Alten schuldig, die so viel auf sich genommen haben, mit mir hierher zu gehen und nochmal von Null anzufangen. Und dann dieser Wille, sich so einzusetzen."
Ihr Credo: Jeder Mensch hat Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden.
Elena Kaufmann erzählt sie auf ihre Art - als Dokumentarfotografin - sie schafft Nähe durch jenen Augenblick, den sie festhält mit ihrer Kamera. Sinnlich, poetisch und würdevoll.

Ausstellung: Ein Jahr mit dem Stern
Kunsthalle Erfurt
Juli - September 2018

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