Elena Ferrantes Neapel-Saga als TV-Serie

Entzerrt, klinisch und enttäuschend

Szene aus "Meine geniale Freundin"
Fürs Fernsehen wurde der Welterfolg "Meine geniale Freundin" verfilmt - überzeugend ist das Ergebnis jedoch nicht. © imago/Independent Photo Agency
Patrick Wellinski im Gespräch mit Andra Gerk · 03.09.2018
Als Fernsehserie wird die Neapolitanische Saga von Elena Ferrante verfilmt. Die ersten beiden Teile feiern nun Weltpremiere - und ernten böse Verrisse. Diese "lebendige Geschichte sei tot inszeniert worden", meint unser Kritiker Patrick Wellinski.
Andrea Gerk: Elena Ferrantes Neapel-Saga "Meine geniale Freundin" war international ein sensationeller Überraschungserfolg. Dass jemand auf die Idee kommen würde, die vierbändige Geschichte von Lila und Lenú zu verfilmen, war da eigentlich nur eine Frage der Zeit. Der italienische Sender Rai hat zusammen mit dem europäischen Ableger von HBO die Rechte an dem Stoff erworben, und bei den Filmfestspielen in Venedig war gestern Weltpremiere der beiden ersten Teile. Patrick Wellinski aus der Filmredaktion von Deutschlandfunk Kultur ist in Venedig, und mit ihm bin ich jetzt verbunden. Hallo, guten Morgen!
Patrick Wellinski: Guten Morgen!
Gerk: Eigentlich hätte man sich diesen Stoff ja auch sehr schön so als epischen Hollywoodfilm mit Starbesetzung vorstellen können. Warum ist denn da eine Fernsehserie draus geworden?
Wellinski: Man hat natürlich so ein bisschen die Zeichen der Zeit gelesen. Serien gelten ja, so grob gesagt, immer noch als die modernen Romane, die auch ganz komplexe Erzählbögen konstruieren können. Viele Jahrzehnte, viele Figuren. Aber ich glaube, hier war der ausschlaggebende Punkt, dass Elena Ferrante selbst, so heißt es jedenfalls, eine Serie wollte, und ihr war auch ganz wichtig, dass das eine italienische Produktion wird mit italienischen Schauspielerinnen und Schauspielern und eben nicht ausgelagert nach Hollywood mit englischsprachigen Schauspielern, was natürlich diesen Roman, der ja so stark in der neapolitanischen Geschichte verankert ist, auch vielleicht nicht ganz so gut getan hätte.

Es hagelt Verrisse

Gerk: Da wurden ja 9000 Kinder und 500 Erwachsene gecastet für dieses Projekt. Das klingt nach einem Monumentalfilm. Wie ist denn der erste Eindruck, wie sieht dieses dörflich anmutende Neapel von Elena Ferrante in diesem Film aus?
Wellinski: Bisher wurde der erste Roman in acht Folgen verfilmt und die ersten zwei wurden uns gezeigt.* Und dieses Neapel, das ist schon recht enttäuschend, weil man sieht halt immer Kulisse. Wenn wir uns an den Roman erinnern, es war ja immer so eine recht bunte Beschreibung dieser Nachbarschaft, die Mütter, die auf ihren Balkonen sich zuschreien, dieser Enge, dieser Vielkinderfamilien, das war ja alles so liebevoll, und alles war irgendwie - das ganze Leben ist in diesem Roman mit drin, und in diesem Film ist alles irgendwie so entzerrt, es wirkt so klinisch. Die beiden Mädchen, die gecastet worden sind für die jungen beiden Darstellerinnen, die sind zwar überzeugend, und die machen ihre Sache ganz gut. Es ist aber schon seltsam, dass dieses ganze neapolitanische Gefühl, diese Geschichte, diese Menschen, dass das wirklich nicht getroffen ist. Man sieht immer Kostüme, man sieht Schauspieler, die sich durch Kulissen bewegen. Es ist so leblos, es ist so tot, und es hagelt, das muss man auch sagen, mittlerweile Verrisse von der italienischen Presse, denn man darf ja nicht vergessen, die Romane, das ist vielleicht das wichtigste kulturelle Artefakt Italiens seit den letzten Jahren, und da hat man sich schon mehr erhofft.
Gerk: Soll das denn so Soap-Opera-mäßig, wie Sie es jetzt beschrieben haben, weitergehen, oder weiß man da noch gar nichts drüber?
Wellinski: Es werden natürlich andere Schauspielerinnen für die nächsten Rollen gecastet. Die beiden Darstellerinnen, die Hauptfiguren werden ja auch immer älter. Aber man muss schon sagen, dass Saverio Costanzo, der italienische Regisseur, schon mit das größte Problem an der ganzen Nummer ist. Man hätte sich einen modernen, aufregenden Filmemacher, der sich vielleicht irgendwie zu diesem Stoff verhalten hätte, suchen sollen. Costanzo hat zwei, drei Achtungserfolge im Arthouse-Kino gedreht. Er traut sich auch gar nicht so wirklich, reinzuspringen in diese ganze Geschichte. Es wundert schon, warum so eine lebendige Geschichte so tot inszeniert worden ist. Ich glaube nicht, dass die anderen Folgen das so ein bisschen auflockern werden. Andererseits müssen wir gucken. Wie gesagt, die nächsten Folgen sollen dann auch noch Ende dieses Jahres auch in Deutschland zu sehen sein. Ich vermute aber, dass man hier diesen Karren irgendwie nicht mehr aus dem Dreck ziehen kann.

"Das Doppelleben" überzeugt als klug inszenierter Film

Gerk: Haben Sie denn sonst irgendwas Literarisches im Kino am Lido gesehen, was Sie damit vielleicht versöhnt hat?
Wellinski: Ja. Ich meine, es ist immer schön, nach Frankreich zu gucken. Olivier Assayas hat einen wunderschönen Film gedreht, der heißt "Das Doppelleben", "Non Fiction". Da geht es um die Literaturszene in Frankreich. Ein Verleger und ein Schriftsteller sind befreundet, die verhandeln gerade Rechte an dem neuen Buch. Und eigentlich sitzen diese Menschen dann nur zusammen und reden darüber, wie schlecht es der Buchbranche geht, dass die Digitalisierung alles kaputt macht. Aber nebenbei, wie eben im französischen Kino so häufig, betrügen sie sich gegenseitig, gehen mit der Frau des anderen ins Bett, und man sieht eben, dass dieses aufrechte Denken und Reden über die hohe Kunst und die Ehrlichkeit der Literatur dann in ihrem eigenen Privatleben jetzt nicht mehr so wichtig ist. Das ist ein sehr klug inszenierter Film, aber vor allem ein sehr klug geschriebener Film, weil er so viel verhandelt, was das Großbürgertum in Frankreich eben beschäftigt, und in dem Fall dann eben ein sehr interessanter und auch sehr lustiger Blick in die französische Literaturszene von heute.
Gerk: Patrick Wellinski berichtete von den Filmfestspielen in Venedig, wo unter anderem Elena Ferrantes Neapel-Saga als Fernsehserie Weltpremiere hatte. Vielen Dank für dieses Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
*Unser Rezensent sagt hier, dass die ersten beiden Folgen der Serie den gesamten ersten Roman erzählen. Das ist nicht korrekt. Wir haben deshalb das Manuskript angepasst und weisen darauf hin, dass es sich an dieser Stelle nun von der Hörfassung unterscheidet. Es werden vier Staffeln gedreht, die jeweils einen der Romane zum Inhalt haben.
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