Das große Kliniksterben auf dem Land
Bald soll es nur noch 628 Notfallkliniken in Deutschland geben - statt derzeit 1748. Von der Schließung betroffen ist etwa das Krankenhaus im bayerischen Hersbruck. Während der Klinikbetrieb bereits heruntergefahren wird, kämpft eine Bürgerinitiative für den Erhalt.
Das erste, was auffällt, ist diese Stille. Vereinzelt klingelt das Telefon am Empfangstresen des Hersbrucker Krankenhauses, eine ältere Frau, gestützt auf ihren Begleiter, geht langsam in die Chirurgie. An der Eingangsdrehtür hängt ein Schild "Videoüberwacht". Das, was ein Krankenhaus ausmacht - hektisches Treiben, lachende Krankenschwestern, die Glocke vom Aufzug – fehlt.
"Ich will Sie hier nicht ausbremsen, ich muss sowieso gleich in die Sprechstunde."
Ein Arzt kommt aus dem Operationsbereich und eilt zur Sprechstunde - Johannes Seitz, Chirurg:
"60 Betten haben wir hier, 60 Betten und sechs Intensivbetten haben wir noch."
Sagt er. Halt, stopp, nein, es seien nur noch vier, berichtigt ihn ein ehemaliger Kollege, der 25 Jahre lang an dem Krankenhaus aus- und einging. Otto Wolze, Internist:
"Wir hatten sechs und haben jetzt vier. Wir haben jetzt keinen originären Intensivstatus mehr und werden deshalb nicht mehr vom Notarzt mit beatmungspflichtigen Patienten angefahren."
Anforderungen für eine Notfallversorgung sind nicht erfüllt
Noch gravierender: Das Krankenhaus wird bei der zuständigen Rettungsleitstelle in Nürnberg überhaupt nicht mehr gelistet. Deshalb diese Stille auf den Gängen. Der Gemeinsame Bundesausschuss GBA – eines der wichtigsten Gremien des deutschen Gesundheitswesens - hatte im April neue Voraussetzungen für die stationäre Notfallversorgung in Deutschland beschlossen. Dazu gehören u.a. mindestens sechs Betten für eine funktionierende Notfallstation. Für viele kleine Krankenhäuser auf dem Land ein Todesurteil:
"Wir sind ja gerade in einem Prozess, wo sich die Aufgaben der Krankenhäuser, insbesondere der Kleineren stark verändern", rechtfertigt Siegfried Hasenbein von der Bayerischen Krankenhausgesellschaft die schrumpfende Notfallversorgung im ländlichen Raum.
"Wir haben einen Trend einerseits der Zentralisierung, dass schwierigere, komplexere Behandlungen in großen Kliniken zentralisiert werden. Aber wir haben auch den Trend, dass die kleineren Krankenhäuser in den ländlichen Regionen auch immer mehr Aufgaben übernehmen müssen, weil es sonst niemand mehr leisten kann."
Ein Krankenhaus mit 60 Betten gilt als unrentabel
Und warum schließt man nicht nur Hersbruck, sondern auch Häuser in Waldkirchen und in Marktheidenfeld?
Thomas Grüneberg, Geschäftsführer der Träger-GmbH Krankenhäuser Nürnberger Land, zuständig für Hersbruck, argumentiert vor allem mit Zahlen. Ein Hauptgrund für die Schließung in Hersbruck sei der Zustand des Gebäudes:
"Momentan stehen wir vor der Entscheidung, sanieren zu müssen. Wir haben das mal schätzen lassen, das liegt bei 26 Millionen Euro und das ist eine Investitionssumme für ein 60-Betten-Haus, das in keiner Relation steht."
Das stimme nicht, sagen dagegen Kritiker. Es gehe dem Träger vielmehr darum, dass ein Haus mit 60 Betten heute als nicht mehr rentabel gelte. Der betriebswirtschaftliche Richtwert liegt bei 300 Betten. Die Folgen: Anonyme, zentralisierte Großkliniken mit riesigem Einzugsgebiet. Dagegen demonstrieren die Bürger von Hersbruck seit Monaten. Bislang ohne Erfolg. An ihrer Seite Bürgermeister Robert Ilg:
"Es ist komplex, die Sachlage. Es fängt an mit der Verlagerung der Betten und mit dem Wegzug des Krankenhauses. Aber es hängt ja viel mehr dran. Wir haben große Sorge, dass in der Nachfolge dann auch fachärztliche Praxen den Standort verlassen, dass die Bereitschaftspraxis, die hier am Ort mit im Krankenhaus untergebracht ist, dann auch dem Krankenhausstandort Lauf zugeschlagen wird. Und dass in der Folge auch Apotheken und weitere Dienstleister den Standort verlassen werden."
Eine Bürgerinitiative kämpft für den Erhalt der Klinik
Anfang August soll es ein Treffen mit Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml geben. Horst Vogel, Mitglied der Bürgerinitiative, erhofft sich viel davon. Denn: "Für unseren ländlichen Raum wäre das eine Katastrophe, wenn das wegbricht, da geht was verloren, das werden wir nie mehr kriegen."
Er sammelte im vergangenen Jahr mehr als 10.000 Unterschriften gegen die Schließung des Hersbrucker Krankenhauses.
"Wenn Sie mal die Alten- und Pflegeheime von uns anschauen dort droben, was sich im Umland angesiedelt hat, ich sage mal 1.500 Menschen, wo sollen die hin? Und wenn die einen Arzt brauchen? Wir haben ja alles da. Die Apotheke und alles. Die Ärzte gehen ja dann weg, die jungen Leute auch, die sagen: Was soll ich da, wenn ich noch nicht mal medizinische Versorgung habe?"
Seit mehr als einem Jahrhundert versorgt das Hersbrucker Krankenhaus die Bürger im Umkreis von gut 40 Kilometern. Mit Notfallambulanz, Bereitschaftsdienst, kurzen Wartezeiten, mit einer Röntgenstation, aber keinen CT- oder MRT-Hightech-Geräten.
"Zum Notfallgeschehen muss man sagen: Nicht jeder Notfall hat einen schweren Herzinfarkt, hat einen Schlaganfall, braucht eine Beatmung. Da gibt es noch so viel dazwischen, die auch gut in einer kleinen Einheit wie hier betreut werden können und müssen. Die müssen nicht in die Großklinik."
Krankenschwestern werden abgezogen
Das bayerische Rettungsdienstgesetz schreibt vor, dass in einem Notfall ein Rettungswagen in zwölf Minuten am Einsatzort eintreffen muss. Chirurg Seitz zuckt mit den Schultern:
"Die 12 Minuten? Die kann man auf dem Land vergessen. Wenn ich als Notarzt nach Neuhaus fahre, das ist noch nicht ganz der Rand des Einzugsgebietes, dann brauche ich 27 Minuten. Das geht nicht schneller, ich kann mich nicht hinzaubern."
Während die Hersbrucker Bürgerinitiative weiter um den Erhalt ihres Krankenhauses kämpft, kappt der Träger bereits alle Wurzeln: die Kürzung der Notfallbetten, der Abzug von Krankenschwestern, die Abwerbung von Assistenzärzten.
Auf der Webseite der Krankenhäuser Nürnberger Land GmbH stehen viele Stellenanzeigen – aber keine einzige für Hersbruck.