Elbvertiefung für Hamburger Hafen

Der Schierlings-Wasserfenchel könnte die Bagger stoppen

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Finkenwerder, ein Schutensauger, der Schlamm aus der Elbe absaugt um so den Schifffahrtsweg frei zu halten.
Damit die weltgrößten Frachtschiffe in den Hamburger Hafen einlaufen können, muss die Elbe durchgängig 14,5 Meter tief sein. Saugbagger vertiefen die Fahrrinne. © laif/ Christian O. Bruch
Von Axel Schröder · 29.05.2020
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Das Bundesverwaltungsgericht muss darüber entscheiden, ob Hamburg genug tut, um das weltweit einzige Vorkommen des Schierlings-Wasserfenchels zu schützen. Eine Pflanze, anfangs so groß wie Petersilie, könnte die Vertiefung der Elbe stoppen.
Gebaggert wird derzeit nicht nur in der Elbe, sondern auch einige Kilometer flussaufwärts, oberhalb der Hafenbecken. Schon seit mehr als einem Jahr sind Wasserbauingenieure, Botaniker und Landschaftsarchitekten bei Wind und Wetter damit beschäftigt, die Billwerder Bucht für den Schierlings-Wasserfenchel herzurichten:
"Die Kernidee ist, hier eine Fläche zu schaffen und Wuchsbereich für den Schierlings-Wasserfenchel", sagt Carmen Eggers, die Projektleiterin der Ausgleichsmaßnahme. Nötig ist die Maßnahme, weil die Fahrrinnenanpassung der Elbe, also die Verbreiterung und Vertiefung des Stroms, die Flächen bedroht, auf denen sich der Schierlings-Wasserfenchel wohlfühlt und gedeihen kann.

Ökosystem der Elbe wird sich ändern

Weil aber Senat und Hafenwirtschaft auch die weltgrößten Schiffe im Hafen sehen wollen, wird der Fluss auf durchgehend 14,5 Meter Tiefe ausgebaggert. Die Fließgeschwindigkeit wird sich erhöhen, davon gehen die Planer in der Wasser- und Schifffahrtsbehörde fest aus. Auch Sturmfluten könnten heftiger ausfallen, der Salz- und Sauerstoffgehalt des Ökosystems Elbe wird sich ändern.
Der Lebensraum des Schierlings-Wasserfenchels wird schrumpfen. Also werden an anderer Stelle optimale Bedingungen für die geschützte Pflanze geschaffen, sagt Carmen Eggers.
"Der bekommt hier gute Bedingungen mit dem, was wir hier bauen wollen. Wir werden hier ein Gebiet schaffen, sehr naturnah und werden hier Inseln und Priele formen, in denen die Tide einschwingen kann. In den Flachgebieten kann sich dann der Schierlings-Wasserfenchel ansiedeln. Den werden wir anpflanzen, aber er wird sich auch ansiedeln über den Wasseraustausch der Tide."

Botanischer Pandabär

Am Nord- und Südufer der Elbe, vor allem flussabwärts wächst der Schierlings-Wasserfenchel. Sonst nirgendwo. Und insgesamt gibt es nur noch 1.000 bis 5.000 Pflanzen dieser Art. Deshalb ist sie durch die "Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43" geschützt und gilt unter Naturschützern als "botanischer Pandabär".
In den Becken eines alten Hamburger Wasserwerks soll sich der seltene Schierlings-Wasserfenchel ausbreiten. 
In den Becken eines alten Hamburger Wasserwerks soll sich der seltene Schierlings-Wasserfenchel ausbreiten. Mit dem Lebensraum wollen die Behörden Auflagen zur Elbvertiefung erfüllen. Von Umweltverbänden kommt Kritik. © dpa/ Georg Wendt
Wie sie aussieht, erklärt Marc Kindermann von der Hamburg Port Authority, der Hamburger Hafenbehörde am Rande der Ausgleichsfläche:
"Der Schierlings-Wasserfenchel ist eine zweijährige Pflanze, die einzelne Pflanze wird immer nur zwei Jahre alt. Im ersten Jahr relativ unscheinbar: kleine fiedrige Blätter, ein kleines bisschen wie grobblättrige Petersilie, so kann man sich das vorstellen. Im zweiten Jahr kann er richtig hoch werden - bis zu zwei Meter. Weiße Blüten, relativ starker Stamm für eine zweijährige Pflanze."
Und im zweiten Jahr entwickelt der Schierlings-Wasserfenchel dann auch Samen, die, so die Idee der Planer, die Zukunft der Pflanze sichern.
"Samen, die an geeigneten Orten absinken oder ans Ufer gespült werden, können dann wieder neu auskeimen. Wie viele Pflanzen das werden, das werden wir dann beobachten."

40.000 Euro pro Pflanze

Sieben Hektar groß ist das Areal, gleich nebenan dröhnt der Lkw-Verkehr über die Autobahn. Früher gehörten die grün umwachsenen Wasserbecken zu einem der Hamburger Klärwerke, heute nisten hier Kormorane, streifen Rehe, sogar Biber durch die Landschaft.
Nach den Berechnungen der Planer, sagt Kindermann, könnte die Elbvertiefung etwa 50 Exemplare des Schierlings-Wasserfenchels im Westen der Hansestadt verdrängen. Auf der mehr als zehn Millionen Euro teuren Ausgleichsfläche sollen dafür, wenn alles glattläuft, einmal mehr als 250 Pflanzen wachsen. Pro Pflanze fallen 40.000 Euro an.
Aber, dass der teure Plan aufgeht, bezweifelt Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg, der zusammen mit dem NABU und dem WWF gegen die Elbvertiefung klagt:
"Wir haben uns diese neu vorgeschlagene Ausgleichsmaßnahme ‚Billwerder Bucht‘ einmal näher angeschaut und mussten feststellen, dass nach unserer Einschätzung dieses Gelände nicht für den Schierlings-Wasserfenchel geeignet ist. Der braucht die direkte Nähe zur Elbe. Die liegt in der Wasserlinie 3,5 Kilometer entfernt. Wir glauben auch, dass die angelegten künstlichen Becken sehr schnell auflanden und dann auch der dortige Wuchs den Schierlings-Wasserfenchel – wenn er denn überhaupt am Anfang überleben kann – dann mittelfristig verdrängt. Diese Maßnahme ist nicht geeignet."

Das ist sehr naturfern

Deshalb habe man, glaubt Manfred Braasch, gute Karten für die heutige Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das neue Areal sei zwar über ein Sperrwerk, über Hafenbecken und Kanäle auch Ebbe und Flut ausgesetzt. Einfach verpflanzen ließe sich der Schierlings-Wasserfenchel aber nicht.
"Das ist schon sehr naturfern, muss man ganz klar sagen. Das Sperrwerk wird auch dazu führen, dass zum Beispiel extreme Hochwasser da gar nicht eindringen können. Aber solche natürliche Dynamik braucht der Schierlings-Wasserfenchel in seinem Lebensraum, der leider immer kleiner wird, um gedeihlich voranzukommen."
Unabhängig vom Schierlings-Wasserfenchel fordern die Umweltverbände eine grundlegende Neubewertung des Projekts Elbvertiefung. Die Modellrechnungen über die Auswirkungen der Baggerarbeiten seien veraltet und der Containerumschlag im Hamburger Hafen wachse schon lange nicht mehr so rapide wie vorhergesagt.
Klaus Schroh, pensionierter Kapitän und heute für den NABU in Cuxhaven aktiv, bezweifelt, dass die besonders großen Schiffe nur dann Hamburg erreichen können, wenn der Fluss vorher tiefergelegt wird. Immerhin laufen schon heute auch die ganz großen Pötte den Hamburger Hafen an, so Schroh.
"Fahrrinnenanpassung ist deshalb nicht notwendig, weil schon seit Langem selbst die größten Containerriesen mit Schiffslängen von 400 Metern mit Reservetiefgängen, das heißt mit ungenutztem Ladungspotential, den Hamburger Hafen ansteuern."

Umwelt zu oft nicht beachtet

Ob das Bundesverwaltungsgericht das Multimillionen-Euro-Projekt erneut und grundlegend prüfen wird, ist fraglich. Vermutlich klären die Richterinnen und Richter heute einzig und allein, ob der Schierlings-Wasserfenchel in der Billwerder Bucht tatsächlich so prächtig gedeihen wird wie geplant.
Manfred Braasch vom Hamburger BUND ist trotzdem zuversichtlich, dass die Umweltverbände mit ihrer Klage Erfolg haben:
"Da müssten dann die Baggerarbeiten gestoppt werden und dann müsste man wirklich in Verhandlung treten."
In der Hamburger Wirtschaftsbehörde hält man sich zur heutigen Verhandlung sehr bedeckt. Zu oft unterlagen die Planer vor Gericht. Zu oft waren ausgerechnet Umweltbelange nicht beachtet worden.
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