Einrichtungsbezogene Impfpflicht

Droht eine Verschärfung des Pflegenotstands?

07:03 Minuten
Eine digitale Komposition aus Foto und grafischem Hintergrund zeigt eine Hand mit medizinischem Handschuh, die eine eine Spritze mit Impfstoff hält.
Auch der neue Impfstoff Novavax werde den Streit um die Impfpflicht nicht lösen, glaubt der Präsident des baden-württembergischen Landkreistages Joachim Walter. © Getty Images / Francesco Carta
Von Katharina Thoms · 01.03.2022
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In zwei Wochen gilt bundesweit die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Nicht wenige fordern, sie wegen Problemen bei der Umsetzung auszusetzen. Es gibt aber auch Betreiber von Einrichtungen, die längst mit eigenen Impfregeln Erfolge erzielt haben.
Kurz vor dem Abendessen. Roland Ott macht der Frau im Rollstuhl schnell noch einen Zopf in ihrem Zimmer. Und dann eilt er auch schon wieder über die langen Flure der Lebenshilfe in Bisingen, auf der Schwäbischen Alb.
Zwischen acht und zwölf Menschen mit Behinderungen leben hier zusammen in einer Wohngruppe. Werden betreut, bevor sie zu ihrer Arbeit in einer der Werkstätten fahren – und danach. Rund um die Uhr ist jemand da.
Mit der Impfpflicht auch in seiner Einrichtung befürchtet Ott, werden Kollegen und Kolleginnen gehen: „Man ist eh schon froh, dass man einigermaßen gute Leute kriegt. Und des, denk ich, ist jetzt halt schon so was, wo dann einige Leute gehen.“ Groß diskutiert wird darüber nicht im Team, sagt er. „Ab einem gewissen Punkt wechselt man dann lieber das Thema.“

Ein Viertel des Personals der Einrichtung ungeimpft

Ott selbst ist geimpft, drei Mal, hat sich aber Anfang des Jahres trotzdem auch infiziert. Das Robert Koch-Institut sagt, aktuell könne man noch keine Aussagen darüber treffen, wie ansteckend Omikron auch bei Geboosterten ist.
Aber Roland Ott findet: „Allein die Erfahrung, drei Mal geimpft und trotzdem auch bekommen: Unter den Voraussetzungen jemand wirklich zu zwingen, das zu machen. Auf der anderen Seite steht natürlich die Verantwortung gegenüber den Bewohnern.“
In diesem Zwiespalt steckt auch die Leiterin der Bisinger Lebenshilfe, Monika Betz. Ein Viertel des Personals sei bis jetzt nicht geimpft. Das ist deutlich mehr als der Durchschnitt in Baden-Württemberg: Etwa zehn Prozent des Personals in Pflegeeinrichtungen sind laut Gesundheitsministerium komplett ungeimpft.
In Bisingen haben einige schon signalisiert: Sie wollen gehen.

Die Absichtserklärungen sind da. Und die Ausgangssituation, sich beruflich umzuorientieren, die ist derzeit aufgrund der generellen Arbeitsmarktlage sehr gut für diese Menschen.

Monika Betz

Für die Lebenshilfe in Bisingen wäre das sehr schlecht. „Insbesondere in unseren Wohnangeboten würde das bedeuten, dass wir die Versorgungssicherheit der Menschen, die wir betreuen, nicht mehr gewährleisten können.“

Akute Personalausfälle in der Omikronwelle

Denn die Impfpflicht verschärfe ein anderes Problem: Die Ausfälle durch die Krankmeldungen und Infektionen in der Omikronwelle. Statt sieben waren schon in den vergangenen Wochen zeitweise nur noch drei in einem Team, erzählt Roland Ott: „Da kann man dann froh sein, wenn fehlerfrei alle gegessen haben, alle angezogen sind und im Bett liegen.“
Die Versorgung aber dürfe nicht gefährdet werden. Das hat die Politik inzwischen mehrfach signalisiert. Zuletzt in einer öffentlichen Anhörung des baden-württembergischen Gesundheitsministeriums.
Amtschef Uwe Lahl erläutert: „Es kann aber dann im Einzelfall sein, wenn die Person unersetzbar ist, dass sie dann nach entsprechender täglicher Testung trotzdem weiterarbeiten darf. Aber dann nur auf Zeit und in dieser Zeit muss die Einrichtung an einer Ersatzperson oder eine sonstige Lösung suchen.“

Gesundheitsämter müssen die Meldungen bewerten

Wer darunterfällt? Ermessenssache. Das müssen die Gesundheitsämter bewerten. An sie müssen Pflegedienste und Heimleitungen melden, wer vom Personal nicht geimpft ist. Das Ministerium räumt jetzt schon ein: Die Prüfung wird durch die vielen Fälle vermutlich bis zu drei Monate dauern.
„Im Grunde genommen sehe ich momentan ein gigantisches Behördenbeschäftigungsprogramm ohne Einfluss auf das Pandemiegeschehen“, sagt Joachim Walter, der Präsident des baden-württembergischen Landkreistages.
Zusätzliches Personal soll ab Mitte März in den Gesundheitsämtern helfen. Aber: „Wir haben schon einen Pflegenotstand. Wir haben viele Kranke. Und wenn dann zehn oder 15 Prozent ausfallen, dann wird es gleich schwierig.“
Auch der Tübinger Landrat lehnt die Corona-Teil-Impfpflicht ab Mitte März ab. Er hat einen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geschrieben. Bisher ohne Antwort. Er werde sich dem Gesetz nicht widersetzen, sagt er. Aber er bleibt skeptisch.
Auch der neue Impfstoff Novavax werde den Streit um die Impfpflicht nicht lösen, glaubt Walter: „Ich hab auch meine Bedenken, ob sich tatsächlich mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt noch impfen lassen, weil sie doch alle erkennen, dass eigentlich der Schutzzweck gar nicht mehr erfüllt werden kann.“

„Bedenken. Bedenken. Bedenken. Eine typisch deutsche Reaktion.“

„Bedenken, Bedenken, Bedenken! Eigentlich eine typische deutsche Reaktion“, entgegnet Kaspar Pfister. Der schwäbische Pflegeunternehmer hat eine Art indirekte Impfpflicht längst umgesetzt – auf eigene Faust in seinem Unternehmen: „Es war eine ganz einsame Entscheidung, weil für mich klar war: Da will ich niemand hineinziehen.“
Seit Dezember dürfen in seinem Pflegedienst Benevit nur noch gegen Covid Geimpfte arbeiten. Denn auch in seinem Unternehmen war die Quote niedrig. Jeder fünfte Beschäftigte war im letzten Herbst nicht geimpft.
Deshalb entschied Pfister: Ab 1. Dezember geimpft – oder freigestellt. Lohn gab es weiter. Was passierte, als er das verkündet hatte? „Schock pur, weil jeder natürlich dachte, wie kriegen wir den Dienstplan hin“, erzählt er.
Genauso ging es auch Jessica Mangold, Pflegedienstleiterin in Pfisters Unternehmen – und damals ungeimpft.
Sie dachte: „Ich will hier nicht weg. Ich arbeite seit zwölf Jahren hier in dem Unternehmen und das ist wie mein zweites Zuhause. Und dann stand eigentlich für mich gleich fest, ich mache mir sofort einen Impftermin und lasse mich jetzt doch impfen.“
Die 35-jährige Pflegedienstleiterin hatte lange Bedenken.

Weil es so neu war. Die anderen Impfungen, die man ja in seinem Leben bekommt, die gibt es ja schon voll lange und die müssen auch gemacht werden. Denke ich heute drüber nach, frage ich mich, warum hatte ich eigentlich die ganze Zeit Bedenken und hab es nicht schon viel eher gemacht?

Jessica Mangold

Fast alle geimpft, kaum Kündigungen

Das dachten wohl viele der rund 1700 Mitarbeitenden. Jetzt, drei Monate später, sind 98 Prozent bei Benevit geimpft. Gekündigt haben 18 Beschäftigte, niemand direkt aus der Pflege. Pfister findet, auch wenn sich Geimpfte anstecken können, sei die Impfung sinnvoll: Der Verlauf bleibe überwiegend symptomfrei. Auch ein anderer großer Heimbetreiber in Baden-Württemberg will die Regelung ab Mitte März ohne Übergangsfristen umsetzen.
In Bisingen, bei der Lebenshilfe, will man alle Übergangsfristen nutzen, um über die Runden zu kommen. Jeder bis zum 14. März Erstgeimpfte zählt. Aber überzeugt ist hier kaum noch jemand.
Roland Ott meint: „Also im Moment würde ich denken, vielleicht doch lieber noch mal Aussetzen. Und dann schauen wir, was bis Mitte des Jahres oder so ist. Und dann kann man wirklich sagen: Man lässt es ganz – oder Pflicht für alle.“

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