Einblicke in den Pflegealltag

Traumberuf mit Hindernissen

30:10 Minuten
Eine Pflegerin begleitet eine Bewohnerin mit Rollator.
Die Coronakrise hat die Belastungen in der Pflege noch einmal verschärft © picture-alliance/dpa//Christophe Gateau
Von Wolf-Sören Treusch |
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Rund 9.000 Pflegekräfte haben in der Pandemie wegen miserabler Arbeitsbedingungen gekündigt. Dabei war die Pflege kranker Menschen mal ihr Traumberuf. Aber es gibt auch die, die ganz bewusst bleiben, alles geben – und wissen, wie es anders gehen kann.

Gynäkologie wird zur Covid-Station

Sabrina Didschuns, 39, leitet die Pflegestation für Gynäkologie und Gastroenterologie. Unter normalen Umständen werden hier fast nur Frauen versorgt. Doch was ist in diesen Zeiten normal? Es ist der 10. November 2021. Seit einigen Tagen steigt die Zahl der Corona-Infektionen wieder deutlich an. Die Klinikleitung hat daher beschlossen, die Mehrzahl der Betten auf Station 4A für Corona-Patienten bereitzustellen.
„Die meisten Patienten kommen entweder weil sie Covid haben und dazu eine respiratorische Insuffizienz, also einfach nicht genug Sauerstoff kriegen. Oder wir haben Patienten, die kommen akut, zum Beispiel wegen eines Blinddarms. Wir machen wie bei allen einen Schnelltest, und wenn der positiv ist, kommen die auch zu uns auf die Station, weil wir sie nicht zwischen die Gesunden auf die normalen Stationen legen können“, erzählt sie.
Gemeinsam mit einer Kollegin versorgt Schwester Sabrina heute zehn Corona-Patienten. Alte Geimpfte und junge Ungeimpfte, erzählt sie. Allen ginge es schlecht, sonst wären sie ja nicht hier. Als Pflegeleiterin muss sie jedoch auch auf dem gynäkologischen Teil der Station zugegen sein. Telefonieren, organisieren, Ratschläge geben, während eine zweite Kollegin sich um die Patientinnen dort kümmert.
Der Übergang zwischen den beiden langen Fluren ist mit milchig schimmernden Plastikplanen zugehängt. Damit niemand zufällig auf den Stationsteil mit den Corona-Patienten gerät.

Der Schlüssel Pflegepersonal zu Patient ist 1:7

Schon im vergangenen Winter war Station 4A mehrere Monate zur Pandemiestation geworden. Komplett. Eine große Herausforderung für die Belegschaft, sagt die Pflegeleiterin. Einige Kolleginnen seien über 50, hätten Vorerkrankungen, es stand ihnen frei, die Station zu wechseln. Doch niemand aus ihrem Team sei gegangen. Alle hielten zusammen. Trotz der zusätzlichen Belastungen.
Eine junge Frau in einem gelben Schutzanzug, einem transparanten Schutzvisier und einem Mundschutz steht neben einer Ablage voller Medikamente und schaut freundlich in die Kamera.
Sabrina Didschuns in Corona-Schutzkleidung: Station 4A wurde schon einmal zur Pandemiestation.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Und wie ist die Stimmung auf der Station jetzt, nach bald zwei Jahren Pandemie? Bevor sie antwortet, holt Sabrina Didschuns erst einmal tief Luft.

Schwierig im Moment. Die Patienten, die jetzt auf der Pandemiestation lagen, waren eben wirklich vorwiegend schwer kranke, ältere, nicht mobile, demente Patienten, die uns das nicht einfach gemacht haben. Und dann kommt der Pflegekräftemangel dazu. Es ist einfach schwer zu akzeptieren, auch für einen selber, dass es den Schlüssel gibt: Pflegepersonal zu Patienten, zurzeit 1:7. Aber in manchen Situationen hätte man gern den Schlüssel 1:1.

Sabrina Didschuns

Schwester Sabrina macht gerade Entlassungspapiere fertig, da sieht sie durchs Fenster des Schwesternzimmers, wie einer der Patienten auf der anderen Seite, der Pandemiestation, plötzlich auf dem Flur steht.
Sie reißt die Tür auf, die eigentlich geschlossen bleiben muss, und ruft energisch „Nein!“ Dann wird sie sanfter und verspricht: „Ich komme nachher noch mal rein, okay? Ich komme nachher noch mal, den Rücken einreiben.“
Covid positiv getestete Personen sollen ihr Krankenzimmer nicht verlassen. So schreibt es das Hygienekonzept vor. Jetzt klingelt aber im Hintergrund das Telefon. Gleichzeitig steht eine Patientin auf dem Flur, sie will eigentlich nach Hause.
„Ich rede mit dem Doktor,“ verspricht Schwester Sabrina. „Und wenn es stimmt, dann können Sie auch gern ein bisschen rumlaufen.“ Die Patientin sieht das Mikrofon und schimpft: „Ich kann Ihnen sagen, was die Krankenhäuser brauchen: mehr Personal. Das ist einfach so. Geht alles den Bach runter hier, das ganze Gesundheitswesen.“

Mehr Beschäftigte – der wichtigste Schritt

„Aber ich kann mich nicht jeden Tag fragen, warum machst du das? Dann wird man ja unglücklich in seinem Beruf. Und ich sage immer: Die Hälfte seines Lebens verbringt man in der Arbeit und nichts ist schlimmer, als da nun total unglücklich zu sein. Dann hat man irgendwann wirklich Burnout. Man muss es angehen, man muss halt machen", sagt sie.
„Machen“: für die Pflegeleiterin von Station 4A heißt das trotz allem, immer wieder Zeit für ihre Patienten rauszuschlagen und möglichst gute Stimmung zu verbreiten, um ihr Team zusammenzuhalten.
Ob sie auch schon einmal daran gedacht hat, den Pflegeberuf aufzugeben? „Ja. Aber das war mein Traumberuf, seitdem ich 14 bin, ich bin schon wirklich gerne Krankenschwester. Ich arbeite gerne im Krankenhaus“, sagt sie.

Ambulante Pflege geht auch unkonventionell

Im Mannheimer Ortsteil Schönau ist der ambulante Pflegedienst „Pflege im Quadrat“ zu Hause. Es ist der 16. November 2021, früh am Morgen. Im Büro von Gründer und Inhaber Panajotis Neuert, 35, sitzt ein weißes Huhn auf einer Decke.
„Das ist unsere Desiree, unser Seidenhuhn, das sollte ursprünglich eingeschläfert werden, weil es einen Schlaganfall hatte, aber wir können uns nur schweren Herzens von ihr trennen, und deshalb ist sie jetzt hier bei uns im Büro zur Pflege. Das ist jetzt unser Bürohuhn“, erzählt er.
So ist er, der Panajotis, den alle hier nur „Joti“ nennen. Ein zuversichtlicher Typ. Egal ob Huhn oder Mensch: Das wird schon wieder.
Im Eingangsbereich des Pflegedienstes geht es hektisch zu. Die Pflegekräfte starten zu ihren Hausbesuchen, aber da stehen noch zwei fünfjährige Jungen vor der Tür. Wegen Corona ist ihre Kita soeben geschlossen worden. Nicht zum ersten Mal.
„Das fängt gerade wieder so an wie vor einem Jahr. Wir haben viele alleinerziehende Pflegekräfte. Was machen die? Die setzen jetzt ihre Kinder hier bei uns ab, damit sie ihre Touren weiterfahren können. Denn wenn die uns ausfallen würden, dann hätten wir ein Abdeckungsproblem“, erklärt er.
Neuert hat glücklicherweise kein „Abdeckungsproblem“, denn er hat gehandelt, schon vor einem Jahr. Es gibt jetzt eine betriebsinterne Kindergruppe, ein Spielzimmer, Bücher – alles provisorisch, aber es funktioniert.

"Gibt es etwas, das Sie betrübt?"

Neuert fährt zu einem Pflegeberatungsgespräch, „eine Herzensangelegenheit“. Es geht darum, den Patienten ihre Rechte und Ansprüche zu erklären.
Sein Ziel heute: das Ehepaar Weiche, er 81, sie 75, beide Pflegegrad 2. Sie erhalten 316 Euro im Monat. Dafür kümmern sich ihre beiden Kinder um die häusliche Pflege. Zusätzlich kommt zwei Mal am Tag eine Pflegekraft vorbei, Kompressionsstrümpfe wechseln, und zwei Mal die Woche jemand vom Hauswirtschaftsdienst. Wer zu Hause gepflegt wird und Pflegegeld bezieht, erhält in regelmäßigen Abständen ein Beratungsgespräch.
Neuert guckt den beiden in die Augen. „Gibt es irgendwas, was sie betrübt oder belastet, was Sie mir sagen wollen? Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten bei der Pflege?“ Zu dritt sitzen sie um den großen Esstisch herum, das Ehepaar hat einen Teller mit Süßigkeiten bereitgestellt. Es sei alles in Ordnung, erzählen die beiden.
„Wir sind so dankbar, dass es so Menschen gibt. Was täten wir ohne die“, fragt die Frau und die Tränen kommen. Panajotis Neuert ist auch gerührt.

Wissen Sie, ich kriege ja nur negative Sachen. Wenn die Schwester in der Einfahrt steht, weil sie keinen Parkplatz findet, dann rufen die Leute an. So was kriegen wir mit. Und da ist natürlich das hier was Schönes: Weil man sieht einfach, die Leute sind glücklich und sind auch froh, dass wir da sind.

Panajotis Neuert

Angst vor dem Tod darf man nicht haben

Mehr als eine Stunde plaudern und scherzen die drei miteinander. Plötzlich bemerkt Panajotis Neuert die Kante in der Balkontür. Das wäre doch bestens geeignet für eine „wohnumfeldverbessernde Maßnahme“, erklärt er dem Ehepaar. Eine Metallrampe. Und die zahle die Pflegekasse.
Aber die beiden winken ab. „Es geht schon noch.“ Am Ende füllt er den offiziellen Beratungsbogen aus, den er bei der Pflegekasse einreichen muss. „Pflege sichergestellt“, notiert er.
Ein junger Mann und eine junge Frau stehen vor Wand aus Holzplanken auf dem der Schriftzug "Pflege im Quadrat GmbH" zu lesen ist.
"Wir sind voll, Oberkante, Unterkante": Inhaber Panajotis Neuert und Pflegerin Lea Exner vom ambulanten Pflegedienst „Pflege im Quadrat“ in Mannheim.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Lea Exner, 23, arbeitet seit bald sechs Jahren für „Pflege im Quadrat“. Ihre erste Kundin an diesem Morgen ist eine alte Frau, die alleine lebt. Ihre Angehörigen kümmern sich nicht um sie. Die Pflegekräfte des ambulanten Pflegedienstes und das Telefon sind ihr Kontakt zur Außenwelt.
Lea Exner misst zunächst den Blutzucker und plaudert ein bisschen. Dann spritzt sie der Frau Insulin und verabreicht ihr Medikamente, geht mit ihr ins Bad, wäscht Oberkörper und Intimbereich, die sogenannte kleine Körperpflege, und kleidet sie an. Am Ende macht sie zwei Kompressionsverbände für die Beine.
Eine gute halbe Stunde verbringt die Pflegerin bei der alten Frau. Gestresst wirkt sie nicht. „Es ist mein Job“, sagt Lea Exner. Zu große Nähe, gar Angst vor dem Tod sollten die Angestellten im ambulanten Pflegedienst nicht haben, findet sie.
„Man hat sich den Beruf ausgesucht. Man weiß, wie es zugeht, wenn Menschen sterben, das gehört dazu, und es ist menschlich: Jeder muss mal gehen. Und lieber stirbt man in Würde, und ich finde es immer schön zu Hause zu sterben, in der Umgebung, die man kennt.“

Allein auf Station - das ist Alltag

Zurück im Sana Klinikum in Berlin-Lichtenberg, Station 4A, Gynäkologie. Schwester Jaqueline zieht einer Patientin den Schlauch der Wunddrainage aus der Bauchdecke. Die stöhnt. Die Patientin wurde wegen eines Krebsverdachts operiert. Jetzt hofft sie, dass die Schmerzen nachlassen und sie bald nach Hause kann. Auf der Station fühlt sie sich gut behandelt.
„Also wenn man Fragen hat oder sonst irgendwas, man kann klingeln, es ist wirklich immer sofort jemand da, egal um welche Uhrzeit. Selbst nachts kommen sie, geben einem Schmerzmittel. Ich kann mich wirklich nicht beklagen“, sagt sie.
Das Telefon klingelt, Schwester Jaqueline ignoriert es. Sorgfältig desinfiziert sie die OP-Narbe der Patientin und macht ein Duschpflaster drauf. Nach einer Viertelstunde verlässt sie das Zimmer. Sie ist allein auf der Station. Pflegealltag im Krankenhaus.

Ja, es ist manchmal schon nicht ohne. Dann klingelt es vielleicht gerade noch irgendwo. Man hat gerade eine andere Aufgabe, kann die aber nur halb durchführen oder muss unheimlich schnell machen, weil schon wieder das Nächste kommt. Und vom Personal sind wir eben nicht genug Leute, dass es möglich wäre, das besser abzuarbeiten.

Schwester Jaqueline

Das Telefon klingelt schon wieder. Ein Angehöriger erkundigt sich danach, wie es seiner Frau geht. Die Pflegerin beruhigt ihn und geht mit dem Telefon ins Zimmer der Patientin. Da sie aus Hygienegründen den Apparat nicht weiterreichen darf, vermittelt sie zwischen den Eheleuten. Anschließend unterhält sie sich noch kurz mit der Patientin, sechseinhalb Minuten dauert der gesamte Vorgang.
Schwester Jaqueline zuckt mit den Schultern. „Das muss einfach auch sein, finde ich. Man hat ja selbst auch einen Anspruch – an sich selber. Wie gehe ich mit dem Patienten um?“

Mit 16 Jahren in die Ausbildung

„Aber die Arbeitsumstände sind mitunter nicht akzeptabel. Wir sind eben alle keine 25 mehr. Wenn man dann eben 20, 30 Jahre in diesem Beruf gearbeitet hat mit dieser körperlichen Belastung, dann merkt man das eben. Und wenn dann die Belastung mit zunehmendem Alter noch mal mehr wird, statt weniger, dann merkt man es erst recht“, sagt sie.
Hendrik Bergmann, 16 Jahre alt, ist zurzeit als Praktikant auf der Station. In Kürze fängt er seine Ausbildung zur Pflegefachkraft an. Drei Jahre dauert sie. Von Kinderkranken- bis Altenpflege wird er alles lernen, spezialisieren wird er sich erst im dritten Ausbildungsjahr.

Ich möchte eventuell in die Intensivstation oder in die Rettungsstelle, also wo ein bisschen mehr Action ist. Die suchen ja ohne Ende Personal und da dachte ich mir: Warum nicht? Medizin war schon immer meins, also habe ich mich entschlossen, in die Pflege zu gehen. Irgendjemand muss ja so einen Job machen.

Hendrik Bergmann

Während er das Mittagessen an die Patienten austeilt, muss er nebenbei eine alte, demente Frau versorgen. Er will ihre Windel wechseln, schafft es aber nicht allein, sie zur Seite zu drehen. Also holt er Hilfe – die einzige Person, die gerade Zeit hat: eine Medizinstudentin, die ebenfalls gerade ein Praktikum auf der Station macht. 20 Minuten brauchen die beiden, dann haben sie es geschafft.

Viele hadern mit dem Job - Lea nicht

In Mannheim versorgt Lea Exner vom ambulanten Pflegedienst „Pflege im Quadrat“ ein altes Ehepaar, genauer: den 82-jährigen Mann. Er kann nicht mehr aufstehen. Die Ehefrau erklärt: „Mein Mann liegt seit gut einem Jahr im Bett, fest im Bett, und braucht auch zwei Mal am Tag Unterstützung, auch um die Windeln zu wechseln. Das könnte ich nicht machen. Das wäre zu anstrengend.“
Ihr Mann hat Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit. Lea Exner oder eine ihrer Kolleginnen machen jeden Morgen die kleine Körperpflege, zwei Mal die Woche die große: Duschen oder Baden.
Viele Pflegekräfte hadern mit ihrem Job, Lea Exner liebt ihn. Sie könne sich keinen anderen vorstellen, sagt sie. Die alten Menschen seien wirklich dankbar. Schlechte Erlebnisse gebe es, wenn überhaupt, nur mit dementen oder psychisch kranken Menschen. Da könne es schon mal passieren, dass sie einen schlagen. Aber selbst dafür habe sie Verständnis.

Es ist ja meistens nicht gegen einen persönlich gerichtet. Bei vielen ist es so: Sie wollen ihre Unabhängigkeit nicht verlieren. Und das am Anfang zu akzeptieren, ist das Schwerste. Wenn ich mir vorstelle, ich breche mir jetzt beide Arme und mir muss bei allem geholfen werden, weil es einfach nicht mehr geht – für mich wäre das auch im ersten Moment unvorstellbar.

Lea Exner

Im Büro von Panajotis Neuert kehrt für einen Moment Ruhe ein. Das Huhn schläft. Zeit, über Pflege in Deutschland zu sprechen. Und darüber, wie es dem jungen Mann gelungen ist, innerhalb von elf Jahren seinen ambulanten Pflegedienst zu einem erfolgreichen Mittelstandsunternehmen zu machen: mit inzwischen 286 überwiegend Vollzeit-Angestellten, alle sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

"Wir haben die Bank angelogen"

Kurzer Steckbrief: Groß geworden in einer 2-Zimmer-Wohnung überm Puff, wie er gern erzählt. Mit 16 erkannt, was seine wahre Mission ist: Krankenpflege. Mit 24 nach Anstellungen in verschiedenen Pflegeeinrichtungen festgestellt: Zu viele Grenzen für eigene Kreativität, ich muss mich selbstständig machen. Das war 2010.
„Meine Mutter, mein Papa haben damals ihre Bank angelogen, haben gesagt, sie würden gern ihre Küche renovieren, und hatten damals einen Kredit aufgenommen. 25.000 Euro waren das, und das war mein Startkapital“, erzählt er.
Seitdem kennt jeder und jede seinen Pflegedienst, alle wollen vom Stadtprinzen versorgt werden. Sein Gesicht wird zur Marke in Mannheim. Als gelernter Krankenpfleger weiß Joti, wie es ist, sich um einen Menschen zu kümmern. Als Geschäftsführer weiß er, ab wann das unrentabel wird.

Benefits als Wertschätzung

Deshalb macht er eine Mischkalkulation: Die eine Tour muss die andere Tour ausgleichen. Fast 1500 Kundinnen und Kunden in Mannheim und Umgebung lassen sich mittlerweile von „Pflege im Quadrat“ versorgen. Das Unternehmen könnte unbegrenzt wachsen. Der Bedarf ist riesig.

Der Pflegenotstand ist da, ganz klar. Da brauche ich keine wissenschaftliche Studie, ich sehe es einfach in der Praxis. Wir sind voll, Oberkante, Unterkante. Wir können keine aufnehmen. Aber wir haben täglich vier bis sechs Anfragen. Und das macht mir Angst, weil die Menschen nicht mehr versorgt werden können.

Panajotis Neuert

Pflegekräfte sind gefragt, da müsse man schon ein paar Benefits bereithalten, um sie an sich zu binden, meint Panajotis Neuert. Ein angemessener Lohn gehöre dazu, und zum Beispiel die Liege im zweiten Stock seines Firmensitzes.
„Hier kommt einmal im Monat die Thailänderin und macht kostenlose Massage für die Mitarbeitenden. 20 Minuten im 20-Minutentakt. Kann man sich auch online anmelden über unser Formular.“ Auch das Fitnessstudio um die Ecke können die Mitarbeitenden kostenlos nutzen. Und im Aufenthaltsraum, dort, wo zwischendurch die betriebsinterne Kita eingerichtet wird, findet jeden Mittwoch Yoga statt.

"Ich finde es uns gegenüber rücksichtslos"

Der Pflegeleiterin von Station 4A im Berliner Sana Klinikum Sabrina Didschuns verschlägt es fast die Sprache, als sie hört, was der Mannheimer Pflegedienstleiter für seine Belegschaft tut. „Cool! Das hat er gut gemacht, muss man sagen, das ist gut, wirklich!“
Es ist Freitag, 26. November 2021. Die Pflegeleiterin muss dafür sorgen, dass ihre Gynäkologie-Patientinnen auf andere Stationen verlegt werden. Die Corona-Infektionszahlen sind mittlerweile so hoch, dass die Klinikleitung beschlossen hat, ab Montag die komplette Station 4A, also alle 34 Betten, ausschließlich für Covid-Patienten bereitzuhalten.
„Wir kriegen jeden Tag mehrere Aufnahmen, wir haben von gestern Abend, 17, 18 Uhr, bis heute in der Früh, sechs Aufnahmen bekommen, Neuzugänge. Wenn die Patienten eine Covid-Infektion haben, die festgestellt wird, dann kommen die alle“, erzählt sie.
Die Corona-Pandemie ist und bleibt allgegenwärtig und wird es wohl auch noch eine Weile bleiben. Mittlerweile hat der Bundestag für das Personal in Pflegeheimen und Kliniken eine Impfpflicht beschlossen. Nicht gut, meint Schwester Sabrina.
„Jetzt beim Pflegepersonal anzufangen, die eh schon die ganze Zeit diese ganze Sache stemmen, ist nicht gut. Wir haben natürlich wie überall auch unsere Zweifler und Leute, die Fragen stellen. Ich glaube, uns fehlt dann noch mehr Pflegepersonal“, sagt sie.
Eine junge Frau und eine etwas ältere Frau stehen nebeneinander, mit Mundschutz und in Pflegekleidung in der Flucht eines Flures.
„Wir kriegen jeden Tag mehrere Aufnahmen": Schwester Sabrina (l.) und Schwester Jaqueline (r.).© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Auf ihrer Station sind alle geimpft, da ist sie sicher. Problematisch findet sie die Haltung der Menschen draußen. Wer nicht selbst erlebe, wie krank die Patienten auf einer Pandemiestation seien, könne gar nicht beurteilen, wie richtig und wichtig es sei sich impfen zu lassen. Schwester Sabrina diskutiert daher viel – im eigenen Freundeskreis und in der Familie.
„Meine Tochter zum Beispiel, also ihr Vater ist auch jemand, der nicht die Krankheit leugnet, aber an sich so gegen diese Maßnahmen ist. Meine Tochter geht ihm sehr nach. Da muss ich sie aufklären, wie es im Krankenhaus aussieht, was Sache ist. Und: Ich finde es unserer Arbeit gegenüber so rücksichtslos", sagt sie.

Schon wieder Covid-Station

Sabrina Didschuns will jedoch nicht weiter meckern. Sie sieht auch positive Ansätze. Zum Beispiel der gesetzlich festgelegte Einmalbonus in der Pflege. Je nachdem, wie hoch die Arbeitsbelastung für das Pflegepersonal in der Corona-Pandemie war und ist.
„Da freue ich mich drüber. Also es macht jetzt nicht die Arbeit leichter, wenn ich richtig Stress habe, fällt mir das Geld nicht unbedingt ein. Aber es ist schon wenigstens etwas. Das ist in dem Moment schon wertschätzend“, sagt sie.
Mit einem kurzen, kräftigen Druck auf den Hebel desinfiziert sie sich noch einmal die Hände. Dann versorgt die Pflegeleiterin eine ihrer Patientinnen in der Gynäkologie. Ein letztes Mal noch, bevor ihre Station für viele Wochen komplett umgewandelt wird zur Pandemiestation.
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