Einfluss der Kulturpolitik

Rezensiert von Kersten Knipp · 17.04.2011
Dieser Band macht deutlich: Die deutschen auswärtige Kulturpolitik hat einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die nationalen Gesellschaften, mit denen Deutschland und mit denen der Westen zu tun hat.
Das sprichwörtliche Nord-Süd-Gefälle ist in Sachen Kultur und Kompetenz außer Kraft gesetzt, und nicht nur das: Womöglich ist es sogar gerade dabei, sich in genau entgegen gesetzter Richtung zu neigen. Der Süden wäre dann oben, der Norden kräftig nach unten gerutscht.

Es ist dies kein spätes dekolonialistisches Gedankenspiel, jedenfalls nicht nur. Eine Revision des lang, vielleicht allzu lang Gedachten spielen derzeit auch deutsche Diplomaten und Kulturrepräsentanten durch. Sicher ist vor allem eines: Auswärtige Kulturpolitik ist für alle Beteiligten von Nutzen.

"Nirgendwo sind Projekte auf Augenhöhe und mit einem Gewinn für beide Seiten so leicht möglich wie auf den Gebieten von Kultur und Bildung. Es wäre fahrlässig, das nicht zu nutzen."

Immer stärker deutet sich ja an, dass die Dinge im Wandel sind. Das alte Nord-Süd-Gefälle ist zwar keine reine Fiktion, aber die alte Ordnung ist, Stichwort BRIC-Länder-Brasilien, Russland, Indien, China-, dabei, sich zu verändern. Immer mehr Deutsche lernen Mandarin, und auch Portugiesisch ist im Kommen.

Wenn das Erlernen fremder Sprachen auch ein Indikator dafür ist, wo man künftig Geschäfte zu machen hofft, dann zeigen eben auch die Sprachschüler, wo der Reichtum der Zukunft zu verorten ist. Insofern sind Kulturbeziehungen doppelt wichtig: Denn sie bringen auch den Deutschen erheblichen Erkenntnisgewinn.

"Wie Menschen unter schwierigen Bedingungen in einer Megalopolis überleben, arbeiten und zugleich künstlerisch und gestalterisch kreativ sind, hier können Europäer nur lernen."

Vor allem ist Kultur auch die vielleicht immer noch effektivste Brücke in ein fremdes Land. Jeder, der sich einmal von einem ausländischen Roman, Theaterstück oder Film, einer exotisch klingenden Melodie, oder Sprache hat verzaubern lassen, weiß, welche enorme Horizonterweiterung so etwas haben kann. Nicht haben muss, aber haben kann. Und es ist gar nicht so selten, dass den kulturellen dann auch politische und wirtschaftliche Beziehungen folgen.

Aber, warnen nahezu alle Autoren dieses Buches: Die Pflege dieser Beziehungen darf nicht paternalistisch betrieben werden. Genau das war aber in der Vergangenheit allzu oft der Fall. Denn auch global gab es ja eine Leitkultur, nämlich die der nördlichen, oder, je nach Blickwinkel, auch westlichen Staaten, also derjenigen Europas und der USA. Der Missmut, den das im Süden der Welt teilweise auf sich zog, hatte gefährliche Folgen. Das sei nicht erstaunlich, heißt es in dem Band. Gelinge es nicht, die Quellen der Demütigung dauerhaft stillzulegen, dann …

"… intensiviert sich die Suche nach einer diesem Mainstream entgegenstemmenden gesellschaftlichen oder politischen Kultur, die ihre extreme Ausprägung oft in irrationalen, aber hocheffizienten Heilsideologien findet."

Der religiöse Fundamentalismus ist dafür sicher das bekannteste Beispiel. Aber auch die kulturellen und ethnischen Chauvinismen kann man denken, vom Hindunationalismus über manche Formen des Indigenismus in Lateinamerika bis hin zu den Nationalisten und Terroristen im Baskenland. Dem arbeitet die Kultur entgegen - zumindest, wenn man unter "Kultur" jene weichen Faktoren versteht, die der Westen in den Ländern, in denen sich engagiert, zu implementieren versucht.

Allerdings müsse man den Kulturbegriff in seiner erweiterten Fassung denken. So reiche es nicht, Kindern in Entwicklungsländern Computerunterricht zu geben. Ebenso müsse man bedenken, welche neuen Abhängigkeiten und Begehrlichkeiten dadurch geschaffen würden und sich fragen, was die User in spe im Netz überhaupt suchen können. Denn selbstverständlich sei es nicht, dass aus Information Wissen und aus Computertechnologie Bildung werde. Die Ausbildung müsse bewusst gesteuert werden – und dabei spiele die Kultur eine erhebliche, vor allem aber wertneutrale Rolle. Ganz sicher sei nur eines.

"Kultur ist der Kontext, in dem Entwicklung stattfindet. Sie bildet den Rahmen für Entwicklung, egal ob von innen oder außen."

Kultur kann demnach vielerlei bedeuten und vielerlei repräsentieren. Und es wäre naiv, anzunehmen, Kultur stünde nur für das Schöne, Wahre und Gute. Kultur hat ihre Abgründe, ihr religiös, ethnisch oder nationalistisch betriebener Missbrauch zeigt das zur Genüge. Umso mehr komme es aber darauf an, auch diese womöglich missliebigen Spielarten zur Kenntnis zu nehmen. Dazu verpflichte schon der eigene politische Anspruch. Man müsse sich dem Unbequemen öffnen.

"Man kann es nicht - oder nur sehr schwer - verbieten, wenn man die zumindest für uns verfassungsrechtlich festgeschriebene Kulturfreiheit als demokratisches Element ernst nimmt."

Vor allem eine Botschaft ist Band zu entnehmen: Die Kultur hat in der deutschen auswärtigen Politik ein neues Gewicht bekommen. Sie ist nicht nur Zierde und schmückendes Beiwerk. Sie hat einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die nationalen Gesellschaften, mit denen Deutschland, mit denen der Westen zu tun hat.

Es geht nicht um einen kulturellen Schmusekurs, es geht um harte kulturelle Realitäten. Seit dem 11. September weiß man, wie sich diese auch auswirken können. Das hat man zur Kenntnis genommen. Und nun auch begonnen, darauf zu reagieren.


Jürgen Wilhelm (Hg.): Kultur und globale Entwicklung. Die Bedeutung von Kultur für die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung
Berlin University Press, 2010
241 Seiten, 39,90 Euro
Cover: "Jürgen Wilhelm: Kultur und globale Entwicklung"
Cover: "Jürgen Wilhelm: Kultur und globale Entwicklung"© Berlin University Press