"Einer, der gut funktioniert"
25.03.2011
Ivan Ivanji, 1929 im Banat geboren, war unter anderem Übersetzer Titos und Kulturattaché in Bonn. In seinem neuen Roman stellt er mit dem Protagonisten Siegfried Wahrlich einen Lebenslauf des 20. Jahrhunderts vor - unspektakulär, aber mit Tiefgang.
Siegfried Wahrlich hat eine Biografie des 20. Jahrhunderts, wie es davon viele in jenen bewegten Jahrzehnten im Herzen Europas gegeben haben mag: Am Vorabend des Ersten Weltkriegs als Sohn eines Kellners in Weimar geboren, wächst er in den unruhigen Jahren der Zwischenkriegszeit heran, studiert am Bauhaus, heiratet, erlebt KZ und Fronteinsatz, gerät in jugoslawische Gefangenschaft und verbringt die zweite Hälfte seines Lebens in der DDR, in seiner Heimatstadt.
Siegfried Wahrlich ist die Mensch gewordene Klammer des Romans, die viele reale Ereignisse der Geschichte verbindet. Umgekehrt sind die historischen Ereignisse die Markierungspunkte, an denen der Autor den Lebensweg seines Helden entlangführt.
Held ist dieser eigentlich gar nicht, "nicht Fisch, nicht Fleisch", sagt einmal eine jener Frauen über ihn, die als einzige in der Lage sind, seinen Willen zu politischen oder existenziellen Entscheidungen zu drängen. Sonst aber ziehen, wie es Ivan Ivanji ausdrückt, die Ereignisse Siegfried hinter sich her. Er wird Kommunist ohne Begeisterung, offenbar auch ohne je viel darüber zu reflektieren.
Dabei ist er sympathisch, absolut kein Opportunist, keiner, der sich nach dem Wind dreht. Vielmehr ist er Realist, Mathematiker, Handwerker, der es blendend versteht, technische Aufgaben in einem vorgegebenen Rahmen zu lösen, letztlich ein Kind seines Vaters, des servilen Kellners im Weimarer Hotel "Elephant": Dienstbar den anderen gegenüber. Wenn es aber um die Entwicklung eigener Kreativität, eigener Ideen geht, selbst um die Gestaltung des eigenen Schicksals, wirkt dieser Siegfried mitunter auf verlorenem Posten. Er ist einer, der gut "funktioniert" und sich damit auch zufrieden gibt. In seiner beruflichen Arbeit geht er auf. Er ist ein bescheidener, weder überaus empathischer noch romantischer Mensch, ein nüchterner Rechner, der nicht hoch hinaus will.
Ivan Ivanji schildert seinen Romanhelden mit zurückhaltender Sympathie, aber Verständnis für dessen Haltung, die meist ein Nicht-Entscheiden ist. Dabei gelingt es ihm, eine originäre Figur zu schaffen: Weder verwegenen Helden noch berechnenden Jasager, sondern einen vom Wesen unauffälligen Menschen, dessen Schicksal vielen seiner Zeitgenossen nicht unähnlich sein mag. Siegfrieds Lebensstationen in einer bewegten Zeit bleiben unspektakulär: Er wird inhaftiert, aber nicht gefoltert, er lebt bescheiden, leidet aber keinen Hunger, muss sich Schicksalsschlägen stellen, doch die sind nicht schlimmer als für die Mehrheit seiner Landsleute. Der Autor wie sein Protagonist halten sich auch nicht lange damit auf. Zwei, drei kurze Sätze, und die Tragik ist zur Kenntnis genommen.
Dennoch schafft es Ivanji mit seinem Roman zu fesseln. In gleichmäßigem Eilschritt nimmt er den Leser mit durch das bewegte 20. Jahrhundert. Dabei schreibt der Autor wie ein nüchterner Chronist, ohne zu be- oder verurteilen. Mitunter stellt er Fragen, die er gleichsam als Alternativen der Erklärung dem Leser anbietet, ohne Antworten zu geben.
Ivanji geht es um die Handlung, das Leben seines Hauptdarstellers, das er in gleichmäßigem Rhythmus begleitet. Anhand dieser konkreten Person erzählt er eine Zeitgeschichte Mitteleuropas, verknüpft gekonnt Geschichtliches mit Fiktion, beleuchtet die Zeiten vor, zwischen, in und nach den Weltkriegen neu und gibt jenen ein Gesicht, die zeitweise mit den Mächtigen in Berührung kommen, ohne je selbst berühmt zu werden.
Besprochen von Stefan May
Ivan Ivanji: Buchstaben von Feuer. Roman
Picus Verlag, Wien 2011
220 Seiten, 19,90 Euro
Siegfried Wahrlich ist die Mensch gewordene Klammer des Romans, die viele reale Ereignisse der Geschichte verbindet. Umgekehrt sind die historischen Ereignisse die Markierungspunkte, an denen der Autor den Lebensweg seines Helden entlangführt.
Held ist dieser eigentlich gar nicht, "nicht Fisch, nicht Fleisch", sagt einmal eine jener Frauen über ihn, die als einzige in der Lage sind, seinen Willen zu politischen oder existenziellen Entscheidungen zu drängen. Sonst aber ziehen, wie es Ivan Ivanji ausdrückt, die Ereignisse Siegfried hinter sich her. Er wird Kommunist ohne Begeisterung, offenbar auch ohne je viel darüber zu reflektieren.
Dabei ist er sympathisch, absolut kein Opportunist, keiner, der sich nach dem Wind dreht. Vielmehr ist er Realist, Mathematiker, Handwerker, der es blendend versteht, technische Aufgaben in einem vorgegebenen Rahmen zu lösen, letztlich ein Kind seines Vaters, des servilen Kellners im Weimarer Hotel "Elephant": Dienstbar den anderen gegenüber. Wenn es aber um die Entwicklung eigener Kreativität, eigener Ideen geht, selbst um die Gestaltung des eigenen Schicksals, wirkt dieser Siegfried mitunter auf verlorenem Posten. Er ist einer, der gut "funktioniert" und sich damit auch zufrieden gibt. In seiner beruflichen Arbeit geht er auf. Er ist ein bescheidener, weder überaus empathischer noch romantischer Mensch, ein nüchterner Rechner, der nicht hoch hinaus will.
Ivan Ivanji schildert seinen Romanhelden mit zurückhaltender Sympathie, aber Verständnis für dessen Haltung, die meist ein Nicht-Entscheiden ist. Dabei gelingt es ihm, eine originäre Figur zu schaffen: Weder verwegenen Helden noch berechnenden Jasager, sondern einen vom Wesen unauffälligen Menschen, dessen Schicksal vielen seiner Zeitgenossen nicht unähnlich sein mag. Siegfrieds Lebensstationen in einer bewegten Zeit bleiben unspektakulär: Er wird inhaftiert, aber nicht gefoltert, er lebt bescheiden, leidet aber keinen Hunger, muss sich Schicksalsschlägen stellen, doch die sind nicht schlimmer als für die Mehrheit seiner Landsleute. Der Autor wie sein Protagonist halten sich auch nicht lange damit auf. Zwei, drei kurze Sätze, und die Tragik ist zur Kenntnis genommen.
Dennoch schafft es Ivanji mit seinem Roman zu fesseln. In gleichmäßigem Eilschritt nimmt er den Leser mit durch das bewegte 20. Jahrhundert. Dabei schreibt der Autor wie ein nüchterner Chronist, ohne zu be- oder verurteilen. Mitunter stellt er Fragen, die er gleichsam als Alternativen der Erklärung dem Leser anbietet, ohne Antworten zu geben.
Ivanji geht es um die Handlung, das Leben seines Hauptdarstellers, das er in gleichmäßigem Rhythmus begleitet. Anhand dieser konkreten Person erzählt er eine Zeitgeschichte Mitteleuropas, verknüpft gekonnt Geschichtliches mit Fiktion, beleuchtet die Zeiten vor, zwischen, in und nach den Weltkriegen neu und gibt jenen ein Gesicht, die zeitweise mit den Mächtigen in Berührung kommen, ohne je selbst berühmt zu werden.
Besprochen von Stefan May
Ivan Ivanji: Buchstaben von Feuer. Roman
Picus Verlag, Wien 2011
220 Seiten, 19,90 Euro