Das Ende einer Provinz-Idylle
Eine kleine Stadt im jungen Königreich Jugoslawien zwischen den Weltkriegen bietet den Schauplatz für die "Geister aus einer kleinen Stadt". Deutsche, Serben, Ungarn, Roma und Juden wohnen hier bunt gemischt und mehr oder weniger in Harmonie. Doch in Deutschland ist Hitler ist an die Macht gekommen. Ivan Ivanji malt ein Stimmungsbild eines kaum bekannten Fleckens Europas - erst in warmen, dann in nüchternen Farben.
Eine kleine Stadt im Banat zwischen den Weltkriegen: Ein Minischmelztiegel im jungen Königreich Jugoslawien. Ivan Ivanji schildert im ersten Teil seines Romans eine beschauliche Idylle. Deutsche, Serben, Ungarn, Roma und Juden wohnen hier bunt gemischt, leben miteinander und voneinander in Frieden und mehr oder weniger in Harmonie.
Noch, denn in Deutschland gärt es. Hitler ist an die Macht gekommen, und die ersten Juden im Städtchen fragen sich, ob es bald auch für sie gefährlich werden könnte. Die Beschaulichkeit aber hält noch an, der Autor stellt dem Leser eine Handvoll Einwohner der kleinen Stadt vor, "die am Kanal liegt, der sich gerne Fluss nennen lässt". Und lässt beiläufig wissen, dass sich hier so gut wie alle Menschen in drei Sprachen verständigen: auf serbisch, ungarisch und deutsch.
In der Mehrzahl sind es die jüdischen Bürger, die Ivan Ivanji kapitelweise präsentiert: Den Buchhändler, der Wert darauf legt, Rittmeister in der k.und k. Armee gewesen zu sein, die Familie des Gynäkologen, den bescheidenen Kunsttischler, den neureichen Holzhändler, den nachlässigen Wasserverkäufer, die Modistin, die Hüte nach der neuesten Budapester Mode entwirft.
Daneben treten auch noch der Pope und seine drei Töchter auf, der deutsche Industrielle oder der "Zigeunerkönig", das Oberhaupt der Roma. Doch sie dienen eigentlich mehr der Abrundung des Bildes der jüdischen Bürger in der Stadt, die keineswegs eine eigene Kaste bilden, zumal die meisten von ihnen ihre Religion nicht praktizieren, vielmehr eine Mischung jüdischer und orthodoxer Bräuche die Kleinstadt prägt. Dennoch sind die Juden auch nicht völlig integriert im Städtchen, zumindest fühlen sie sich nicht so und strengen sich mitunter deshalb noch mehr an, als tadellose Bürger zu gelten.
Eines haben alle jüdischen Stadtbewohner gemeinsam: Den Besitz von Hunden. Auch sie stellt der Autor liebevoll vor: Den Dackel des Apothekers, die Doggen des Holzhändlers, den Dalmatiner der Modistin und den Pudel Zucki der Arztfamilie.
Als die nationalsozialistischen Gräuel dann schneller als erwartet über die kleine Stadt hereinbrechen, schildert Ivanji auch das Schicksal der Hunde, das so unterschiedlich wie das ihrer Besitzer ist: Von denen können nur wenige fliehen oder schließen sich den Partisanen an, einige werden sofort ermordet, andere in Lager gebracht und sterben dort. Auch die Hunde werden entweder gleich erschossen, als sie ihre Herrchen verteidigen, kommen zu "arischen" Familien oder gehen auf lange Suche nach den Verschwundenen.
Ivan Ivanji gliedert seinen Roman in drei Teile: In die Friedenszeit, an deren Horizont sich das Unheil bereits ankündigt, die Kriegszeit mit dem tragischen Schicksal der meisten Protagonisten aus dem ersten Teil, und die Nachkriegszeit mit dem Versuch einer Normalisierung.
Im letzten Kapitel, in dem der 80-jährige nach Amerika ausgewanderte Sohn der ermordeten Modistin erstmals wieder seine Heimatstadt besucht und nicht mehr viel Vertrautes entdecken kann, scheint die Person des greisen Besuchers mit der des Autors zu verschwimmen, und es liegt der Schluss nahe, dass der Roman sehr viel mehr Autobiografisches enthält, als die nüchterne Erzählung zugibt.
Ivan Ivanji malt ein Stimmungsbild in erst warmen, dann, während der NS-Grausamkeit, nüchternen Farben eines unspektakulären und kaum bekannten Fleckens Europas. Auf bestürzende Weise zeigt er, wie eine willkürliche Ideologie gleich einem Blitz von außen in eine funktionierende multikulturelle Gemeinschaft fahren und sie so zerstören kann, dass sie nachher nie wieder so sein kann wie zuvor.
Ivanji greift ein zwar schon vielfach behandeltes Thema auf, kann aber nicht nur durch die Typisierung der einzelnen Charaktere und ihr Schicksal berühren, sondern führt durch die Auswahl der wenig prominenten Region des Banat und die Hundeperspektive als Vergleichsebene neue Aspekte ein.
Rezensiert von Stefan May
Ivan Ivanji: Geister aus einer kleinen Stadt
Picus Verlag Wien 2008,
199 Seiten, 19,90 Euro
Noch, denn in Deutschland gärt es. Hitler ist an die Macht gekommen, und die ersten Juden im Städtchen fragen sich, ob es bald auch für sie gefährlich werden könnte. Die Beschaulichkeit aber hält noch an, der Autor stellt dem Leser eine Handvoll Einwohner der kleinen Stadt vor, "die am Kanal liegt, der sich gerne Fluss nennen lässt". Und lässt beiläufig wissen, dass sich hier so gut wie alle Menschen in drei Sprachen verständigen: auf serbisch, ungarisch und deutsch.
In der Mehrzahl sind es die jüdischen Bürger, die Ivan Ivanji kapitelweise präsentiert: Den Buchhändler, der Wert darauf legt, Rittmeister in der k.und k. Armee gewesen zu sein, die Familie des Gynäkologen, den bescheidenen Kunsttischler, den neureichen Holzhändler, den nachlässigen Wasserverkäufer, die Modistin, die Hüte nach der neuesten Budapester Mode entwirft.
Daneben treten auch noch der Pope und seine drei Töchter auf, der deutsche Industrielle oder der "Zigeunerkönig", das Oberhaupt der Roma. Doch sie dienen eigentlich mehr der Abrundung des Bildes der jüdischen Bürger in der Stadt, die keineswegs eine eigene Kaste bilden, zumal die meisten von ihnen ihre Religion nicht praktizieren, vielmehr eine Mischung jüdischer und orthodoxer Bräuche die Kleinstadt prägt. Dennoch sind die Juden auch nicht völlig integriert im Städtchen, zumindest fühlen sie sich nicht so und strengen sich mitunter deshalb noch mehr an, als tadellose Bürger zu gelten.
Eines haben alle jüdischen Stadtbewohner gemeinsam: Den Besitz von Hunden. Auch sie stellt der Autor liebevoll vor: Den Dackel des Apothekers, die Doggen des Holzhändlers, den Dalmatiner der Modistin und den Pudel Zucki der Arztfamilie.
Als die nationalsozialistischen Gräuel dann schneller als erwartet über die kleine Stadt hereinbrechen, schildert Ivanji auch das Schicksal der Hunde, das so unterschiedlich wie das ihrer Besitzer ist: Von denen können nur wenige fliehen oder schließen sich den Partisanen an, einige werden sofort ermordet, andere in Lager gebracht und sterben dort. Auch die Hunde werden entweder gleich erschossen, als sie ihre Herrchen verteidigen, kommen zu "arischen" Familien oder gehen auf lange Suche nach den Verschwundenen.
Ivan Ivanji gliedert seinen Roman in drei Teile: In die Friedenszeit, an deren Horizont sich das Unheil bereits ankündigt, die Kriegszeit mit dem tragischen Schicksal der meisten Protagonisten aus dem ersten Teil, und die Nachkriegszeit mit dem Versuch einer Normalisierung.
Im letzten Kapitel, in dem der 80-jährige nach Amerika ausgewanderte Sohn der ermordeten Modistin erstmals wieder seine Heimatstadt besucht und nicht mehr viel Vertrautes entdecken kann, scheint die Person des greisen Besuchers mit der des Autors zu verschwimmen, und es liegt der Schluss nahe, dass der Roman sehr viel mehr Autobiografisches enthält, als die nüchterne Erzählung zugibt.
Ivan Ivanji malt ein Stimmungsbild in erst warmen, dann, während der NS-Grausamkeit, nüchternen Farben eines unspektakulären und kaum bekannten Fleckens Europas. Auf bestürzende Weise zeigt er, wie eine willkürliche Ideologie gleich einem Blitz von außen in eine funktionierende multikulturelle Gemeinschaft fahren und sie so zerstören kann, dass sie nachher nie wieder so sein kann wie zuvor.
Ivanji greift ein zwar schon vielfach behandeltes Thema auf, kann aber nicht nur durch die Typisierung der einzelnen Charaktere und ihr Schicksal berühren, sondern führt durch die Auswahl der wenig prominenten Region des Banat und die Hundeperspektive als Vergleichsebene neue Aspekte ein.
Rezensiert von Stefan May
Ivan Ivanji: Geister aus einer kleinen Stadt
Picus Verlag Wien 2008,
199 Seiten, 19,90 Euro