Eine Wahl ohne Alternative?

Von Marina Schweizer · 13.08.2013
Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Bundestagswahl, doch der Wahlkampf kommt nicht richtig in Schwung. Aber warum? Fehlt es an Themen, an Alternativen, an grundsätzlichen Fragen? Lohnt es sich überhaupt, zur Wahl zu gehen?
Asymmetrie und Zukunftsverweigerung – das sind nur zwei der Schlagworte, die zum aktuellen Wahlkampf fallen. Der Volkswirtschaftler und Wachstumskritiker Niko Paech spricht von einer Realitätsallergie in der Politik:

"Alle Parteien, die in den Parlamenten vertreten sind, die beten immer noch das Credo des unbegrenzten Wachstums vor und streiten sich nur über die Farbe des Wachstums. Da gibt's das grüne Wachstum, das gelbe Wachstum, das rote Wachstum und das schwarze Wachstum, aber Wachstum ist halt immer der Kern aller Politikvorschläge, die wir heute erleben."

Paech fordert Reduktion statt Wachstum. Abgesehen davon: Seine Aussage deutet auf das Kernproblem in diesem Wahlkampf hin: Die Parteien scheinen sich kaum noch zu unterscheiden. Ein Zeichen dafür ist auch die Aussage von Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG-Metall – für die SPD markieren seine Worte eine Zäsur:

"Sie wissen - und da muss man ja gar keinen Hehl draus machen -, die alte historische Verbundenheit zur Sozialdemokratie ist durch die Agenda-2010-Politik beendet worden. Es gibt keine natürliche Nähe oder natürliche Präferenz für eine Partei, wir sind parteipolitisch neutral."

Gewerkschafter Urban lässt es sich aber auch nicht nehmen, der Bundesregierung eine penetrante Selbstzufriedenheit zu attestieren.

Der Wahlkampf ist asymmetrisch, das beobachtet Gesine Schwan, zweimal Kandidatin der SPD für das Amt der Bundespräsidentin. Die aktuellen politischen Themen seien so kompliziert, dass sich viele Wähler gar kein Urteil zutrauen.

"… und zum anderen, dass sie, und das ist komplementär dazu, das politische Vertrauen in Politikerinnen und Politiker oder in Programme abgelöst haben durch ein persönliches Vertrauen, das fast grenzenlos ist. Das ist eine Entpolitisierung, und ich glaube, der entscheidende Grund dafür ist, dass es Deutschland gegenwärtig vor allem im Vergleich mit den anderen europäischen Staaten so relativ sehr gut geht, jedenfalls etwa vier Fünftel der Deutschen."

Die Bürgerinnen und Bürger verdrängen Zukunftsthemen, weil es vielen gut gehe und der Blick in die Zukunft unübersichtlich sei. Gesine Schwan wünscht sich wieder Politikertypen wie Willy Brandt: Er habe nicht nur taktiert, sondern auch einmal Leidenschaft für Themen geweckt, die nicht von vornherein opportun waren.

Brandts ehemaliger Planungschef im Kanzleramt, Albrecht Müller, kann diesen Wunsch nachvollziehen. Beim aktuellen Kanzlerkandidaten der SPD vermisst er – zumindest inhaltlich – die gewünschten Ecken und Kanten. Peer Steinbrück müsste Profil zeigen, in dem er gegen eigene frühere Entscheidungen antrete, etwa die Agenda 2010. Ohnehin habe die SPD nur eine Chance, zu regieren, so Müller:

"Ja, es ist ja sehr seltsam, dass die SPD und auch die grüne Führung auf der Möglichkeit Rot-Grün beharren, obwohl Rot-Grün nach den Umfragen, die ich nicht überbewerten will, in den letzten Monaten nie über 40, 41 Prozent hinausgekommen ist, häufig darunter. Das weiß also jeder, dass das nicht reicht. Und dennoch verweigern diese beiden Parteien die mögliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Das wäre die einzige Chance, überhaupt eine Alternative zu Frau Merkel und ihrer Parteigruppierung Schwarz-Gelb hinzukriegen. Und nicht mal diese Alternative bietet man uns, sondern verweigert sich, dem zu folgen."

Albrecht Müller denkt in diesem Jahr gar über Nichtwählen nach. Das wiederum ist keine Alternative für den ehemaligen Kultursenator von Berlin, Christoph Stölzl, CDU. Egal wie langweilig ein Wahlkampf scheinen mag: Eine Wahl entscheide das Schicksal eines Landes. Auch wenn die Parteien sich angenähert haben, gebe es noch immer viele Themen, die die Menschen bewegen müssten:

"Also Richtungsfragen gibt es jede Menge, dass niemand - also sagen wir es, die Wohnungsprobleme der Ballungsräume, die ganze Frage der Niedriglohngruppen, die ganze Frage der befristeten Arbeitsverhältnisse. Wir tun so, als hätten wir eine ganz tolle Vollbeschäftigung, jeder Statistiker weiß, dass es aus der Nähe ganz anders aussieht."

Steht also am Ende mehr zur Wahl, als der Wahlkampf vermuten lässt? Laut Christoph Stölzls Prognose wird eines in den kommenden Wochen eine entscheidende Rolle spielen:

"Wir sind in einer optischen Demokratie, und die Personen, wie sie so sind, haben auch in diesem Polittheater eine Riesenrolle, und es ist bisher in der Tat nicht zu diesem spannenden Theaterdrama gekommen, Steinbrück oder Merkel."

Stölzl glaubt, der Wahlkampf werde am Ende dann doch noch etwas aufregender werden. Vielleicht springt der Funke ja bei den direkten Duellen auf den gelangweilten Demokratiezuschauer über.


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