Eine Sternstunde für die Kunstgeschichte

Von Kerstin Schweighöfer · 09.09.2013
Lange wurde Van Goghs "Sonnenuntergang bei Montmajour" für eine Fälschung gehalten und verstaubte auf dem Dachboden eines norwegischen Sammlers. Jetzt bescheinigten Forscher seine Echtheit, Van Gogh hatte es selbst in einem Brief erwähnt.
"Dames en heren, welkom in het Van Gogh-Museum."

Museumsdirektor Axel Rüger machte es spannend. "Selten bin ich so froh gewesen wie heute”, sagte er bei der Eröffnung der Pressekonferenz heute Vormittag im Van Gogh Museum – einem ganz besonderen Vormittag, betonte er. Erst auf niederländisch und dann für die angereiste Auslandspresse auch auf Englisch:

"”This is a very very special morning for us.”"

Neuigkeiten habe er, große Neuigkeiten. So etwas sei in der Geschichte seines Museums noch nie vorgekommen. So etwas komme in der Kunstgeschichte sowieso nur ganz selten vor. Und dann sagte Rüger endlich das, was die meisten nicht zu hoffen gewagt hatten – eben weil es so gut wie nie vorkommt: Das Van Gogh Museum hat ein neues Gemälde von Vincent van Gogh entdeckt.

"”... a new work by Vincent van Gogh.”"

Ein Schlüsselwerk, großformatig, von 1888, entstanden in Arles. So wie die ”Sonnenblumen", wie ”Das gelbe Haus", wie ”Das Schlafzimmer”. Also in Van Goghs Blütezeit, in seiner fruchtbarsten Periode als Künstler.

"”Ladies and gentlemen, the big moment is coming ...”"

Und dann spannte Museumsdirektor Rüger die Wartenden nicht länger auf die Folter. Das neue Werk wurde enthüllt. Worauf ein Blitzlichtgewitter folgte, das so manche Hollywooddiva vor Neid hätte erblassen lassen. "Sonnenuntergang bei Montmajour”, heißt die Neuentdeckung, erklärt ein überglücklicher Axel Rüger dem Deutschlandradio:

"Das ist für uns eine der allergrößten Sternstunden dieses Museums. Dass wir wirklich ein unbekanntes Werk dem Oeuvre zufügen können von Vincent van Gogh. Das hat keiner meiner Kollegen bislang mitgemacht. Und es ist auch wirklich ein wichtiges Werk. Insofern ist es ein ganz besonderer Moment."

Das Bild ist groß, fast 80 mal 100 Zentimeter. Es zeigt eine Heidelandschaft außerhalb von Arles und ist in vielen Grün- und Blaunuancen gehalten. Mit den für Van Gogh so charakteristischen Pinselstrichen: lose, dick, wild, pastos. Im Vordergrund sind Felsen zu sehen. Und krumm gewachsene Eichenbäume, wie sie für die Provence typisch sind. Gleich wird die Sonne untergehen.

"Dadurch ist die Luft oder Himmel etwas rosa gefärbt. Und dann im Hintergrund noch die Ruine des Klosters Montmajour."

Das Gemälde stammt aus Privatbesitz. Die Eigentümer haben vermutet, dass es sich um einen echten Van Gogh handeln könnte. Vor zwei Jahren wandten sie sich deshalb an die Experten in Amsterdam. "Nähere Angaben zu den Eigentümern machen wir nicht”, sagt der Leiter des Forschungsteams Louis van Tilborgh:

"We zeggen helemaal niets over de verzamelaar of waar het vandaan komt."

Die Van Gogh-Experten entdeckten, dass es sich um ein Gemälde handelt, das seit über 100 Jahren als verschollen galt. Dass Van Gogh es gemalt hat, war bekannt, bloß wusste niemand, wo es geblieben war. Es wird in der Kollektion seines Bruders Theo aufgeführt. Dort ist es als Nummer 180 inventarisiert. "

Der Museumdirektor des Amsterdamer Van-Gogh-Museums Axel Rüger präsentiert neues Van-Gogh-Gemälde "Sonnenuntergang bei Montmajour"
Der Museumdirektor des Amsterdamer Van-Gogh-Museums Axel Rüger präsentiert neues Van-Gogh-Gemälde "Sonnenuntergang bei Montmajour"© picture alliance / dpa / Olaf Kraak
Hundert Jahre auf dem Dachboden verstaubt
1901 wurde es erstmals verkauft”, erklärt Van Gogh-Forscher Louis van Tilborgh. Ein paar Jahre später landete es in Oslo bei einem norwegischen Sammler. Der bekam kurz darauf zu hören, er habe eine Fälschung erworben. Daraufhin wollte er das Bild nicht mehr sehen und verbannte es auf seinem Speicher. Dort blieb es bis zu seinem Tod. Deshalb war es so lange verschwunden.

Nach dem Tod des Sammlers 1970 wurde es verkauft und wechselte mehrmals den Besitzer. Das Van Gogh Museum beschäftigt sich nicht zum ersten Mal mit dem Bild. Bereits 1991 hatten es die damaligen Eigentümer dem Amsterdamer Institut zur Prüfung überlassen. Doch damals kamen die Experten zu dem Schluss, es handele sich um keinen authentischen van Gogh. Nicht zuletzt deshalb, weil das Bild weder datiert noch signiert ist und in der Verarbeitung des Vordergrundes auch ein paar Schwächen aufweist.

Rund 20 Jahre später, dank neuer Techniken und Untersuchungsmethoden, haben die Forscher dieses Urteil revidiert: So etwa ließen Stil und Pinselstrich keinen Zweifel daran, dass es ein echter Van Gogh sei:

"”… dat het namelijk van Vincent van Gogh is.”"

Das gilt auch für die Farbpigmente. Sie entsprechen genau den Pigmenten, die Van Gogh auf seiner Palette in Arles verwendete. Dieselbe Leinwand und Grundierung benutzte der Künstler auch für ein Landschaftsbild, das ebenfalls 1888 entstanden ist: "Die Felsen” aus dem Museum of Fine Arts in Houston.

Auf der Rückseite des "Sonnenuntergangs” prangt die Inventarnummer 180 – geschrieben vom Verpacker, der im Kunsthandel von Theo van Gogh angestellt war – eine den Amsterdamer Van Gogh-Forschern vertraute Handschrift:

"In een handschrift die we ook kennen, waar dezelfde nummers opstaan."

Es gibt auch einen Brief, in dem Vincent van Gogh das Bild und die Landschaft genaustens schildert. Dadurch kann die Neuentdeckung auch datiert werden, freut sich Kunstexperte Louis van Tilborgh. Van Gogh malte den "Sonnenuntergang bei Montmajour” am 4. Juli 1888:

""Eine solche Sternstunde erlebt man nur einmal in seinem Leben. Die letzten beiden Jahre waren wirklich etwas ganz Besonderes. Dass jemand, der sich so wie ich seit Jahren mit Van Gogh und seinem Werk auseinandersetzt, eine solche Entdeckung machen darf, das passiert nicht oft.”"

Links zum Thema bei dradio.de

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Vincent van Gogh: Selbstportrait mit Strohhut, 1887
Vincent van Gogh: Selbstportrait mit Strohhut, 1887© Amsterdam, Van Gogh Museum - Vincent van Gogh Foundation