"Ein sehr experimenteller Van Gogh"

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Ulrike Timm · 09.09.2013
"Man merkt, wie er richtig Lust hat, da mit Licht und mit Farbe zu spielen", sagt der Kunstexperte Stefan Koldehoff über das heute vorgestellte Van-Gogh-Gemälde. Das Bild habe über 100 Jahre auf dem Dachboden eines norwegischen Fabrikanten geschlummert. An der Echtheit gebe es keine Zweifel.
Ulrike Timm: Vincent van Gogh – auch wer kein so großer Kunstkenner ist, sieht von diesem Maler vor dem inneren Auge wohl schnell ein Bild vor sich: der breite Strich, das wunderbare Blau des provencialischen Himmels, das leuchtende Gelb der Sonnenblumen – Werke, geschaffen von einem zu Lebzeiten völlig erfolglosen Künstler, abgerungen einem von Krisen und psychischen Zusammenbrüchen geprägten Leben. Vincent van Gogh lebte von 1853 bis 1890 und ist heute einer der berühmtesten und teuersten Maler der Welt.

Mein Kollege Stefan Koldehoff hatte heute Vormittag womöglich einen der spannendsten Momente seines Berufslebens: Das Amsterdamer Van-Gogh-Museum präsentierte im kleinen Kreis ein bislang unbekanntes Gemälde von van Gogh. Stefan Koldehoff ist der Kunstfachmann bei uns im Deutschlandradio und er ist Buchautor. Schönen guten Tag!

Stefan Koldehoff: Ich grüße Sie – guten Tag!

Timm: Ist das denn tatsächlich so ein exorbitanter Termin für Sie gewesen im Museum, wie es vorher ja gewispert worden war?

Koldehoff: Schon die Inszenierung war jedenfalls großartig! Die ausgewählten Journalisten, die dabei sein durften, wurden zu einer großen Staffelei aus Holz geführt, und man sah, dass ein ebenfalls sehr großes Bild darauf stand, das aber noch verhüllt war mit einem weißen Tuch. Dann begrüßte der Direktor des Van-Gogh-Museums, Axel Rüger, ein Deutscher, mal erst auf Niederländisch und auf Englisch und erzählte, was für ein großer Augenblick das sei, und letztlich war er das schon auch ja.

Es ist vorgestellt worden ein Spätwerk von van Gogh, ein richtig bedeutendes Werk - Sie haben die Sonnenblumen gerade schon genannt -, ein Werk aus dem Jahr 1888, also aus der Zeit des Schlafzimmers und der Sonnenblumen und des gelben Hauses und der Zeit in Südfrankreich, als van Gogh nicht mehr der Suchende und der Ausprobierende war, der mal erst wie in Paris vorher noch rausfinden musste, wie das mit den Farben und den Formen und dem Licht so alles funktioniert, sondern tatsächlich der van Gogh, den man heute kennt und für den auch wahnsinnig viel Geld bezahlt wird.

Timm: Und was war nun genau hinter dem Vorhang? Beschreiben Sie uns dieses Bild doch mal.

Koldehoff: Ach, da kann man van Gogh selbst sprechen lassen, denn lustigerweise hat er in einem Brief am 5. Juli 1888 an seinen Bruder Theo genau dieses Bild beschrieben. Es heißt da: "Gestern bei Sonnenuntergang war ich auf einer steinigen Anhöhe, wo sehr kleine verdrehte Eichen wachsen, im Hintergrund eine Ruine auf dem Hügel und Weizenfelder im Tal. Die Sonne goss ihre sehr gelben Strahlen über Büsche und Boden, absolut eine Dusche aus Gold."

Er hat also gemalt in der Nähe der Klosterruine von Montmajour, zwischen Arles und Saint-Rémy, den beiden Orten, in denen er gelebt hat in Südfrankreich. Man wusste auch schon, dass er dort sehr viel gezeichnet hat, großformatige Rohrfederzeichnungen, ganze Serien von Montmajour sind bekannt.

Man hatte aber dieses Zitat, das ich da gerade gelesen habe, dass es auch ein Gemälde gibt mit dieser Ruine, bisher einem ganz anderen Bild zugeschrieben und dabei völlig übersehen, dass auf diesem anderen Bild im Museum von Houston gar keine Ruine zu sehen ist, und das war jetzt einer der Punkte, die dafür sprechen, dass tatsächlich das heute vorgestellte Bild das richtige und damit ein echtes ist.

Timm: Ist es denn ein guter van Gogh, gemessen an den Sonnenblumen oder dem "Sternenhimmel von Arles"?

""Es ist schon ein sehr schönes Bild""

Koldehoff: Ich finde schon, weil es ein sehr experimenteller van Gogh ist. Man merkt, wie er richtig Lust hat, da mit Licht und mit Farbe zu spielen, zu gucken, wo er die Akzente in dieser eigentlich durchgehend blau-grünen Wald- und Bäumelandschaft setzt, und dann eben doch auch im Hintergrund das Korn mit reinbekommt und die eine Seite dieser nur sehr, sehr klein dargestellten Klosterruine dann gelb malt, um den Sonnenuntergang darzustellen, im Vordergrund dann wieder einige Felsen aus eisigem Blau.

Es ist schon ein sehr schönes Bild, es ist auch ein sehr großes übrigens, 93 mal 73 Zentimeter. Das war so ein Standardformat, das van Gogh oft benutzt hat. Ich finde, ehrlich gesagt, schon, dass "Sensation" nicht unpassend ist, denn aus solchen Bildern gehen dann ja auch immer andere kunsthistorische Einordnungen hervor. Man hat bisher gedacht, dem ging es da unten wirtschaftlich so schlecht – er musste ja seinen Bruder Theo in Paris immer um Leinwand und um Farben bitten -, dass er einfach diese Motivserie nur in Rohrfederzeichnungen - kostete ja nicht viel: ein bisschen Tinte, ein bisschen Papier - festgehalten hat. Davon muss man jetzt Abschied nehmen. Es ist jetzt klar, dass es ein und wahrscheinlich sogar zwei Bilder gibt, die das ganze auch in Öl umgesetzt haben.

Timm: Also erzählt uns dieses Bild auch Neues vom Maler, was wir bisher nicht wussten?

Koldehoff: Ja, das würde ich schon sagen. Das Bild ist in den letzten zwei Jahren sehr ausführlich hier in Amsterdam untersucht worden. Das heißt, man hat auch wieder neue Erkenntnisse über die Zusammensetzung seiner Farben gefunden, man hat Spuren in den Pastosen, den erhabenen Farbresten auf der Leinwand gefunden, die darauf hindeuten, dass das Bild irgendwann mal gerollt war, höchst wahrscheinlich an Theo in Paris geschickt wurde. Man weiß, denn diese Briefstelle, die ich vorhin zitiert habe, geht weiter, dass er selbst mit diesem Bild auch gar nicht so zufrieden war. Viele Bilder, mit denen er gar nicht so zufrieden war, hat er direkt zerstört, das hier hat er offensichtlich trotzdem an Theo geschickt.

Da lassen sich eine Fülle von Erkenntnissen rausziehen, denn auch ein Bild, das ein Maler selbst gar nicht so gut findet, sagt ja viel über ihn und seine Ansprüche aus.

Timm: Herr Koldehoff, Sie sagten eben, es ist zwei Jahre lang untersucht worden. Es war den Kunstexperten offenbar bekannt. Wie kommt das überhaupt, dass man dann doch einen neuen van Gogh findet, so was wie die Stradivari auf dem Dachboden, die einmal in hundert Jahren dann tatsächlich eine echte ist?

Koldehoff: Ja, genau so ist es, und die Sache mit dem Dachboden stimmt tatsächlich auch. Dass van Goghs auftauchen, ist nicht so furchtbar selten, auch nicht so furchtbar häufig, aber es kam in den letzten 30 Jahren durchaus sechs-, siebenmal vor, dass Bilder aufgetaucht sind, die man vorher noch nicht kannte. Das waren allerdings meistens Blumenstillleben aus der Zeit in Paris, die einfach in den Briefen an seinen Bruder nicht dokumentiert waren, weil er damals bei seinem Bruder lebte und ihm gar nicht zu schreiben brauchte, die er verschenkt hatte an Freundinnen, an Modelle, für die er kein Geld hatte. Das waren keine spektakulären Bilder, das waren mehr so Experimentierbilder.

Dieses hier ist offenbar im Nachlass gewesen, denn im Nachlassverzeichnis von 1890 taucht das Bild unter der Nummer 180 auf als Herbstlandschaft. Die Nummer 180 ist übrigens auch handschriftlich auf der Rückseite der Leinwand zu finden, also eine weitere "Smoking Gun", dass es sich tatsächlich um dieses Bild handelt.

Und das hat ganz offensichtlich um 1908 ein norwegischer Margarinefabrikant gekauft. Irgendwann kurz darauf kam zu diesem norwegischen Sammler, der eigentlich auf Munch sich konzentriert hatte, ein französischer Diplomat zu Besuch, sah dieses Bild an der Wand hängen und sagte dem, "Das ist ja sehr nett, aber van Gogh ist das im Leben nicht, da hat man Sie übers Ohr gehauen. Bleiben Sie, lieber Norweger, mal lieber bei Ihren Munch, da verstehen Sie was von. Van Gogh ist das im Leben nicht."

Der Sammler fühlte sich danach so düpiert, dass er beschlossen hat, dieses Bild sofort von der Wand abzunehmen und auf einen Speicher zu hängen oder zu stellen, und da ist es dann tatsächlich fast 100 Jahre lang geblieben, weil man der Meinung war, so ein Franzose, der muss wissen, was van Gogh ist und was nicht – immer mal klar machend: zu der Zeit gab es noch keine großen naturwissenschaftlichen Untersuchungen, noch keine Röntgen-Untersuchungen, da hat noch niemand geguckt, ob es Vorzeichnungen waren, welche Pigmente benutzt wurden, da hatte das Wort eines Experten noch Gewicht.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" – wir sprechen mit Stefan Koldehoff über einen Sensationsfund des Amsterdamer Van-Gogh-Museums, das heute ein neu entdecktes Bild des großen Vincent van Gogh vorstellte. Nun haben Sie gesagt, der norwegische Margarinefabrikant habe der Echtheit misstraut. Ihnen höre ich aber an, Sie halten die Echtheit doch für sehr, sehr wahrscheinlich. Nun wird van Gogh mit seinem markanten Malstil ja ausgesprochen gerne gefälscht. Was macht Sie denn so sicher, dass dieses neu entdeckte Bild tatsächlich echt ist?

""Nichts, was gegen die Echtheit spricht""

Koldehoff: Die Belege, die das Wissenschaftler-Team hier in Amsterdam heute vorgelegt hat – das sind Louis van Tilburg, Theo Meedendorp und Oda van Mannen -, die sind einfach überzeugend und auch kaum zu widerlegen. Ich habe auf die Herkunftsgeschichte gerade schon verwiesen. Dass es tatsächlich ein Bild, das in den Briefen genau so beschrieben wird, wie es hier ist, dass es dann auch den Nachweis im Nachlassinventar gibt, die korrespondierende Nummer auf der Rückseite der Leinwand, das sind schon recht schlagende Beweise.

Dazu kommt aber noch, dass man auch die Leinwand selbst und die verwendeten Farbpigmente untersucht hat, herausgefunden hat, dass es haargenau dieselben sind, die van Gogh in dieser Zeit dann tatsächlich auch verwendet hat. Also sowohl Stilkritik, sprich die Handschrift des Malers, als auch materialtechnisch als auch von der Provenienz, von der Herkunft her gibt es nichts, was gegen die Echtheit spricht. Und warum sollten drei angesehene Wissenschaftler dann eine Fälschung zum Original erklären?

Timm: Wem gehört das Bild jetzt eigentlich?

Koldehoff: Nach wie vor einer privaten Familie. Es wird jetzt mal erst ein Jahr ab Herbst im Van-Gogh-Museum zu sehen sein. Dann muss man sich überlegen, ob man es vielleicht reinigen lässt, denn es ist schon ein bisschen vergilbt. Van Gogh hat viel mit Eiweiß-Bindemitteln gearbeitet, auch mit Eiweiß-Firnis. Der ist im Laufe der Jahrzehnte und des Jahrhunderts schon arg nachgedunkelt. Und danach wird sich dann natürlich die Frage, die sich bei jedem Bild im Privatbesitz stellt, auch hier stellen: Wird's verkauft? Ein Museum jedenfalls, auch das Van-Gogh-Museum – das hat der Direktor Axel Rüger heute bei der Pressekonferenz gesagt -, kann sich das nicht mehr leisten.

""Für 20 bis 30 Millionen ist das Bild schon gut""

Timm: So ein Fund ist ja auch erst mal die reine Freude. Aber natürlich stehen da auch gleich die Experten auf der Matte, die so ein Bild finanziell taxieren – schlimmes Wort. Was ist denn das Bild vermutlich wert?

Koldehoff: Werke aus den südfranzösischen Jahren von van Gogh, also 1888/89, sind in den letzten Jahren nur noch sehr, sehr selten auf den Markt gekommen. Die Preise haben trotz Währungskrise und trotz Wirtschaftskrise massiv angezogen. Gerade Fernost spielt da eine große Rolle, aber auch arabische Länder. Wenn Sie mich nicht darauf festnageln, wenn sich in einem Jahr herausstellt, dass ich völlig falsch gelegen habe – ich denke, für 20 bis 30 Millionen ist das Bild schon gut.

Timm: Und ab Herbst kann man es anschauen als normaler Museumsbesucher?

Koldehoff: Im Van-Gogh-Museum, da findet nämlich gerade eine Ausstellung statt bis kommenden Januar über van Goghs Arbeitsweise, wie er überhaupt gemalt, gedacht hat und das dann umgesetzt hat, und da passt natürlich so ein Neufund wunderbar hinein.

Timm: Fahren Sie nach Amsterdam – Stefan Koldehoff über ein neu entdecktes Bild von Vincent van Gogh, eine Sensation in der Kunstwelt, denn dieses Spätwerk des Malers ist wohl wirklich echt. Vielen herzlichen Dank.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.