Eine schmale Korrespondenz

07.02.2012
Diese zwei Figuren passen auf den ersten Blick nicht zusammen: der Religionsphilosoph Jacob Taubes und der Staatsrechtler Carl Schmitt. Dennoch hat die beiden etwas verbunden, davon zeugt ein Briefwechsel zwischen diesen beiden Gegenpolen, der lange erwartet wurde und nun vorliegt.
Herbst 1977 - im Schatten des Terrors vollzieht sich ein abgründiges geistiges Spiel. Der "Erzjude" Jacob Taubes rollt dem Kronjuristen des "Dritten Reiches", Carl Schmitt, den Teppich aus. Ausgerechnet ein Auszug aus Carl Schmitts 1938 erschienenem Buch über den "Leviathan" soll ein neues Zeitschriftenprojekt namens "Kassiber" krönen. Alles an dieser Aktion ist auf Krawall gebürstet. Es ist ein Cocktail feuriger, explosiver Zutaten - Carl Schmitt, Terror, Staat - ganz nach dem Geschmack des flamboyanten Taubes, des charismatischen Religionsphilosophen und intellektuellen Tausendsassas, dem alle ideologischen Schnittmuster und Rollen stets zu klein waren, und erst recht die eines "deutschen Professors".

Das ging bei aller Lust an den Extremen sogar Carl Schmitt zu weit. In den Tagen der RAF-Kassiber eine Zeitschrift selbigen Namens aus der Taufe zu rufen, war für den Staatsrechtler ein frivoles Unterfangen. Schmitt ging in seiner Antwort auf Distanz. "Ich bin Berufsjurist und kein Berufsrevolutionär."

Dieser Wechsel aus den Novembertagen 1977 steht im Zentrum einer Reihe von Briefen, die mit Taubes' ersten tastenden Kontaktversuchen in den 50er-Jahren noch aus Amerika ihren Anfang nimmt und nach vielen Sprüngen mit drei Pilgerbesuchen Taubes beim greisen Carl Schmitt in seiner sauerländischen Enklave Plettenberg ihren Abschluss findet. Dieser Briefwechsel ist eine kleine, schmale Korrespondenz, keine konzentrierte Erörterung geistiger Problemlagen, sondern ein wildes und unsystematisches Gedankenpotpourri. Gerade noch bei Paulus oder Hobbes, springt Taubes schon wieder zum Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz und berichtet Schmitt ausführlich über seine Kabalen um den legendären Fachbereich elf der Freien Universität.

Es ist nicht die große Disputation zur politischen Theologie. Dennoch bleibt diese Konstellation elektrisierend, weil hier in den ideologisch aufgeputschtesten Jahren der alten Bundesrepublik in einem grellen Bild zusammenfällt, was nicht zusammenpasst: Taubes und Schmitt, der FU-Rebell und der Reaktionär, der Jude und der Antisemit.

Die Herausgeber vom Berliner Zentrum für Literaturforschung, die den Nachlass von Taubes verwalten, haben diese Korrespondenz in einem Netz weiterer "Briefe an Dritte und Vierte" aufgefangen. Eine kluge Entscheidung: Immer mehr verwischen sich so die Lager. Nur am Widerwillen Schmitts lag es, dass er nicht schon in den 70er-Jahren auf Werben Siegfried Unselds in den Kanon des Suhrkamp Verlages eingereiht wurde. Diese "Materialien" sind brisante, aufregende Fundstücke aus dem Archiv. Sie zerreißen mit einem Schlag unsere Gewissheiten über kulturelle Frontbildungen in der Bundesrepublik.

Dieser Briefwechsel zwischen den Gegenpolen Schmitt und Taubes wurde lange erwartet. Wie bei dem berühmten Brief von Walter Benjamin an Carl Schmitt war auch diese Korrespondenz, solange sie nur in Auszügen existierte, von Gerüchten und Legenden umrankt. In der Schattenzone des Arkanums entfaltete sie ein besonderes Fluidum. Nun ist das Geheimnis gelüftet.

Bis in die Textstufen der Briefentwürfe hinein liegt alles auskommentiert vor. Die wilden Denker und spleenigen Weltanschauungsakrobaten in den Fängen des kulturwissenschaftlichen Establishments. Enttäuschung kann da nicht ausbleiben.

Besprochen von Stephan Schlak

Herbert Kopp-Oberstebrink, Thorsten Palzhoff, Martin Treml (Hrsg.): Jacob Taubes - Carl Schmitt: Briefwechsel mit Materialien
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011
327 Seiten, 39,90 Euro
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