Eine ödipale Story

Von Jörg Taszman · 15.07.2013
Kaum ein Film spaltete bei den Filmfestspielen in Cannes die Gemüter so sehr wie "Only God Forgives", der neue Film des Dänen Nicolas Windig Refn. Vielen erschien das Werk als zu selbstverliebt und zu brutal. Doch vor allem französische Kritiker verteidigen das Werk.
Der Däne, der teilweise in New York aufwuchs, ist filmisch eindeutig mehr im amerikanischen Genrekino zu Hause. Sein Englisch ist perfekt, aber er redet bedächtig dafür druckreif und sucht in seinen Filmen wie in den Gesprächen über seine Arbeit keine Harmonie. Man kann ihm offen gestehen, dass man mit seinem neuen Film ein Problem hat.

So sind die stilvolle Inszenierung und die elegante Kameraführung imponierend, aber die exzessive Gewalt und die bemühte Grund-Story enttäuschen. Es dreht sich in "Only God Forgives" im Grunde um eine ödipale Story, die in Bangkok spielt.

Ein von Ryan Gosling gespielter, junger Mann soll seinen Bruder rächen, der jedoch einen abscheulichen Mord beging und dafür brutal zu Tode geprügelt wurde. Aber die Mutter, die aus New York kommt will Rache. Es fällt schwer, sich mit diesen Figuren zu identifizieren. Nur darum geht es dem Filmemacher auch gar nicht.

Nicolas Winding Refn: "”Sie haben sich diesen Film genauso angesehen, wie sie sich sonst jeden anderen Film anschauen. Das ist normal. Ich würde wahrscheinlich dasselbe tun. Aber hier ist der Unterschied. In 'Only God Forgives' geht es nicht um das, was Sie sehen, sondern was sie nicht sehen. Der Film ist so strukturiert, dass man in gewisser Weise die Beziehung einer Mutter zu ihrem Sohn sieht.

Sie können sagen, ich hätte das von Hamlet gestohlen, denn Hamlet ist eine verachtenswerte Figur, der nach Hause kommt und über keinen freien Willen verfügt. Er wird nur benutzt. Sie könnten auch sagen, ich habe die klassische Geschichte einer Mutter erzählt, die ihren Sohn wie ein Insekt betrachtet. Sie verschlingt ihn auch sexuell. Das ist verabscheuenswürdig. Würden Sie sich damit identifizieren, dann hätten Sie ein echtes Problem.""

Dem Regisseur geht es mehr darum, wofür diese Geschichte steht und er appelliert an den Verstand, der sich für das öffnen müsse, für das, was nicht gezeigt würde. Das sei keine angenehme Erfahrung, weiß der Filmemacher, aber genau dann wenn Kunst gefährlich wird, fange es an ihn zu stimulieren. Und so mag sich Nicolas Winding Refn nie wiederholen. Der Erfolg von "Drive" ist ihm nicht zu Kopf gestiegen.

Nicolas Winding Refn: "Ich wusste nur, ich würde ‚Drive‘ nicht noch einmal machen. Dann wären Sie auch noch viel enttäuschter gewesen. Alles, was ich machen konnte, war etwas Neues und auch auf eine ganz andere Erzählweise. ‚Drive‘ war von der Struktur her konventioneller. Man konnte die Figuren besser verstehen, wie sie sich verhalten.

‚Only God Forgives‘ ist das genaue Gegenteil von seiner Struktur her. Wenn Sie diese Struktur nicht anerkennen und versuchen, dem Film ihre Struktur aufzudrängen, bleiben Sie außen vor. Dann kann der Film nicht in Sie eindringen. Sie arbeiten dann als Zuschauer gegen den Film."

Nikolas Wendig Refn ist in seiner Argumentation immerhin so überzeugend, dass ich mir seinen neuen Film noch einmal anschauen werde, auch wenn mir andere seiner Werke wie "Drive" besser gefallen. In den meisten seiner Filme dreht es sich um Kleinkriminelle. Er begann seine Karriere in Dänemark mit "Pusher" in dem Kim Bodnia und Mads Mikkelsen die Hauptrollen spielten.

Dieser sehr schmutzige Gangsterfilm wirkt durch die Handkamera sehr wirklichkeitsnah und milieugerecht. Später drehte er auch in den USA und Großbritannien Filme die floppten wie "Bronson" um den wohl berüchtigsten, britischen Häftling, der für alle Zeit weggesperrt wurde. Warum filmt er immer wieder in diesem kriminellen Milieu?

Nicolas Winding Refn: "Als Shakespeare seine besten Stücke schrieb, ging es um die königliche Familie, weil zu dieser Zeit, stand die königliche Familie überhöhte Realität und ein Spiegelbild der Gesellschaft. Man stellte sich einen gewissen Moralkodex, der zwar nicht existierte, von dem man aber fantasierte. Heute wissen wir alle, dass die Royals nur noch für die Boulevardpresse taugen. Kriminalität ist so fast zudem geworden, was die königliche Familie einst war.

Es ist überhöhte Realität, die neben unserer existiert, von der wir träumen. Deshalb ist es sehr interessant, sich innerhalb dieser Arena zu bewegen. Aber es ist auch nur eine Hülle. Es geht also nur darum, was du hinein gibst."

"Only God Forgives" ist erst der zweite Film des Dänen, der in Deutschland in die Kinos kommt. Alle anderen wie die "Pusher"-Triologie oder das Wikinger Endzeitdrama "Walhalla Rising" erschienen nur auf DVD.

Dabei lohnt sich das Oeuvre dieses eigenwilligen Filmemachers, der seine Filme chronologisch dreht und auch gewiss auch in Zukunft noch überraschen wird. Fragt man ihm welchen Teil seiner Arbeit ihm am meisten Spaß mache, sagt er lachend: Vor allem die zündende Idee sei wichtig. Der Rest ist nur noch harte Arbeit.
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