„Eine massive Bedrohung“

Esther Dischereit im Gespräch mit Britta Bürger |
Vor dem Untersuchungsausschuss zu den Neonazi-Morden sind schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden in Thüringen erhoben worden. Die Autorin Esther Dischereit sieht in der Unterstützung rechtsextremistischer Gruppierungen durch Behörden wie den Verfassungsschutz eine große Gefahr.
Britta Bürger: Es sei der effizienteste Untersuchungsausschuss, den er bisher erlebt habe, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy nach einjähriger Arbeit als Leiter des NSU-Untersuchungsausschusses. Seit einigen Monaten beobachtet die Schriftstellerin Esther Dischereit die Ermittlungen zur Mordserie der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund, so auch heute. Noch sind Ihre Eindrücke also sehr frisch, Frau Dischereit. Ich grüße Sie!

Esther Dischereit: Guten Tag!

Britta Bürger: Wer saß dort heute mit Ihnen im Untersuchungsausschuss, und wie rege ist die öffentliche Teilnahme überhaupt?

Dischereit: Also ich brauche Ihnen ja, glaube ich, nicht zu beschreiben, wer von den Parteien im Untersuchungsausschuss sitzt, die sind ja einfach konsequent vorhanden, da ist immer jeder Platz besetzt, aber diesmal ist es auch so gewesen, dass die Empore, also die Öffentlichkeit, doch in stärkerem Maße da gewesen ist. Warum das so ist, weiß ich nicht genau, vielleicht hängt es auch damit zusammen, das heute eben die Vernehmung des Zielfahnders Sven Wunderlich angesetzt war auf der einen Seite, doch auf der anderen Seite wahrscheinlich auch der Prozess gegen Frau Zschäpe ja nun ausgesprochen nahe rückt.

Britta Bürger: Wir bekommen gerade eine Eilmeldung, wonach nach Medienberichten das Oberlandesgericht München die Anklage gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe in vollem Umfang zugelassen hat, damit muss sie sich jetzt wegen des Verdachtes der Mittäterschaft an den Morden des Nationalsozialistischen Untergrundes vor Gericht verantworten. Hat sich das heute schon abgezeichnet? Das Oberlandesgericht hat diese Meldung jetzt selbst noch nicht bestätigt, weil wohl erst die Anwälte informiert werden müssen, aber verschiedene Zeitungen melden das bereits. War das heute spürbar dort?

Dischereit: Also im Ausschuss spielte das keine Rolle. Nichtsdestotrotz fiel selbstverständlich der Name Beate Zschäpe mehrfach, weil ja der geladene Zivilfahnder aus Thüringen …

Britta Bürger: Zielfahnder.

Dischereit: … Zielfahnder, Herr Sven Wunderlich, eben auch mehrfach nach Beate Zschäpe gesucht hat, er hat sie auch einmal verhaftet, hat auch dargestellt, dass er sich durchaus wunderte, dass sie selber wohl ihre Verhaftung, na ja, mit einer gewissen – er nannte das Coolness – wohl getragen hat. Es spielte auch noch in anderer Hinsicht der Name eine Rolle, weil er nämlich von einem Gespräch mit dem Vater von Uwe Mundlos, also einem der drei Mitglieder dieser Terrorzelle gesprochen hat. Und Uwe Mundlos‘ Vater die Meinung äußerte, dass Frau Zschäpe Quelle des Verfassungsschutzes gewesen sei. Auf diesen Punkt wurde natürlich mehrfach zurückgekommen, das ist ja eine wichtige Frage, so was zu klären.

Britta Bürger: Warum waren Sie jetzt besonders gespannt auf diese Person, auf diesen Zielfahnder des Landeskriminalamtes in Thüringen?

Dischereit: Diese Person war schon vorher durch den Kriminalhauptkommissar Mario Melzer in der Sitzung am 17. Januar mehrfach genannt worden, und zwar also mit großem Respekt. Dazu muss man eben wissen, dass sowohl Mario Melzer als auch Sven Wunderlich eben beide ganz besonders engagiert in diesem Fall der Verfolgung dieser rechtsextremistischen, rechtsterroristischen Verbrechen schlicht gewesen sind. Und Sven Wunderlich formulierte das heute so, dass er sagte: Das hat mir ja selbst seit 1998, seit dem Verschwinden der Leute, überhaupt keine Ruhe mehr gelassen.

Britta Bürger: Eindrücke aus dem NSU-Untersuchungsausschuss, heute hat er erneut getagt. Und wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Schriftstellerin Esther Dischereit, die die Sitzungen seit einigen Monaten beobachtet mit den Ziel, daraus ein Libretto für eine Oper zu schreiben. Was haben Sie sich heute für Notizen über Beobachtungen gemacht, was war jetzt essenziell für Sie heute?

Dischereit: Ja, das ist zunächst mal eine quer durchgehende, noch ungeordnete Art, aufzuschreiben. Aber als erstes habe ich mir schon aufgeschrieben, dass der Zielfahnder Herr Wunderlich eben von 180 schweren Fällen 170 lösen konnte. Das ist offenbar eine ganz hohe Erfolgsquote, das ist ja wirklich zunächst mal außerordentlich bemerkenswert, dass jemand derart dran ist, einfach auch, an seiner Sache. Das war die eine Sache, die andere Sache, die ich mir notierte, war die Telefonliste, die in der Garage gefunden wurde, als das Trio abtauchte. Erst fand ja die Durchsuchung statt, und anschließend waren sie dann alle verschwunden. Diese Telefonliste hat dieser Zivilfahnder – Zielfahnder, Entschuldigung, wirklich ein Versprecher – dieser Zielfahnder am Dienstag – am Dienstag! – zum ersten Mal gesehen. Da frage ich mich: Was soll das, dass die kompetenten Menschen da nicht involviert sind? Ich verstehe das nicht.

Britta Bürger: Würden Sie also aufgrund all der Beobachtungen, die Sie im Laufe der Monate gemacht haben, sagen: Das Handeln oder auch das Nichthandeln der Behörden hatte System?

Dischereit: Das weiß ich einfach nicht, also man kann ja auch schwer von den Behörden sprechen. In den Behörden ist eben ganz und gar unterschiedlich erklärt worden. Aber was sich doch offensichtlich durchzieht, ist, dass immer dann, wenn versucht worden ist, Vereinbarungen mit dem Landesverfassungsschutz zu treffen oder anderen Organen von dieser Seite, entweder gar nichts bei rausgekommen ist oder Dinge verschwunden sind, bis hin zu der Annahme, die von beiden Polizisten – also sowohl von Mario Melzer als auch von Sven Wunderlich – schon geäußert wurden, zum Teil auch schriftlich in Thesenpapieren, dass hier also gezielt daran gearbeitet worden ist, Dinge wegzuhalten, Leute vorher zu informieren und so weiter.

Britta Bürger: Und was war Ihrer Meinung nach das Motiv dafür, tatsächlich Rassismus?

Dischereit: Das ist unklar, was da das Motiv ist. Also im schlimmsten Fall könnte man ja annehmen, dass es eine Verzahnung gibt zwischen Interessen von verschiedenen Behörden – auch der Militärische Abschirmdienst gehört dazu – und Interessenlagen, die aus dieser rechtsextremistischen Szene stammen.

Britta Bürger: Vor zwei Tagen, am Dienstag, hat Bundespräsident Joachim Gauck Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses getroffen und an die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern appelliert, dass, sollte es Defizite beim Schutz der Bürgerinnen und Bürger geben, diese benannt werden müssten. Können Sie, Frau Dischereit, nach allen Zeugenaussagen, die Sie bislang gehört haben, denn jetzt offensichtliche oder auch versteckte Defizite benennen, noch über das hinaus, was Sie schon gesagt haben?

Dischereit: Na ja, es fällt nach wie vor auch auf, und es hört auch nicht auf, dass immer wieder vom Verschwinden auch von Akten gesprochen wird. Auch Herr Wunderlich musste wieder feststellen, dass die Akten, die er abgegeben hat, so nicht vorhanden waren, dass da was dazugefügt war, dass an anderer Stelle was fehlte, also das sind einfach Dinge, die als Behördenvorgänge durchaus bedrohlich sind, und es ist im Zusammenhang des ganzen Verfahrens ja immer wieder von der Anwendung von 129a die Rede, also Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Wenn solche Summen, solches Know-how, solche Logistik zur Verfügung steht und rechtsextremistischen Gruppierungen zufließt, dann halte ich das für eine massive Bedrohung.

Britta Bürger: Meinen Sie, dass der Versuch der Aufklärung der NSU-Verbrechen etwas verändert an vorhandenem Rassismus, an Fremdenfeindlichkeit in Deutschland?

Dischereit: Ja, das meine ich. Ich meine, dass es ja wohl zum ersten Mal so ist, dass ein Untersuchungsausschuss sich so sorgfältig, so konsequent, so genau mit Mordtaten beschäftigt, die eben eine ganz bestimmte Gruppe der Bevölkerung betrifft, die ausschließlich gegen sie gerichtet sind. Das ist vielleicht noch nicht in aller Schärfe durchgedrungen, was das politisch heißt, wenn 20 Prozent der Bevölkerung ins Visier von solchen Gruppierungen geraten und eine Verzahnung mit Behörden – ich erinnere nur an den Ku-Klux-Klan – angenommen werden muss.

Britta Bürger: Die Autorin Esther Dischereit, sie verarbeitet ihre Beobachtungen beim NSU-Untersuchungsausschuss in einem Libretto für eine Oper, heute hat der Ausschuss wieder getagt und sie war dabei. Frau Dischereit, herzlichen Dank fürs Gespräch!

Dischereit: Ich danke Ihnen!

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Die Autorin Esther Dischereit beobachtet den NSU-Untersuchungsausschuss.© Deutschlandradio – Bettina Straub
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