Eine Liga als Spiegel der Gesellschaft

08.08.2013
Seit einigen Tagen wird heftig über das Ausmaß von Doping in der deutschen Sportwelt diskutiert. Davon ist auch die Fußball-Bundesliga nicht ausgenommen, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert. Nils Havemann hat nun eine historische Analyse der höchsten deutschen Spielklasse vorgelegt.
50 Jahre Bundesliga auf knapp 700 Seiten: Was muss rein; was bleibt draußen? Der Historiker Nils Havemann hat für seine wissenschaftliche Arbeit einen extrem analytischen Ansatz gewählt. Er verzichtet fast ganz auf Anekdotisches. "Samstags um halb 4" ist kein Buch im Kicker-Jubiläumsheft-Stil. Keine umgestürzten Torpfosten, Hattricks oder sonstige Kuriositäten. Akten und Fakten stehen im Mittelpunkt.

Aus einer Vielzahl von Quellen hat der Historiker die Bedeutung des Fußballs für die deutsche Kulturgeschichte herausdestilliert: Die Bundesliga sieht Havemann als Aushängeschild an der Spitze einer breiten, fußballbegeisterten Basis. Für ihn spiegelt die 1963 gegründete Eliteliga mit ihren Moden und Krisen die gesellschaftlichen Trends der Bundesrepublik wie durch ein Brennglas wider. Weder politische Parteien noch Kirchen oder andere Großinstitutionen hätten heutzutage noch eine vergleichbare Anziehungskraft.

Vor allem die wirtschaftlichen Hintergründe des Fußballgeschäfts beleuchtet Nils Havemann. So hinkte Deutschland bei der Einführung einer Profiliga anderen europäischen Ländern wie England oder Spanien hinterher. Havemann widerlegt die These vieler Experten, dass sich der Deutsche Fußballbund (DFB) dagegen stemmte, auch hierzulande den Bezahlfußball einzuführen. Vielmehr habe sich der DFB nur gegen die "offizielle Zulassung" des Profifußballs gesperrt, um nicht den Status der Gemeinnützigkeit der Vereine aufs Spiel zu setzten, was den Wegfall zahlreicher Steuerprivilegien nach sich gezogen hätte.

Bayern und HSV waren in den 1970er-Jahren die Marketing-Pioniere
Havemann redet in seinem Buch einem fast ungezügelten Fußball-Kapitalismus das Wort. Staatliche Eingriffe hätten für Clubs, die durch Misswirtschaft in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren, lange Zeit jeglichen Anreiz zerstört, von gewohnten Verhaltensmustern abzuweichen. Wer dagegen in Eigeninitiative neue Ideen verwirklichte, habe bald besser als die Konkurrenz dagestanden. Bayern München und den Hamburger SV nennt Havemann als Pioniere, die schon in den 70er-Jahren mit Unternehmergeist und überzeugenden Marketingstrategien die Weichen zur Weiterentwicklung des Sports zu einem "schillernden Produkt" der Unterhaltungsindustrie stellten.

Besonders in Uli Hoeneß, der 1979 Manager bei Bayern München wurde, sieht Nils Havemann eine Gallionsfigur, die in Krisenzeiten den erforderlichen Wandel vorangetrieben habe, um die Wettbewerbsfähigkeit des Fußballs in einer Eventgesellschaft zu erhalten. Persönlichkeiten wie Hoeneß hätten Anfeindungen nicht verdient: "Die teilweise hasserfüllten Kampagnen waren umso erstaunlicher, als der außergewöhnliche Erfolg des Clubs allem Anschein nach mit einer betriebswirtschaftlichen Solidität, Seriosität und Integrität einherging, die es im deutschen Berufsfußball in dieser Konstanz bis dahin oft nicht einmal in Ansätzen gegeben hatte."

Mit "Samstags um halb 4" hat Nils Havemann eine sehr umfangreiche, insgesamt lesenswerte gesellschaftsgeschichtliche Analyse der Fußballbundesliga vorgelegt, die einige Neuigkeiten liefert. Allerdings geht die wissenschaftliche Genauigkeit (besonders bei der Darstellung der komplizierten wirtschaftsjuristischen Zusammenhänge) an vielen Stellen leider zu Lasten des Lesegenusses.

Besprochen von Thomas Jaedicke

Nils Havemann: Samstags um halb 4, Die Geschichte der Fußballbundesliga
Siedler, München 2013
671 Seiten, 26,99 Euro
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