"Eine königliche Soap"

Christian Gampert im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 29.04.2011
"Mehr Spaß" hätte sich Theaterkritiker Christian Gampert von der 45 Millionen Euro teuren Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton gewünscht. Die Veranstaltung sei vor allem ein "Laufsteg für die englische Oberklasse gewesen".
Stephan Karkowsky: Man könnte die königliche Hochzeit in London als die teuerste britische Theaterinszenierung aller Zeiten begreifen. 45 Millionen Euro soll die Supershow gekostet haben – neunmal so viel wie die Hochzeit von Charles und Diana. Dafür kann man schon ein ordentliches Bühnenbild erwarten, Christian Gampert, Sie haben schon viele Theaterpremieren für Deutschlandradio Kultur rezensiert – war jemals eine so aufwendige wie diese darunter?

Christian Gampert: Nein, so eine teure Aufführung habe ich in der Tat noch nie gesehen, allerdings ist es ja so, dass das, was wir heute erlebt haben, im Fernsehen, weltweit, natürlich auch Subventionstheater ist, weil das ist schon der englische Bürger, der das bezahlt. Der zahlt die Apanage für die königliche Familie und er zahlt letztlich auch solche Großveranstaltungen, wenn der Prinz sich vermählt und das zum nationalen Ereignis wird. Und gut, die ganze Stadt als Bühne, alles abgesperrt, vom Buckingham Palace bis Westminster Abbey, das wäre eigentlich die Gelegenheit für einen Regisseur, da was draus zu machen. Aber nach sechs Stunden Fernsehen bin ich doch ein bisschen ernüchtert, also ich hätte mir doch mehr Spaß auch im positiven Sinne erhofft. Es ging doch relativ protokollarisch zu, und der eigentliche Faktor war dann doch das Publikum, das so ein bisschen Leben reinbrachte, wenngleich vielleicht auf etwas zu hysterische Art am Ende nach der Trauung.

Karkowsky: Fangen wir mal mit dem Prolog an dieses Stückes, der Exposition – wie ist denn das Publikum in das Drama eingeführt worden?

Gampert: Na ja, das Furchtbare an solchen Medienereignissen – weil wir haben es ja wirklich mit einem filmischen Ereignis eigentlich zu tun – ist ja, dass man ewig lange wartet und diese Wartezeit mit Geschwätz gefüllt wird. Leider muss ich sagen, dass der ARD-Kommentator Rolf Seelmann-Eggebert sich da nicht mit Ruhm bekleckert hat, also so was Devotes, fast Schleimiges habe ich selten erlebt, der ist wirklich königlicher Hofberichterstatter.

Karkowsky: Da waren unsere Hörer gerade in der Debatte ganz anderer Ansicht.

Gampert: Wirklich?

Karkowsky: Ja.

Gampert: Also ich habe keine Sympathien für jemanden, der wirklich dem Königtum die Schleppe trägt, also wir leben doch nicht in einem vordemokratischen Zeitalter, um Himmels willen, wir sind ein öffentlich-rechtlicher Sender. Um Himmels willen, das darf eigentlich nicht sein. Der soll zu "Gala" wechseln. Nein, das Furchtbare an dieser Wartezeit ist doch, dass wir da eigentlich nur einen Laufsteg für die englische Oberklasse gesehen haben. Der englische Adel inszeniert sich selbst und führt seine Kostüme vor, dicke Damen zu ertragen, breitkrempige Hüte zur Schau, Popstars wie Elton John treten auf, David Beckham mit Frau und so weiter und so fort. Das dient letztlich nur der Zurschaustellung von Macht und von ökonomischer Potenz, und das ist ja was, was eigentlich verpönt ist in den westeuropäischen Gesellschaften. Hier kommt es auf einmal in einem ganz anachronistischen Rahmen wieder hervor, indem man letztlich einen feudalen Rahmen benutzt, um heutige ökonomische und weltliche Macht, auch politische Macht zur Schau zu stellen, weil es waren ja auch die Vertreter aller europäischen Regierungen da und eben der englische Adel, der sonst nicht so eine große Rolle spielt politisch.

Karkowsky: Dann kommen wir zum Höhepunkt des ersten Aktes, eine von der Klatschpresse der Magersucht verdächtigte Bürgerliche schreitet zum Traualtar, um sich mit einem königlichen Thronfolger zu vermählen. Da könnte man ja so einige Fallstricke einbauen, und ich meine, ich hab auch die Braut ganz kurz mal straucheln gesehen beim Eintritt auf die Stufen zu Westminster Abbey, aber besonders spannend war das nicht, oder?

Gampert: Nein, also man muss sagen, dass auch die Hauptakteure eigentlich doch sehr wenig Gestaltungsspielraum haben. Also, dass er eine Bürgerliche heiratet, ist ein schöner Plot, das beflügelt alle Aufstiegsfantasien und Projektionen der Londoner Unterschicht oder der Unterschichtsmädchen, die sich auch gerne mit Prinz William eingelassen hätten, aber das, was dann in der Kirche stattfand, war doch relativ protokollarisch. Und ich glaube, das, was man vielleicht als dramatisch, wenn man so will, bezeichnen könnte, ist, dass das alles doch am selben Ort stattfindet, wo auch das Elternpaar von William getraut wurde, also Prinz Charles und Diana, und auch die Totenmesse für Diana stattfand. Das ist die Folie, man weiß, es kann auch schiefgehen, es ist schiefgegangen, und was wir hier erleben, ist sozusagen eine königliche Soap, die auch im Rosenkrieg enden kann. Und vor dieser Folie bekommt es vielleicht eine Interessantheit, die dieses Rührstück – so muss man es wohl bezeichnen –, diese ganz kirchlich inszenierte, dieses Schreiten zum Alter und diese Trauung dann, die dieses Rührstück in sich eigentlich nicht hat. Es hat keine tragische Dimension, nur wenn man weiß, was vorher passiert ist, könnte es diesen Touch bekommen.

Karkowsky: Sie hören den Theaterkritiker Christian Gampert, der sich die königliche Hochzeit eben aus der Sicht des Kritikers angesehen hat, diese große Inszenierung, 45 Millionen teuer. Wir dürfen an dieser Stelle, Herr Gampert, auch mal das Orchester erwähnen: Die Braut schritt zu den Klängen von "I was glad" durch den Mittelgang der Kirche zum Altar, das hat Tradition bei den britischen Royals. Das ist, glaube ich, auch das gleiche Lied, zu dem Prinzessin Diana Richtung Charles eilen durfte seinerzeit, oder?

Gampert: Ja, das sind so diese Reprisen, es wurden ja noch diverse andere Kompositionen auch gespielt von englischen Hofkomponisten, die alle son bisschen der Spätromantik anhängen. Das ist spätromantischer Pomp, und da inszeniert sich die englische Krone und vielleicht auch die englische Oberklasse selbst. Aber auch da – ich habe sofort, als ich Elton sah – Elton John, Entschuldigung – sah, an "Candle in the Wind" gedacht, das er mit einem merkwürdigen Augenbrauenzucken damals sang zu Dianas Beerdigung. Also die Musik überdeckt es nicht, das Ganze hat einen doppelten Boden, wenn man die Vorgeschichte weiß, und all dieser Pomp hat natürlich eine gewisse Hohlheit, die wir heute eigentlich nicht mehr akzeptieren. Das ist das, was einen wundern muss, es ist eine Gala-Inszenierung, eine Boulevard-Inszenierung für die Yellow Press im Grunde.

Karkowsky: Dann sind wir bereits im Hauptakt angekommen: Das Paar tritt vor den Traualtar. Nun lebt so eine Trauung ja auch von der spannenden Frage, wird die Braut nun ja sagen, wird etwas Unvorhergesehenes passieren, wird sie am Ende womöglich wie im Film "Reifeprüfung" mit einem Ex-Liebhaber aus der Kirche flüchten, in einem dieser roten Londoner Doppeldeckerbusse – aber nichts dergleichen.

Gampert: Na ja, das ist eigentlich ein großartiger Plot in der "Reifeprüfung", Dustin Hoffman, dass die Braut dem vorgesehenen Bräutigam wegläuft. Hier wird ja sogar von der Kirche gefragt, das Brautpaar wird gefragt: Sind Ihnen irgendwelche Hinderungsgründe bekannt, die gegen diese Ehe sprechen? Das ist natürlich eine rhetorische Frage. Nein, so was passiert natürlich nicht, aber was auffällig ist: Diese Leute sind so eingezwängt in diesen offiziellen Rahmen, dass sie doch ganz wenig Möglichkeiten haben, als Individuen kenntlich zu werden. Und dieser Mangel an Privatheit ist, glaube ich, das, was auch eine unglaubliche Belastung für diese Rollenträger ist. Die wünschen doch eigentlich nur, das hinter sich zu haben, das sind doch keine dummen Leute, die haben doch auch mal was studiert und müssen sich nun diesem Ritual unterziehen. Das ist für die ja nicht nur Vergnügen, sondern auch Qual. Und das ist eigentlich schade, dass die unter einem solchen Druck stehen, dass sie sich eben als boulevardeske Figuren selbst inszenieren müssen, ohne diese Privatheit behalten zu können. Das ist wirklich schade.

Karkowsky: Wie haben Ihnen denn die Nebendarsteller gefallen, etwa die Eltern des Bräutigams oder die ja doch sehr attraktive Schwester der Braut, Pippa Middleton?

Gampert: Ja, die Schwester ist fast hübscher als die Braut, aber vielleicht darf ich mir solche Meinungen gar nicht erlauben. Mir ist vielmehr aufgefallen, dass die kirchlichen Würdenträger doch eine Hauptrolle gespielt haben. Das Ganze ist ja schon auch eine Inszenierung, die von der Kirche in der Hauptsache, ja, bestimmt wird. Die Kirche spielt auf einmal eine Rolle, die sie im normalen gesellschaftlichen Leben überhaupt nicht hat. Auf einmal braucht man sie wieder, um solche Übergänge, wie die Hochzeit ja doch einer ist, zu inszenieren, und die Kirche nutzt das natürlich, um auch ihre Macht, ihren Wohlstand zu demonstrieren und auch ihren Pakt mit der politischen Klasse. Also, hier die politische Klasse sonnt sich ja auch in diesen Ritualen, und so ein bisschen durch die Hintertür kommt auch wieder das Gottesgnadentum, glaube ich auch, hereingeschlichen, dass die Kirche letztlich immer mit denen ist, die die Macht haben.

Karkowsky: Bevor der Vorhang fiel, gab es das Schlussbild auf dem Balkon des Buckingham Palace – was meinen Sie, wie glaubwürdig das Brautpaar sein Glück hat rüberbringen können? Der finale Kuss war ja eher ein kurzer.

Gampert: Ja, ich glaube, die mögen das nicht. Sie versuchen sich zu entziehen und vielleicht doch dieses Kammerspiel, was die Liebe ja eigentlich ist und sein sollte, für sich zu behalten, und dieser Kuss war vielleicht ein kleines Zugeständnis an die Öffentlichkeit. Aber ich glaube, das, was da wirklich passiert, das geht uns nichts an, und die beiden sollten das mit sich selber abmachen.

Karkowsky: Die königliche Hochzeit aus der Sicht eines Theaterkritikers – Christian Gampert, Ihnen besten Dank!
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