Erneuerung der britischen Monarchie

Moderation: Ulrike Timm · 29.04.2011
Die Monarchie bietet den Briten "Verlässlichkeit, Beständigkeit, Stabilität", sagt England-Korrespondent Jochen Spengler. Die Hochzeit von William und Kate biete insofern "eine Chance, das Haus Windsor in eine gute, in eine bessere Zukunft zu führen".
Ulrike Timm: Die Letzten müssen die Ersten sein. Diejenigen unter den rund 2000 Ehrengästen in Westminster Abbey, die die hinteren Plätze in der Kirche einnehmen, die trudeln jetzt langsam ein und müssen eben warten. Aber das ist natürlich nichts verglichen mit den Königstreuen, die seit Tagen an strategisch günstiger Stelle in London kampieren, um einen Blick aufs Brautpaar zu ergattern. Um 10:51 Uhr verlässt Kate Middleton das Hotel, in dem sie heute Nacht geschlafen hat, und macht sich auf den Weg zur Trauung mit Prinz William – und zwei bis drei Milliarden Menschen weltweit werden den beiden dabei zusehen. Wir wollen den Wow-Effekt, und wir kriegen den Wow-Effekt, sagte gestern einer der britischen Adelsexperten, und natürlich ist heute auch für unseren Korrespondenten in London, für Jochen Spengler, fröhlicher Großkampftag. Schönen guten Morgen!

Jochen Spengler: Guten Morgen, Frau Timm!

Timm: Herr Spengler, gibt es in London derzeit überhaupt Eckchen, wohin sich überzeugte Monarchie-Abstinenzler verdrücken können?

Spengler: Ja. Erstens ist London groß genug, und zweitens gibt es ja gar nicht so viele überzeugte Monarchie-Gegner, also Republikaner. Da sind einige wahrscheinlich schon geflüchtet nach Mallorca oder sonst wo hin, und andere grummeln dann in den unterschiedlichen Stadtteilen, weil die Hochzeit findet ja eigentlich nur im Kern Londons, in Westminster statt.

Timm: Aber auf den Großleinwänden überall?

Spengler: Auf den Großleinwänden im Hyde Park, Trafalgar Square, da versammeln sich dann auch Tausende und können das dann ganz hautnah miterleben, wenn die sich dann so etwa gegen Viertel nach zwölf das Jawort geben, William und Katherine.

Timm: Das ist ja schon faszinierend: Heute ist die Monarchie wieder Schmiermittel der britischen Nation, Arm und Reich, Jung und Alt, alle säumen die Straßen. Es fing aber in den letzten Wochen doch recht verhalten an: wenig Straßenpartys angemeldet, war zu hören, die Briten ein bisschen verdrossen über ihr teures Königshaus mit den vielen geschiedenen Leuten. Müssen jetzt diese beiden das Märchen reparieren und sich komplett auf die schmalen Schultern laden?

Spengler: Ja, das müssen sie und das werden sie wahrscheinlich auch. Man muss sagen, die Briten haben vielleicht einige Illusionen nach Charles und Diana verloren, Illusionen, die wir als Kinder alle haben, dass das Märchen immer glücklich endet. Das war eben nicht so, und dennoch halten vier von fünf Briten an der Monarchie fest. Sie bietet ihnen einfach Verlässlichkeit, Beständigkeit, Stabilität. Das ist ein System, das in seinem Wesen seit 1000 Jahren existiert, die Monarchie und ihre Traditionen, heute die konstitutionelle Monarchie. Also sie gehört eigentlich zum Kern des oft bewunderten Nationalbewusstseins der Briten, sie symbolisiert Großbritannien, und insbesondere hinter der Queen stehen sehr, sehr viele Menschen.

Die feiert nächstes Jahr ihr 60. Thronjubiläum, sie bekommt durchweg gute Noten, hat zwar politisch nichts zu sagen, aber sie repräsentiert den Staat, und das macht sie nach Meinung der meisten Briten gut – übrigens ja auch noch in 15 anderen Staaten, also Kanada und Australien.

Die Frage stellt sich nur: Was, wenn sie nicht mehr ist? Vertrauen in die Queen herrscht, aber nicht in ihre Kinder, also Prinz Charles, Prinzessin Anne oder Prinz Andrew. Da kommt dann der Enkel William gerade recht, und dieses junge Paar bietet – gut aussehend, bescheiden, freundlich und ja auch sehr sozial engagiert und mitfühlend – tatsächlich eine Chance, das Haus Windsor in eine gute, in eine bessere Zukunft zu führen.

Timm: Ist das die Stärke der modernen Monarchie, der konstitutionellen Monarchie, dass Königs nichts zu sagen haben, aber immer da sind?

Spengler: Ja, das ist – kurze Antwort – das ist die Stärke.

Timm: Kate Middleton, Jochen Spengler, die wurde noch blitzschnell konfirmiert, sonst hätte sie womöglich nicht kirchlich heiraten können. Die anglikanische Kirche ist ja traditionell ganz eng mit dem Königshaus verbunden, im säkularen Großbritannien heiraten aber immer weniger Paare kirchlich. Erhofft sich auch die anglikanische Kirche durch diese Hochzeit Auftrieb für sich selbst?

Spengler: Das tut sie, und sie hat auch ihren Finger warnend erhoben. Es gab hier eine kleine Debatte darüber, dass man vielleicht doch das Recht ändern solle, wonach ja bis heute ein künftiger König keine Katholikin heiraten darf. Da hat aber die anglikanische Kirche ganz schnell Einspruch eingelegt und hat gesagt, das kommt überhaupt nicht in die Tüte, der König ist ja auch das Oberhaupt der Staatskirche, also muss auch seine Frau, darf sie nicht Katholikin sein, also Papistin sein.

Wobei ich natürlich sagen muss, dass Kate noch schnell sich hat konfirmieren lassen, das war keine Pflicht, also man hätte auch heiraten können ohne das. Sie ist immerhin getauft worden, sie hat das nur nicht bekräftigt in der Konfirmation, ihren Glauben. Das hat sie dann gemacht, keine Pflicht, aber freiwillig.

Timm: Wirklich freiwillig? Ich meine, sie hat nicht gemusst, aber vielleicht hätte man sie sonst trotzdem nicht gelassen?

Spengler: Och, man hätte sie schon gelassen, aber ich glaube ja sowieso, dass diese junge Braut sehr einsichtig ist, irgendwo nicht diese störende Rolle von Diana spielen wird, und vielleicht hat man sie irgendwie dahin gewiesen, auf jeden Fall ist von großem Widerstand nicht die Rede. Und sagen wir so: Es war freiwillig.

Timm: Bei solchem Anlass ist ja ein ganzes Land Protokollchef und diskutiert darüber, wer eingeladen ist und wer nicht. Tony Blair, der frühere Premierminister, ist nicht eingeladen, möglicherweise auch, weil er von der anglikanischen Staatskirche zum Katholizismus konvertierte und das auch als Affront verstanden wird?

Spengler: Es gibt viele Begründungen oder Gerüchte darüber, warum das nun passiert ist, auch Gordon Brown, der letzte Labour-Premierminister, ist nicht eingeladen worden. Also ich glaube, es hat weniger mit dem Glaubenswechsel von Tony Blair zu tun. Offiziell ist die Begründung, er sei ja nicht Orden des Ritters, wie zum Beispiel seine Vorgänger – wie heißt er denn noch? Jedenfalls Lady Thatcher war eingeladen worden und John Major – so heißt er – ist auch eingeladen worden. Lady Thatcher wird nicht kommen aus Krankheitsgründen, aber John Major wird anwesend sein.

Und das ist dann doch in der Öffentlichkeit mit Befremden aufgenommen worden, dass nun gerade Tony Blair nicht eingeladen wurde, der ja für das Könighaus eine wichtige Rolle gespielt hat in dieser Krise, in der Zeit um Dianas Tod herum, wo er denn doch auch zum Ratgeber der Königin geworden ist. Er hat selber erklären lassen, das sei nicht wichtig, dass er nicht eingeladen worden ist – er weilt zurzeit in Australien –, aber in der Presse gibt es die Debatte, nicht nur in der linksliberalen Presse, zumal andere eingeladen worden sind, ziemlich zweifelhafte Figuren, Repräsentanten von autoritären Regimes, Saudi-Arabien etwa oder Swasiland. Der Botschafter Syriens ist gestern gar ausgeladen worden, ein ziemlicher Affront, aber aufgrund der Unruhen in Syrien verständlich. Und der Kronprinz von Bahrain, wo es ja auch Unruhen gegeben hat, der hat von sich aus abgesagt.

Timm: Kommentieren das Intellektuelle oder halten sie sich heute vornehm zurück, mit spitzer Feder in Zeitungen zu schreiben?

Spengler: Nein, es gibt natürlich – ich hab ja eben schon die Republikaner angesprochen – eine Minderheit von unter 20 Prozent, die finden sich vor allen Dingen im liberalen "Guardian" oder im "Independent" wieder, und natürlich kommentieren sie. Der "Guardian" hat, ich glaube vorgestern, eine Beilage rausgebracht, wo die ganze Hochzeit auf die Schippe genommen worden ist. Aber wie gesagt, es ist eine Minderheit, die große Mehrheit ist der Meinung, auch wenn man nicht mit Charles übereinstimmt und wenn zum Beispiel eine Mehrheit der Leute irgendwo lieber William gleich auf dem Thron sehen würde, dass sie an der Monarchie festhalten wollen und keine Debatte darüber, dass die Republik eingeführt werden soll.

Timm: Prinz William ist Zweiter der Thronfolge. Nach den Regeln wird Prinz Charles, Sie haben es eben gesagt, der nächste britische König, ein eigenwilliger Mann von 62 Jahren, der gern mit Pflanzen spricht? Würde ein King Charles zur echten Chance für Republikaner?

Spengler: Er würde es, da bin ich von überzeugt, und es ist halt sehr, sehr ... Es wäre sehr ungewöhnlich, wenn er sozusagen nicht den Thron bestiege. In Großbritannien ist es eben Tradition, man ist so lange König oder Königin, bis man stirbt. Einmal angenommen, die Queen würde zum Beispiel an Demenz leiden, also würde zum Beispiel schwer krank, sie würde Königin bleiben und Charles würde dann Prinzregent werden. Er würde erst dann König, wenn die Queen ablebt. Und das Gleiche gilt dann auch für seinen Sohn, William. Charles hat auch so lange gewartet, dass das kaum jemand glaubt, dass er freiwillig auf den Thron verzichten würde. Theoretisch ginge das natürlich, praktisch ist das eigentlich so gut wie unmöglich.

Das ist eine Belastung für die Monarchie, weil ihm auch viele Leute verübeln, wie er Diana behandelt hat, dass er sich hat scheiden lassen, dass er Camilla geheiratet hat – das sitzt immer noch tief. Die meisten würden es bevorzugen, wenn William ans Ruder kommt, aber das ist unwahrscheinlich. Und wenn man mal das zeitlich durchplant: Charles ist jetzt 62, sagen wir mal, seine Mutter ist noch zehn Jahre auf dem Thron und in zehn Jahren käme er dann dran, dann ist er 72. Wenn er auch diese Windsor-Gesundheit aufweist, die die beiden da offenbar …

Timm: Dann kriegen sie einen alten William irgendwann.

Spengler: Dann, sagen wir mal, bleibt er 20 Jahre, und dann ist William in 30 Jahren dran, also im Jahr 2041, und William wäre dann 59. Also wir sprechen hier von großen Zeiträumen, und ob die Monarchie das bis dahin überlebt, wage ich nicht zu prognostizieren.

Timm: Rein rechnerisch hätten ja Charles und Diana neunmal heiraten können für die Summe, die für Kate und Williams Hochzeit ausgegeben wird – von 45 Millionen ist die Rede. England ächzt unter einem Sparprogramm, das an die soziale Substanz geht im Land. Wird die Kostenfrage eigentlich diskutiert?

Spengler: Nein, die wird nicht diskutiert, weil es ist völlig klar, dass für die Sicherheitsfragen und Straßenreinigungsfragen et cetera der Staat zuständig ist, ja nicht nur bei so einem Ereignis, wie es ja auch nur alle 30 Jahre einmal vorkommt in dieser Dimension. Und der Staat zahlt auch für alle Staatsbesuche et cetera, also das ist eigentlich selbstverständlich. Und die Hochzeitskosten selbst, man rätselt, wie viel es sein werden, es gibt ganz unterschiedliche Zahlen, für die kommt die königliche Familie selbst auf, und – das ist sehr ungewöhnlich – das erste Mal überhaupt auch die Eltern der Braut, die sich mit 100.000 Pfund beteiligen.

Timm: Welche Wetten gibt es denn heute vor allem?

Spengler: Oh, das weiß ich nicht. Es gibt aber, wie ich die Briten kenne, auf alles Wetten natürlich.

Timm: Hutfarbe, Brautkleid, Wetter ...

Spengler: Ach, diese Wetten meinen Sie. In den Wettbüros werden zum Beispiel Wetten angeboten darüber, wie lange diese Ehe halten wird und so weiter, und man kriegt wenig Geld, wenn man sagt, die Ehe wird lange halten, und man bekommt sehr viel Geld raus, wenn man sagt, ach, das dauert nur ein Jahr, zwei Jahre. Also man hofft doch auf eine große Beständigkeit, ist auch überzeugt von einer großen Beständigkeit dieser Ehe. Das Brautkleid, da gab es schon vor drei Wochen, vor vier Wochen gab es schon in ehrwürdigen Zeitungen wie der "Times" irgendwo die Meldung, man wisse jetzt, wer das Brautkleid entworfen habe und entwerfen werde, aber das wurde dann alles wieder dementiert. Also es wird weiß sein, das könnte man wohl mit Sicherheit annehmen.

Timm: Gegen elf ist es zu sehen. Danke an unseren Korrespondenten Jochen Spengler in London. Und um 14:25 Uhr ist der offizielle Kuss vorgesehen, auf dem Balkon von Buckingham Palace, und eine erste Bilanz der Inszenierung, die ziehen wir nach 16 Uhr hier im "Radiofeuilleton" mit unserem Theaterexperten.