"Eine große Umarmung der orthodoxen Kirchen"

Moderation: Dieter Kassel |
Traditionsgemäß erteilte Papst Benedikt XVI. seinen Segen am ersten Weihnachtsfeiertag. Der Journalist Herbert A. Gornik versteht seine Ansprache als Ausdruck einer Vision, dass es eines Tages wieder zu einer Wiedervereinigung mit den orthodoxen Kirchen kommen könne. Theologisch habe der Papst auf Übereinstimmung und Affirmation gesetzt.
Kassel: Den traditionellen Segen Urbi et Orbi erteilte Papst Benedikt XVI. diesmal in über 62 Sprachen, so sagte es der Kommentator des ZDF am 1. Weihnachtsfeiertag kurz nach 12 Uhr mittags. Ich habe da nicht mitgezählt, was das bedeuten sollte, ob es nun 63 oder 64 Sprachen waren, zumal, so emotional auch dieser Segen dann ist, das wirklich Interessante kommt ja vorher, nämlich die eigentliche Weihnachtsansprache des Papstes. Über die wollen wir jetzt sprechen mit Herbet A. Gornik aus unserer Redaktion Religion und Gesellschaft. Herr Gornik, mir ging es anders als Ihnen, das weiß ich schon, weil ich bin ja der Laie, und ich fand bei der Weihnachtsansprache am 25. Dezember den Anfang konventionell und fast ein bisschen, ich will jetzt mal mit dem Papst das Wort langweilig vermeiden, aber nun habe ich es fast ausgesprochen, und Sie haben mir schon erzählt, das war aber im Grunde genommen gar nicht so, schon der Anfang sei das Interessante gewesen.

Gornik: Das war das eigentliche Highlight, weil der Anfang wie bei einem Musikstück macht die Intonation, und da wird die Karte hochgezogen. Nun hat man aber bei dieser Weihnachtsansprache natürlich den Eindruck doch haben können, hier sind 17 hochrangige Theologen erst mal drübergangen und haben auf alle möglichen Anstößigkeiten und möglichen Beleidigungen von irgendwelchen Menschengruppen auf der Welt alles abgeklopft, so wie in der Medizin, wenn man nicht weiß, welche Krankheit jemand hat, dann geht es nach dem Ausschlussverfahren, alles wird untersucht: Das ist es Gott sei Dank nicht, das ist es nicht …. Also hier konnte sich keiner beleidigt fühlen, mit dem Risiko einer solchen Weihnachtsansprache natürlich, wer nichts Anstößiges sagen will oder so etwas vermeiden will, der kann vielleicht auch nichts anstoßen, also wo bleibt die Klarheit und die Eindeutigkeit in der Sache. Und da hat der Papst ein drittes Mittel gewählt, und das macht nun sehr deutlich seine, ja, seine Vision, dass es vielleicht doch einmal wieder zu einer Wiedervereinigung mit den Orthodoxen kommen könnte, dies ist eine im besten Sinne theologisch-orthodoxe, heißt nicht konservative, konventionelle, aber der orthodoxen Theologie verpflichtete Ansprache. Dies ist eine große Umarmung der syrisch-orthodoxen, griechisch-orthodoxen und russisch-orthodoxen Kirchen.

Kassel: Inwiefern, also für die, die es nicht gehört haben, er begann, der Papst, mit dem modernen Menschen, der modernen Welt, hat vieles erwähnt, vom Internet bis zur Gentechnik, und die Frage gestellt: Braucht ein solcher Mensch, der scheinbar so selbstbestimmt lebt und das Leben selbst gestaltet, braucht er noch einen Erlöser, braucht er die Erlösung? Wo liegt jetzt da die Brücke zur Orthodoxie?

Gornik: In dem Schlüsselsatz. Er sagt wörtlich, trotz aller Form des Fortschritts ist der Mensch doch das geblieben, was er immer war, nämlich eine Freiheit, die zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Tod hin- und hergerissen ist. Und dieser Mensch, sagt der Papst, muss sich entscheiden. Er ist sozusagen in seinem Kern, das, was die Bibel das Herz nennt, da ist er unerlöst, er muss erlöst werden, er pendelt immer zwischen Gut und Böse. Und diese Erlösungsbereitschaft oder diese Erlösungsnotwendigkeit, die zeichnet den Menschen aus. Das ist ein ganz anderer Sprachgebrauch, als wenn man sonst über gerechte Strukturen redet. Nein, dieser Papst sagt hier wieder deutlich, wie es die alte Theologie immer sagte, der Mensch sozusagen muss erlöst werden, die Welt muss im Menschen heil werden. Schau erst auf dich, wie es im Neuen Testament heißt, sieh erst den Balken in deinem eigenen Auge, bevor du den Splitter im anderen Auge siehst, schau auf dich, was du tun kannst in deinem Herzen. Die Welt kann nicht schlechter und nicht besser sein, als inwendig dein Herz ist. Das ist eine Theologie, wo es eine große Affirmation in der christlichen Welt geben wird, denn jetzt spricht der Papst auch in seiner Weihnachtsansprache nicht von kirchlichen Hierarchien. Das grenzt ja auch immer ab, wir wissen, in der orthodoxen Christenheit gibt es diesen Primat des Papstes nicht, sondern da ist das Oberste eine Synodalverfassung, der oberste Synod, diese Synode, die entscheidet, das ist ganz, ganz wichtig, trennt die Kirchen schon seit über 1000 Jahren. Und hier ist ganz deutlich, davon spricht er jetzt nicht, von den innerkirchlichen Problemen, sondern er benutzt zwei aus der alten Theologie stammende Begriffe, nämlich wieder wörtlich das göttliche Kind und der Fürst des Friedens gebe , und jetzt wird es politisch, dass jene Spannungsherde ausgetilgt werden, die in anderen Teilen der Welt, in Europa und Lateinamerika, die Zukunft unsicher machen. Darüber spricht er ja in dieser Weihnachtsansprache, besonders über den Nahen Osten, also das göttliche Kind, dieses Kind, das ist das Paradoxe, ist zugleich der Fürst des Friedens. Das ist eine alte theologische Metapher, die sehr auf Übereinstimmung, Zustimmung, also Affirmation ausgerichtet ist, und bei der auch islamische Theologen, um das am Rande zu erwähnen, durchaus mit dem Kopf nicken können, denn das ist auch ein alter Begriff aus der islamischen Theologie.

Kassel: Aber vielleicht nicht nur am Rande, denn das war ja dann ein sehr großer Teil im weiteren Verlauf der Rede. Sie haben es erwähnt, er hat in der Tat die Krisenherde zum Beispiel in Südamerika, in Europa ja fast nur am Rande erwähnt, weil wir leider auch in einer Welt leben, das würde auch in so einer Ansprache zu lange dauern, sie alle im Detail zu erwähnen. Aber er hat ganz deutlich gesprochen über den Nahen Osten, über den israelisch-palästinensischen Konflikt, hat fast schon tagesaktuell da die neuen wieder aufgenommenen Verhandlungen erwähnt, hat dann später, was mich ein bisschen erstaunt hat, in Sri Lanka den Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen erwähnt, hat Dafur und Somalia erwähnt. Aber da ging es mir dann genau wieder so, er hat vieles erwähnt, aber er hat Dinge gesagt, wo eigentlich jeder zustimmen muss, egal ob und an welchen Gott und welche Religion er glaubt, aber es war alles unkonkret für seine Verhältnisse. Ist er vorsichtiger, Sie haben auch angefangen, man hat das abgeklopft offenbar, diese Rede, vorsichtiger bis hin vielleicht zu ein bisschen feiger geworden?

Gornik: Ich sehe das nicht so, schon gar nicht feige, denn der Papst ist ein intellektueller Meister klarer Begrifflichkeiten, aber er differenziert, glaub ich, stärker. Er sagt nicht bei jedem Anlass alles. Diese Weihnachtsbotschaft stand ganz unter dem Zeichen Salvator noster natus est in mundo, verwundert nicht, dass es Latein ist, es ist ja die alte Sprache der Kirche. Unser Erlöser ist in dieser Welt geboren. Er kommt nicht von außen, sondern er ist einer von uns. Das ist ja auch wichtig, in diesem theologischen Begriff ausgedrückt. Hier steht die persönliche Entscheidung des Menschen im Vordergrund. Der Papst differenziert, habe ich gesagt, denn diese politischen Äußerungen, die er dann auch wirklich im Klartext sagen wird, worin sich auch die Kritik des Christentums, des Katholizismus auch insbesondere gegenüber muslimischen Ländern erschöpft oder worin sie besteht, das sagt er am 1.1.2007, denn das ist traditionellerweise der Weltfriedenstag der katholischen Kirche, und diese Rede liegt jetzt schon vor. Interessant ist, dass sie nirgendwo zitiert wird. Denn da finden sich all diese Formulierungen, da beklagt er sich genau wie die lutherische Bischöfin Margot Käßmann jetzt zu Weihnachten auch, dass es eben Länder gibt, in denen Christen verfolgt werden, in denen diese Religionsgemeinschaft, diese Religionsgleichheit von der anderen Seite, namentlich der muslimischen Seite, die dort auch die Regierungen stellt, überhaupt nicht praktiziert wird. Dies war aber hier nicht das Thema.

Kassel: Ist aber das, was Sie jetzt in mehreren Antworten unterbringen mussten, dass das ein sehr intellektueller Papst ist, ein Papst, der zwar sehr eindeutig formuliert, aber eben eindeutig auch im Sinne von sprachlich manchmal nicht ganz unkompliziert ist. Jetzt lassen Sie uns mal über die Rede hinaus auf das Jahr 2006 im Vatikan, das Jahr 2006 von Joseph Ratzinger zurückblicken. Ein Problem, ich hatte auch beim Betrachten dieses Segens – bleiben wir jetzt wirklich beim Segen, wo ja Inhaltlich nichts Heikles ist –, was ja ein sehr emotionaler Moment ist, wo die Leute auf dem Petersplatz auf ihre Sprache vielleicht warten, ob die drankommt, das Gefühl, das war schon in Ordnung, da wurde applaudiert, manche Leute guckten gerührt, aber es war nicht eine Stimmung, wie ich sie gewöhnt bin von früher von Johannes Paul II. Ist Benedikt XVI. für manche vielleicht doch zu intellektuell?

Gornik: Manche haben gesagt, er ist kein Baguette-Esser, sondern hier wird Schwarzbrot gegessen, also im intellektuellen Bereich auch, hier wird die Anstrengung des Begriffs gefordert. Das muss kein Nachteil sein, wenn es diesem Papst gelingt, verständlich zu sein, und das ist er in der Weihnachtsbotschaft auch in der von mir zitierten Rede zum Weltfriedenstag durchaus, das ist schon eindeutig. Man muss nur die Bereitschaft mitbringen, zunächst mal seine Rede auch so zu verstehen, wie er sie versteht, und nicht, wie man sie vielleicht selber verstehen möchte. Natürlich gibt es einige dramatische Fragen gerade im Jahr 2006, die von ihm mit angesprochen wurden. Nun hat er das nicht erfunden, die Diskussion um Enthaltsamkeit und Zölibat und Empfängnisverhütung, das ist ja auf ihn zugekommen auch aus der katholischen Tradition und wegen der Probleme, die ja älter sind als der Papst. Aber er muss sich jetzt entscheiden, aber er will es nicht alleine tun, er hat ja eine Bischofssynode zum Beispiel zum Zölibat auch einberufen, die ist ohne großartiges Ergebnis auseinandergegangen. Man hat sich nicht auf eine gemeinsame Position verständigen können, und er will weiterdiskutieren, aber es gibt ein paar Marksteine. Also sehr deutlich, und das ist offenbar auch seine Haltung, die ist von Kardinälen immer wieder bekräftigt worden, der Zölibat ist kein Dogma, das ist eine historische Sache, die kann auch geändert werden. Es gibt den Ehelosigkeitszölibat und es gibt den Enthaltsamkeitszölibat. Caelebs heißt eigentlich ehelos leben, das hat mit sexueller Enthaltsamkeit noch nicht unbedingt etwas zu tun, aber es könnte darauf hingehen, und das wird vielleicht in 2007 noch ein großes Thema sein, und der Papst wird sich vielleicht verstehen können, in den nächsten Monaten erwarten wir durchaus Signale, dass es so etwas gibt wie einen Enthaltsamkeitszölibat in der katholischen Kirche. Dies bedeutet ganz praktisch, dass in den Gemeinden verheiratete Priester zugelassen werden können, die dann aber, wenn sie zu Priestern geweiht werden, also Menschen, die schon verheiratet sind und Kinder haben, die dann sich verpflichten müssen, enthaltsam zu leben. Das hat es in der Kirchengeschichte immer wieder gegeben.
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