Eine Glosse zum 1. Mai in Berlin

Karneval auf Preußisch

03:50 Minuten
Linke Demonstrierende und Polizisten bei der Revolutionären 1. Mai Demonstration in Berlin 2017.
Der Dresscode gilt für beide Seiten: Schwarz. Linke Demonstrierende und Polizisten bei der Revolutionären 1. Mai Demonstration in Berlin 2017. © imago/Emmanuele Contini
Von Klaus Nothnagel · 29.04.2019
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In Berlin ist der 1. Mai ein Umzug mit Ekstase plus schlechte Laune und Gewalt, meint der Autor Klaus Nothnagel in seiner Glosse. Trotzdem kann er über die Mai-Krawalle auch lachen – und er hat eine Lieblingsanekdote.
Die Bäume blüh'n, die Säfte steigen: Zeit für den 1. Mai. Linksradikale sowie unpolitische Gewaltfreunde, deren Wut genau zum Datum überschäumt – gegen Polizisten, denen Ähnliches zustößt: Eine Art Karneval auf Preußisch, Umzug mit Ekstase plus schlechte Laune und Gewalt.

Irgendwann in den 80ern fragte ein Radio-Moderator seinen Außenreporter: Was ist der Grund für den Ausbruch der Gewalt? Darauf der Reporter: Ich glaube, der Ausbruch der Gewalt kommt durch den Einbruch der Dunkelheit zustande. Fein beobachtet. Der Wut-Abend. Mit wachsendem Grimm lebt man dem großen Tag entgegen.
Dann endlich DAS gesellschaftliche Ereignis: Wie der Studienrat sich auf das Operngastspiel mit Netrebko freut, fiebert der junge Linksradikale den Leibesübungen in frischer Luft entgegen. Und? Gibt's einen Dresscode dafür? Schwarz. Bei Dunkelheit macht das fast unsichtbar, und Farben falsch kombinieren kann man auch nicht. Und die Hasskappe? Leider dem Vermummungsverbot zum Opfer gefallen. Kann aber zusammengedrückt in der Hosentasche mitgeführt werden.
Die andere Partei des Abends trägt gezwungenermaßen Trachtenmode, dazu den kunststoffenen Schlagstock – einer der früher üblichen Holz-Dienstknüppel war am Schädel einer Demonstrantin zerschellt. Man rüstete auf Plastik um. Wie bringt man sich in Stimmung für den Gewalt-Stadl? Dosenbier ist die Droge der Wahl. Kiffen macht gleichgültig – das wäre ganz falsch.

Alle Wörter mit F sind brüllbar

Die Männer von der Trachtentruppe nehmen keine Drogen ein, sondern bringen sich nur durch das ständig heruntergeleierte Feindbild in Fahrt. Wer kümmert sich um die Gäste aus der Provinz? Niemand. Die angereisten Krawalltouristen aus Wolfenbüttel oder Landshut haben keine Ahnung, wie ein greller Krawall aussieht und von wo nach wo man sich dabei bewegt.
Also taumeln sie zwischen den Fronten umher und zerstören wahllos was, weils das in Wolfenbüttel und Landshut nun mal nicht gibt, rumrennen und Sachenkaputtmachen. Die Polizei hilft den wirren Provinzlern allenfalls, indem sie sie abtransportiert.
Und schließlich: die Kommunikation. Alle Wörter, die mit F anfangen, sind brüllbar. Auch bei der Trachtentruppe hört man gelegentlich verbale Grobheiten. Die formvollendete Durchsage: "Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei, bitte beenden Sie das Werfen mit Steinen auf die Polizeibeamten!" war wohl eine charmante Ausnahme.
Meine Lieblingsanekdote aus den bisherigen Mai-Feierlichkeiten: Drei Polizeiführer in Zivil beobachten am Abend das Geschehen vom Gehweg aus. Sie wollen sich überzeugen, dass Ihre Männer bei der Kampfgymnastik auch elastisch zu Werke gehen. Das tun sie wirklich: Im Übereifer verdreschen die kostümierten Frontschweine die drei Zivilistenkollegen. Ja ich weiß, so was kommt vor, und über so was lacht man nicht. Ich kann aber nicht anders.
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