Plädoyer für einen neuen 1. Mai

Der Tag der Arbeit als ganz normaler Arbeitstag

Ein Mann sitzt abends in einem Büro an einem vollen Schreibtisch und arbeitet in Berlin.
Arbeit als Last – ein Verständnis der Vergangenheit © picture-alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Philip Kovce · 30.04.2018
Wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet der Tag der Arbeit durch Nicht-Arbeiten begangen wird? Die Erklärung von Autor Philip Kovce: Der Feiertag stammt aus einer Zeit, in der Arbeit als Strafe galt. Doch da seien wir inzwischen weiter - wenn auch noch nicht weit genug.
Wer die Geschichte der Arbeit erzählen will, der tut gut daran, mit der Schöpfungsgeschichte anzufangen. Bereits der biblische Mythos kennt jene zwei Seiten, die uns als Arbeitsfreuden und -leiden vertraut sind.
Da ist auf der einen Seite der Schöpfergott, der ein Geschöpf nach seinem Bilde schafft: einen Menschen als kongenialen Schöpfer. Als solcher gibt Adam den paradiesischen Pflanzen und Tieren Namen und – wir würden heute sagen – verwirklicht sich selbst. Dabei verstößt er gegen das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu kosten – und erfährt daraufhin, als Folge dieser tätigen Selbstverwirklichung, die Arbeit von ihrer anderen Seite, nämlich als Strafe. Im Schweiße seines Angesichts soll er von nun an sein tägliches Brot verdienen. Auf Erden. Nicht im Paradies.

Arbeit als Strafe oder Selbstverwirklichung

Hienieden ist uns Arbeit noch immer in dieser Doppelsinnigkeit geläufig: als Schöpfungsakt einerseits, als Strafe andererseits; als Beweis der Gottesebenbildlichkeit des Menschen sowie als Ausweis seiner Sündhaftigkeit. Wir müssen arbeiten, um zu überleben; und wir wollen arbeiten, um uns selbst zu verwirklichen. Wir freuen uns, wenn die Arbeit getan ist; und wir fragen uns, was danach zu tun ist.
Wer die Gegenwart der Arbeit genauer anschaut, der erkennt allerdings eine gewichtige Verschiebung im Verhältnis zwischen schöpferischer Tätigkeit und Strafarbeit. Kurz gesagt: Die Strafarbeit stirbt aus. Genauer gesagt: Wir nähern uns, wenn wir so wollen, wieder paradiesischen Zuständen. Wir haben über all die Jahrhunderte hinweg unsere ganze Schöpferkraft aufgewendet, um die Strafarbeit immer besser zu erledigen. Und inzwischen sind sie da, all die Apps und Algorithmen, die Roboter und Maschinen, die handfesten Ausgeburten unserer Phantasie, welche die Strafarbeit übernehmen.

Arbeit ist Freiheit

Weil es das Ziel vieler Generationen vor uns gewesen ist, den Menschen von der Strafarbeit zu befreien, sind wir dieser Tage tatsächlich soweit, Arbeit als schöpferische Tätigkeit zu begreifen. Als solche ist sie im digitalen Zeitalter gefragter denn je. Denn während Maschinen alle berechenbaren Tätigkeiten ausführen, die sich automatisieren lassen, sind wir bei allen unberechenbaren Tätigkeiten weiterhin auf menschliche Leistungen angewiesen, die freiwillig am besten erbracht werden.
Wie können wir dieser schönen freien Arbeitswelt angemessen begegnen? Sicher nicht mit dem längst überholten Bismarck'schen Sozialstaat, der für Strafarbeiter des Industriezeitalters geschaffen wurde. Und sicher auch nicht mit einem "solidarischen Grundeinkommen", wie manche Politiker ihre Forderung nach einem sozialen Arbeitsmarkt derzeit schönreden. Vielmehr braucht es ein bedingungsloses Grundeinkommen, das jeden Einzelnen sozial absichert und zugleich selbstbestimmt arbeiten lässt. Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht, dass nicht zuletzt Arbeitstage Feiertage sind und wir die unsägliche Trennung zwischen Arbeitsfrust und Freizeitlust endlich überwinden.

Die Freiheit, in Sachen Arbeit frei zu sein

Der 1. Mai als Feiertag der Arbeit ist ein Tag, an dem wir nicht arbeiten. Warum eigentlich? Weil er aus der Zeit der Strafarbeit stammt. Doch davon haben wir uns befreit. Die Freiheit, in Sachen Arbeit frei zu sein, liegt inzwischen in unseren Händen. Wenn wir von der Zukunft der Arbeit ausgehen, dann sollte der Tag der Arbeit ein ganz normaler Arbeitstag sein. Ein Tag, so frei wie jeder andere.

Philip Kovce, geboren 1986, forscht am Basler Philosophicum sowie an der Seniorprofessur für Wirtschaft und Philosophie der Universität Witten/Herdecke. Er gehört dem Think Tank 30 des Club of Rome an und veröffentlichte jüngst die Studie "Ich-Bildung. Der Mensch als Schöpfer seiner selbst. Motive einer ungeschriebenen Philosophie Gerhard Kienles" (2017).

Philip Kovce - 1986 in Göttingen geboren, lebt als freier Autor in Berlin. Er ist Mitbegründer des Basler Philosophicums, Mitarbeiter des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Universität Witten/Herdecke sowie Mitglied des Think Tank 30 des Club of Rome. Veröffentlichungen (Auswahl): Der freie Fall des Menschen ist der Einzelfall. Aphorismen (Futurum Verlag); An die Freude. Friedrich Schiller in Briefen und Dichtungen (hrsg., AQUINarte Kunst- und Literaturpresse); Die Aufgabe der Bildung. Aussichten der Universität (hrsg. mit Birger P. Priddat, Metropolis Verlag).
© Ralph Boes
Mehr zum Thema