Eine bedeutende Dynastie
Julius H. Schoeps will in „Das Erbe der Mendelssohns“ dieser weit verzweigten Familie gerecht werden. Er erzählt, wie alles begann und entführt die Leser nach Dessau, wo Moses Mendelssohn, der Urvater der Familie, geboren wurde.
Eine Dynastie ist eine Familie, der es über mehrere Generationen hinweg gelungen ist, wichtige Ämter zu bekleiden. So gibt es beispielsweise politische Dynastien, Wirtschaftsdynastien, Wissenschaftsdynastien oder auch Künstlerdynastien. Die Familie Mendelssohn ist ein Sonderfall: Sie repräsentiert über 250 Jahre europäische Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte.
In diesen Tagen erscheint mit dem Buch " Das Erbe der Mendelssohns“ eine Biographie jener bedeutenden Dynastie. Der Autor Julius H. Schoeps ist Historiker und ein ausgewiesener Kenner der deutsch-jüdischen Geschichte. Er unterrichtete bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2007 an der Universität Potsdam, darüber hinaus leitet er das Moses Mendelssohn Zentrum in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Und nicht zuletzt ist er mütterlicherseits selbst ein Nachfahre der Familie Mendelssohn-Bartholdy. Die Voraussetzungen könnten also besser kaum sein.
In einer Pressemitteilung des Verlages heißt es:
„Schoeps stellt erstmals systematisch die Familienzweige Mendelssohn dar, schildert ihre Geschichte als Bankiers und Unternehmer mit internationalem Wirkungskreis bis Russland und Estland, untersucht ihre einzigartige Rolle als Sammler und Mäzene und beschreibt den von den Nationalsozialisten erzwungenen Niedergang der Familie in bislang unbekannten Details.“
In sieben Kapiteln mit insgesamt knapp 400 Seiten versucht der Autor dieser weit verzweigten Familie gerecht zu werden. Er erzählt zunächst, wie alles begann und entführt seine Leserinnen und Leser in die anhaltinische Stadt Dessau, wo Moses Mendelssohn, der Urvater der Familie, am 6. September 1729 geboren wurde. Außergewöhnlich detailreich beschreibt Schoeps Kindheit und Jugend des späteren Philosophen:
„Moses, vermutlich klüger und aufnahmefähiger als die meisten seiner Mitschüler, begann bald, die Lektionen, die ihm im Lehrhaus vermittelt wurden, durch eigene Studien zu ergänzen. Er beschloss, Hebräisch nach der Grammatik statt – wie es die Mehrzahl seiner Jugendfreunde und Studiengenossen tat – durch Memorieren zu erlernen.“
Der Autor schildert auch die Jahre in Berlin, porträtiert das Verhältnis zu Gotthold Ephraim Lessing und würdigt Mendelssohns literarische Arbeiten. In den folgenden Kapiteln widmet er sich den Nachfahren, etwa dem Geschwisterpaar Fanny und Felix, skizziert das geschäftliche Wirken und den Aufstieg im Kaiserreich. Ein separater Teil ist den Bauherren, Sammlern und Mäzenen unter den Mendelssohns gewidmet.
Trotz der wohlproportionierten Anlage bleibt das Buch hinter den Erwartungen zurück. Im Vorwort schreibt der Autor:
„Den roten Faden im Familiendickicht der Mendelssohns zu finden und unterwegs nicht zu verlieren, ist nach wie vor die große Herausforderung an den Biographen. Er ist mit Puzzlesteinen konfrontiert, die ein hübsches, bunt gefärbtes Mosaik aus Geschichten und Geschichtchen, aber kein zusammenhängendes Bild ergeben.“
Treffender hätte man das Grundproblem dieser Familienbiographie nicht auf den Punkt bringen können: Julius H. Schoeps kommt in manchen Passagen über das Erzählen von Geschichten und Geschichtchen nicht hinaus. Viele Geschichten sind interessant, andere erscheinen banal und wiederum andere sind von zweifelhaftem Gehalt. Nehmen wir beispielsweise die Ausführungen über den 1855 geborenen und 1933 gestorbenen Kirchenmusiker Arnold Mendelssohn. Er habe, so der Autor, seit Mitte der 1890er Jahre an einer Oper mit dem Titel „Der Bärenhäuter“ gearbeitet:
„Arnold Mendelssohn hatte allerdings Pech, dass diese Pläne durch eine Indiskretion Engelbert Humperdincks Siegfried Wagner bekannt wurden, dem Sohn Richard Wagners. Dieser nahm das Thema auf; er vertonte den ‘Bärenhäuter’-Stoff und brachte ihn 1898 auf die Bühne, zwei Jahre bevor Arnold Mendelssohn seine Inszenierung im Berliner Theater des Westens zur Aufführung bringen konnte. Hinter vorgehaltener Hand wurde Wagner gegenüber der Plagiatvorwurf erhoben; letztlich blieb das jedoch ohne Folgen.“
Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Julius H. Schoeps Darstellung verschweigt, dass es der Komponist Engelbert Humperdinck selbst war, der das „Bärenhäuter“-Märchen vertonen wollte. Als er aber mit dem Stoff nicht zurande kam, machte er seinen Freund und Schüler Siegfried Wagner darauf aufmerksam. Von einer „Indiskretion“ konnte wohl keine Rede sein. Darüber hinaus wurden Plagiatsvorwürfe auch nicht „hinter vorgehaltener Hand“ erhoben, sondern von einem unabhängigen Gericht erörtert. Der Prozess führte jedoch keineswegs zur Verurteilung Siegfried Wagners.
Biograph Schoeps weist zu Recht darauf hin, dass Arnold Mendelssohns Schaffen in Nazideutschland geächtet war.
„Die Ausgrenzung hatte bereits Anfang der zwanziger Jahre begonnen. Wilhelm Furtwängler, der 1923 Mendelssohn um die Zusendung seiner ‘neuen Sinfonie’ gebeten hatte, lehnte deren Aufführung mit der Begründung ab, ihr fehle eine ‘irgendwie geartete…Beziehung zu unserer heutigen Zeit’. Furtwängler benutzte damit eine Redewendung, die einige Jahre später zum Standardvokabular der NS-Ideologen gehören sollte.“
Doch Furtwänglers Argumentation hat mit den schlimmen Phrasen nationalsozialistischer Kulturpolitiker nichts zu tun. Um es deutlich zu sagen: es ist nicht gerade fair, Wilhelm Furtwängler im Jahre 1923 – zehn Jahre vor der so genannten „Machtergreifung“ – die Vorwegnahme von Nazi-Idiomen zu unterstellen. Vielmehr muss man einem intuitiven Künstler wie Furtwängler unvoreingenommen zugestehen, dass er mit Arnold Mendelssohns Sinfonie schlichtweg nichts anfangen konnte. Wenige Zeilen zuvor weist Schoeps nämlich selbst auf das Dilemma in Mendelssohns Schaffen hin:
„Das meiste davon ist allerdings heute kaum noch bekannt, was auch mit dem extremen Schwierigkeitsgrad der Kompositionen zusammenhängt. Alterierungen, Chromatik, Gleichzeitigkeit und bitonale Harmonieverläufe machen seine Musik nicht nur technisch kompliziert, sondern auch schwerfällig.“
Vielleicht war es jene unzeitgemäße Schwerfälligkeit, die Furtwängler davon abhielt, ein unpopuläres Werk aufs Programm zu setzen. Aber muss man deshalb gleich eine politisch motivierte Ausgrenzung vermuten?
Ein letztes Beispiel: In einem Kapitel wendet sich Julius H. Schoeps dem „Kreis um Hugo von Tschudi“ zu, wie es in der Überschrift heißt. Jener Abschnitt wirkt aber unfreiwillig komisch, denn merkwürdigerweise wird der Name des Direktors der Berliner Nationalgalerie auf diesen gut zwei Seiten kein einziges Mal genannt. Man erfährt zwar, dass Kaiser Wilhelm II. für die neuen Kunstrichtungen, insbesondere für den französischen Impressionismus, nichts übrig hatte, was allerdings keine Neuigkeit darstellt. Was es aber mit dem „Kreis um Hugo von Tschudi“ auf sich hatte, bleibt an dieser Stelle nebulös. Schoeps behauptet vielmehr:
„Wer sich, wie der Berliner Maler Max Liebermann um die Jahrhundertwende, für die französischen Impressionisten einsetzte, war für gewöhnlich Vertreter des Wirtschaftsbürgertums und meist Jude oder jüdischer Herkunft.“
Das mag so gewesen sein, man würde es aber gerne genauer und fundierter wissen. Es sind Pauschalurteile wie jene, die lange Schatten auf Schoeps’ Veröffentlichung werfen.
Gleichwohl hat das Buch auch Stärken. „Das Erbe der Mendelssohns“ ist dort authentisch, wo der Autor große biographische Linien nachzeichnen kann. Wer sich allgemein über das Auf und Ab in der Geschichte jener Ausnahmedynastie informieren möchte, wird den Kauf dieses mit Farbabbildungen hochwertig ausgestatteten Werkes sicherlich nicht bereuen.
Julius H. Schoeps: Das Erbe der Mendelssohns
Biographie einer Familie, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2009
In diesen Tagen erscheint mit dem Buch " Das Erbe der Mendelssohns“ eine Biographie jener bedeutenden Dynastie. Der Autor Julius H. Schoeps ist Historiker und ein ausgewiesener Kenner der deutsch-jüdischen Geschichte. Er unterrichtete bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2007 an der Universität Potsdam, darüber hinaus leitet er das Moses Mendelssohn Zentrum in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Und nicht zuletzt ist er mütterlicherseits selbst ein Nachfahre der Familie Mendelssohn-Bartholdy. Die Voraussetzungen könnten also besser kaum sein.
In einer Pressemitteilung des Verlages heißt es:
„Schoeps stellt erstmals systematisch die Familienzweige Mendelssohn dar, schildert ihre Geschichte als Bankiers und Unternehmer mit internationalem Wirkungskreis bis Russland und Estland, untersucht ihre einzigartige Rolle als Sammler und Mäzene und beschreibt den von den Nationalsozialisten erzwungenen Niedergang der Familie in bislang unbekannten Details.“
In sieben Kapiteln mit insgesamt knapp 400 Seiten versucht der Autor dieser weit verzweigten Familie gerecht zu werden. Er erzählt zunächst, wie alles begann und entführt seine Leserinnen und Leser in die anhaltinische Stadt Dessau, wo Moses Mendelssohn, der Urvater der Familie, am 6. September 1729 geboren wurde. Außergewöhnlich detailreich beschreibt Schoeps Kindheit und Jugend des späteren Philosophen:
„Moses, vermutlich klüger und aufnahmefähiger als die meisten seiner Mitschüler, begann bald, die Lektionen, die ihm im Lehrhaus vermittelt wurden, durch eigene Studien zu ergänzen. Er beschloss, Hebräisch nach der Grammatik statt – wie es die Mehrzahl seiner Jugendfreunde und Studiengenossen tat – durch Memorieren zu erlernen.“
Der Autor schildert auch die Jahre in Berlin, porträtiert das Verhältnis zu Gotthold Ephraim Lessing und würdigt Mendelssohns literarische Arbeiten. In den folgenden Kapiteln widmet er sich den Nachfahren, etwa dem Geschwisterpaar Fanny und Felix, skizziert das geschäftliche Wirken und den Aufstieg im Kaiserreich. Ein separater Teil ist den Bauherren, Sammlern und Mäzenen unter den Mendelssohns gewidmet.
Trotz der wohlproportionierten Anlage bleibt das Buch hinter den Erwartungen zurück. Im Vorwort schreibt der Autor:
„Den roten Faden im Familiendickicht der Mendelssohns zu finden und unterwegs nicht zu verlieren, ist nach wie vor die große Herausforderung an den Biographen. Er ist mit Puzzlesteinen konfrontiert, die ein hübsches, bunt gefärbtes Mosaik aus Geschichten und Geschichtchen, aber kein zusammenhängendes Bild ergeben.“
Treffender hätte man das Grundproblem dieser Familienbiographie nicht auf den Punkt bringen können: Julius H. Schoeps kommt in manchen Passagen über das Erzählen von Geschichten und Geschichtchen nicht hinaus. Viele Geschichten sind interessant, andere erscheinen banal und wiederum andere sind von zweifelhaftem Gehalt. Nehmen wir beispielsweise die Ausführungen über den 1855 geborenen und 1933 gestorbenen Kirchenmusiker Arnold Mendelssohn. Er habe, so der Autor, seit Mitte der 1890er Jahre an einer Oper mit dem Titel „Der Bärenhäuter“ gearbeitet:
„Arnold Mendelssohn hatte allerdings Pech, dass diese Pläne durch eine Indiskretion Engelbert Humperdincks Siegfried Wagner bekannt wurden, dem Sohn Richard Wagners. Dieser nahm das Thema auf; er vertonte den ‘Bärenhäuter’-Stoff und brachte ihn 1898 auf die Bühne, zwei Jahre bevor Arnold Mendelssohn seine Inszenierung im Berliner Theater des Westens zur Aufführung bringen konnte. Hinter vorgehaltener Hand wurde Wagner gegenüber der Plagiatvorwurf erhoben; letztlich blieb das jedoch ohne Folgen.“
Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Julius H. Schoeps Darstellung verschweigt, dass es der Komponist Engelbert Humperdinck selbst war, der das „Bärenhäuter“-Märchen vertonen wollte. Als er aber mit dem Stoff nicht zurande kam, machte er seinen Freund und Schüler Siegfried Wagner darauf aufmerksam. Von einer „Indiskretion“ konnte wohl keine Rede sein. Darüber hinaus wurden Plagiatsvorwürfe auch nicht „hinter vorgehaltener Hand“ erhoben, sondern von einem unabhängigen Gericht erörtert. Der Prozess führte jedoch keineswegs zur Verurteilung Siegfried Wagners.
Biograph Schoeps weist zu Recht darauf hin, dass Arnold Mendelssohns Schaffen in Nazideutschland geächtet war.
„Die Ausgrenzung hatte bereits Anfang der zwanziger Jahre begonnen. Wilhelm Furtwängler, der 1923 Mendelssohn um die Zusendung seiner ‘neuen Sinfonie’ gebeten hatte, lehnte deren Aufführung mit der Begründung ab, ihr fehle eine ‘irgendwie geartete…Beziehung zu unserer heutigen Zeit’. Furtwängler benutzte damit eine Redewendung, die einige Jahre später zum Standardvokabular der NS-Ideologen gehören sollte.“
Doch Furtwänglers Argumentation hat mit den schlimmen Phrasen nationalsozialistischer Kulturpolitiker nichts zu tun. Um es deutlich zu sagen: es ist nicht gerade fair, Wilhelm Furtwängler im Jahre 1923 – zehn Jahre vor der so genannten „Machtergreifung“ – die Vorwegnahme von Nazi-Idiomen zu unterstellen. Vielmehr muss man einem intuitiven Künstler wie Furtwängler unvoreingenommen zugestehen, dass er mit Arnold Mendelssohns Sinfonie schlichtweg nichts anfangen konnte. Wenige Zeilen zuvor weist Schoeps nämlich selbst auf das Dilemma in Mendelssohns Schaffen hin:
„Das meiste davon ist allerdings heute kaum noch bekannt, was auch mit dem extremen Schwierigkeitsgrad der Kompositionen zusammenhängt. Alterierungen, Chromatik, Gleichzeitigkeit und bitonale Harmonieverläufe machen seine Musik nicht nur technisch kompliziert, sondern auch schwerfällig.“
Vielleicht war es jene unzeitgemäße Schwerfälligkeit, die Furtwängler davon abhielt, ein unpopuläres Werk aufs Programm zu setzen. Aber muss man deshalb gleich eine politisch motivierte Ausgrenzung vermuten?
Ein letztes Beispiel: In einem Kapitel wendet sich Julius H. Schoeps dem „Kreis um Hugo von Tschudi“ zu, wie es in der Überschrift heißt. Jener Abschnitt wirkt aber unfreiwillig komisch, denn merkwürdigerweise wird der Name des Direktors der Berliner Nationalgalerie auf diesen gut zwei Seiten kein einziges Mal genannt. Man erfährt zwar, dass Kaiser Wilhelm II. für die neuen Kunstrichtungen, insbesondere für den französischen Impressionismus, nichts übrig hatte, was allerdings keine Neuigkeit darstellt. Was es aber mit dem „Kreis um Hugo von Tschudi“ auf sich hatte, bleibt an dieser Stelle nebulös. Schoeps behauptet vielmehr:
„Wer sich, wie der Berliner Maler Max Liebermann um die Jahrhundertwende, für die französischen Impressionisten einsetzte, war für gewöhnlich Vertreter des Wirtschaftsbürgertums und meist Jude oder jüdischer Herkunft.“
Das mag so gewesen sein, man würde es aber gerne genauer und fundierter wissen. Es sind Pauschalurteile wie jene, die lange Schatten auf Schoeps’ Veröffentlichung werfen.
Gleichwohl hat das Buch auch Stärken. „Das Erbe der Mendelssohns“ ist dort authentisch, wo der Autor große biographische Linien nachzeichnen kann. Wer sich allgemein über das Auf und Ab in der Geschichte jener Ausnahmedynastie informieren möchte, wird den Kauf dieses mit Farbabbildungen hochwertig ausgestatteten Werkes sicherlich nicht bereuen.
Julius H. Schoeps: Das Erbe der Mendelssohns
Biographie einer Familie, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2009

Julius H. Schoeps: „Das Erbe der Mendelssohns. Biographie einer Familie“© Fischer-Taschenbuchverlag