"Eine Art Leuchtturm"
Der Band vereint Texte des Publizisten Joachim Fest aus den letzten 40 Jahren. Es sind Überlegungen Fests zu gesellschaftlichen Debatten. Im Kritikergespräch bezeichnet "Spiegel"-Kulturchef Matthias Matussek den Autor und seine Schriften als "eine Art Leuchtturm".
Rachel Gehlhoff: Nach dem Scheitern der Utopien - legt uns Fest in seinen Texten nahe, uns von Utopien nicht mehr einfangen zu lassen? Ist das eine Grundhaltung vielleicht, die er auch oft vertreten hat?
Matthias Matussek: Ne völlig illusionslose Haltung - auch über das Menschliche, über die Conditio humana, er war nicht der Lehrmeinung, dass der Mensch von sich aus gut ist, er hat nicht den Rousseauschen Standpunkt gehabt, sondern er war sehr viel pessimistischer, sehr viel skeptischer. Da würde ich übrigens mich von ihm unterscheiden. Ich glaube schon, dass Utopien wichtig sind, dass Träume wichtig sind, ich hab mich jetzt ja mit der Romantik beschäftigt, in einem größeren Zusammenhang, und ich glaube, dass dieser Überschuss an Bedeutung und Verzauberung, der ja den deutschen Sonderweg begleitet hat, die deutsche Geistesgeschichte begleitet hat, in den letzten 200 Jahren, dass es ganz wichtig ist, aber Fest war eindeutig sehr viel ausgenüchterter.
Gehlhoff: Über Hitlers paradoxe Modernität sagt uns Fest: Hitler sei unser aller Zeitgenosse, bis heute, in seinem auf die Welt und die Menschen bezogenen Pessimismus, und deshalb können wir ohne die Kenntnis von Hitlers Aufstieg, und ohne die Kenntnis der Gründe, die ihn trugen, die Welt von heute nicht verstehen, sagt Fest. Ist dieser Gedanke eigentlich in der deutschen Gesellschaft angekommen?
Matussek: Ob wir tatsächlich begriffen haben, was das für ne Erscheinung war - schauen Sie, es ist immer noch 'ne offene Wunde offenbar. Wenn man sich die Kultur der politischen Erregung anschaut, wenn jemand sich verplappert, wie das Eva Herrmann getan hat, einfach drauflos gequatscht hat, dann wird aber sofort das ganz große Tribunal ... und da sitzen dann Leute drin, die meiner Ansicht nach überhaupt nicht legitimiert sind, ex cathedra zu reden. Also es ist immer noch ein vermintes Gelände. Auf der einen Seite ist es gut, weil es ein Zeichen dafür ist, dass wir sehr sensitiv sind, sehr wachsam sind, dass wir nie wieder diese Fehler wiederholen wollen, und insofern Fests Anweisungen befolgen. Auf der anderen Seite sehe ich in diesen Hysterien, die sich da bilden, auch was sehr Unpolitisches und sehr Vulgäres, sehr Ordinäres, und dann auch wiederum Totalitäres. Also die Ausgrenzungslust, die da entfesselt wird, die Lust, nachzutreten, darauf reinzutreten, noch mal zu treten, das hat dann für mich auch wieder was Bedenkliches, Herdentriebmäßiges.
Gehlhoff: Joachim Fests Art zu schreiben ist viel gerühmt. Elegant und illusionslos zugleich, eine bestimmte Ebene des Austauschs voraussetzend, hochbürgerlich. Wie erklärt man sich eigentlich die Breitenwirkung, die Fest dennoch erreicht hat?
Matussek: Vielleicht weil wir in ihm erkennen, was wir eigentlich verloren haben. Vielleicht, weil er so 'ne Art Leuchtturm war, und ist, in seinen Schriften, in seiner Literatur, in der Konfiguration. Es gibt ja bei uns den verbreiteten Diskurs über Bildung, über Bürgerlichkeit, und was wir jetzt erleben, sind nur noch Versatzstücke, im Grunde genommen Fragmente, und es gibt die Bemühungen, zu retten, was zu retten ist, kulturmäßig, und er ist da ein Beispiel. Ich glaube, wir spüren alle den Verlust.
Gehlhoff: Die Texte von Joachim Fest zeigen, dass er sich mit seiner Zeit auseinandersetzen wollte, immerzu, aber auch verständigen will, mit seiner Zeit. Wäre das eine bürgerliche Tugend, genau diese Balance zu halten?
Matussek: Die Zeitgenossenschaft klar, auch ein Engagement, auch einzustehen, für bürgerliche Werte, bürgerliche Tugenden, nicht freiwillig das Feld zu räumen, und tatsächlich aber auch immer die analytische Anstrengung mitzuführen, und tatsächlich Zusammenhänge begreifen und unbequem zu begreifen.
Gehlhoff: Was wir bürgerliche Gesellschaft nennen, ist nicht denkbar ohne einen tiefen Soupcon gegen sich selber, ein Misstrauen, dass seine insistierende Kraft aus dem Ur-Mythos vom Verlust der menschlichen Eintracht durch das Aufkommen des Privateigentums zieht. Das schreibt Fest. Sind die Bürger der New Economy von solchen Zweifeln geplagt? Kennen Sie die überhaupt?
Matussek: Sehen Sie, da hat der Fest nämlich 'ne Widerständigkeit eingebaut, die heute weggerissen ist. Das ist nämlich sehr interessant, ich find das ein tolles Zitat.
Gehlhoff: ... in der "Bürgerlichkeit als Lebensform" steht das ...
Matussek: Was Fest da diagnostiziert, ist völlig richtig. Und: Bürgerlichkeit heute darf man nicht verwechseln mit Neo-Liberalismus, mit einer Wirtschaftspraxis, sondern es ist ein geistiger Raum, das ist ein geistiger Widerstand, ich glaube, Bürgerlichkeit ist ein Widerstand, mit der Figur kommt man weiter.
Gehlhoff: Die bürgerliche Welt stirbt und lebt. - Sie lebt, indem sie stirbt, sagt Fest. Können Sie das entschlüsseln?
Matussek: Ja, das kann ich entschlüsseln. Er war sehr melancholisch. Er hat immer von Verlust gesprochen. Im Grunde genommen war er ein sehr skeptischer, sehr melancholischer Mensch. Seine Schriften und seine Prosa sind durchzogen von dieser Wehmut, dass eigentlich nichts mehr zu retten ist. Ich bin noch ein bisschen optimistischer als er.
Matthias Matussek: Ne völlig illusionslose Haltung - auch über das Menschliche, über die Conditio humana, er war nicht der Lehrmeinung, dass der Mensch von sich aus gut ist, er hat nicht den Rousseauschen Standpunkt gehabt, sondern er war sehr viel pessimistischer, sehr viel skeptischer. Da würde ich übrigens mich von ihm unterscheiden. Ich glaube schon, dass Utopien wichtig sind, dass Träume wichtig sind, ich hab mich jetzt ja mit der Romantik beschäftigt, in einem größeren Zusammenhang, und ich glaube, dass dieser Überschuss an Bedeutung und Verzauberung, der ja den deutschen Sonderweg begleitet hat, die deutsche Geistesgeschichte begleitet hat, in den letzten 200 Jahren, dass es ganz wichtig ist, aber Fest war eindeutig sehr viel ausgenüchterter.
Gehlhoff: Über Hitlers paradoxe Modernität sagt uns Fest: Hitler sei unser aller Zeitgenosse, bis heute, in seinem auf die Welt und die Menschen bezogenen Pessimismus, und deshalb können wir ohne die Kenntnis von Hitlers Aufstieg, und ohne die Kenntnis der Gründe, die ihn trugen, die Welt von heute nicht verstehen, sagt Fest. Ist dieser Gedanke eigentlich in der deutschen Gesellschaft angekommen?
Matussek: Ob wir tatsächlich begriffen haben, was das für ne Erscheinung war - schauen Sie, es ist immer noch 'ne offene Wunde offenbar. Wenn man sich die Kultur der politischen Erregung anschaut, wenn jemand sich verplappert, wie das Eva Herrmann getan hat, einfach drauflos gequatscht hat, dann wird aber sofort das ganz große Tribunal ... und da sitzen dann Leute drin, die meiner Ansicht nach überhaupt nicht legitimiert sind, ex cathedra zu reden. Also es ist immer noch ein vermintes Gelände. Auf der einen Seite ist es gut, weil es ein Zeichen dafür ist, dass wir sehr sensitiv sind, sehr wachsam sind, dass wir nie wieder diese Fehler wiederholen wollen, und insofern Fests Anweisungen befolgen. Auf der anderen Seite sehe ich in diesen Hysterien, die sich da bilden, auch was sehr Unpolitisches und sehr Vulgäres, sehr Ordinäres, und dann auch wiederum Totalitäres. Also die Ausgrenzungslust, die da entfesselt wird, die Lust, nachzutreten, darauf reinzutreten, noch mal zu treten, das hat dann für mich auch wieder was Bedenkliches, Herdentriebmäßiges.
Gehlhoff: Joachim Fests Art zu schreiben ist viel gerühmt. Elegant und illusionslos zugleich, eine bestimmte Ebene des Austauschs voraussetzend, hochbürgerlich. Wie erklärt man sich eigentlich die Breitenwirkung, die Fest dennoch erreicht hat?
Matussek: Vielleicht weil wir in ihm erkennen, was wir eigentlich verloren haben. Vielleicht, weil er so 'ne Art Leuchtturm war, und ist, in seinen Schriften, in seiner Literatur, in der Konfiguration. Es gibt ja bei uns den verbreiteten Diskurs über Bildung, über Bürgerlichkeit, und was wir jetzt erleben, sind nur noch Versatzstücke, im Grunde genommen Fragmente, und es gibt die Bemühungen, zu retten, was zu retten ist, kulturmäßig, und er ist da ein Beispiel. Ich glaube, wir spüren alle den Verlust.
Gehlhoff: Die Texte von Joachim Fest zeigen, dass er sich mit seiner Zeit auseinandersetzen wollte, immerzu, aber auch verständigen will, mit seiner Zeit. Wäre das eine bürgerliche Tugend, genau diese Balance zu halten?
Matussek: Die Zeitgenossenschaft klar, auch ein Engagement, auch einzustehen, für bürgerliche Werte, bürgerliche Tugenden, nicht freiwillig das Feld zu räumen, und tatsächlich aber auch immer die analytische Anstrengung mitzuführen, und tatsächlich Zusammenhänge begreifen und unbequem zu begreifen.
Gehlhoff: Was wir bürgerliche Gesellschaft nennen, ist nicht denkbar ohne einen tiefen Soupcon gegen sich selber, ein Misstrauen, dass seine insistierende Kraft aus dem Ur-Mythos vom Verlust der menschlichen Eintracht durch das Aufkommen des Privateigentums zieht. Das schreibt Fest. Sind die Bürger der New Economy von solchen Zweifeln geplagt? Kennen Sie die überhaupt?
Matussek: Sehen Sie, da hat der Fest nämlich 'ne Widerständigkeit eingebaut, die heute weggerissen ist. Das ist nämlich sehr interessant, ich find das ein tolles Zitat.
Gehlhoff: ... in der "Bürgerlichkeit als Lebensform" steht das ...
Matussek: Was Fest da diagnostiziert, ist völlig richtig. Und: Bürgerlichkeit heute darf man nicht verwechseln mit Neo-Liberalismus, mit einer Wirtschaftspraxis, sondern es ist ein geistiger Raum, das ist ein geistiger Widerstand, ich glaube, Bürgerlichkeit ist ein Widerstand, mit der Figur kommt man weiter.
Gehlhoff: Die bürgerliche Welt stirbt und lebt. - Sie lebt, indem sie stirbt, sagt Fest. Können Sie das entschlüsseln?
Matussek: Ja, das kann ich entschlüsseln. Er war sehr melancholisch. Er hat immer von Verlust gesprochen. Im Grunde genommen war er ein sehr skeptischer, sehr melancholischer Mensch. Seine Schriften und seine Prosa sind durchzogen von dieser Wehmut, dass eigentlich nichts mehr zu retten ist. Ich bin noch ein bisschen optimistischer als er.