Eine Adoleszenz auf Abwegen

Von Jörn Florian Fuchs · 01.03.2011
Eines kann man über den neuen Ring an der Bastille schon jetzt sagen, beim (französischen) Publikum stößt er auf vehemente Ablehnung. Wie schon bei Rheingold und Walküre, gab es auch im Siegfried eine von Wagner eigentlich nicht vorgesehene Rolle, den Buh-Chor.
Dabei bietet Krämers Inszenierung keinerlei echte Provokationen, vielmehr werden nun endgültig die Stärken und Schwächen seiner Sicht der Tetralogie deutlich. Das Rheingold war eine manchmal etwas unkonzentrierte Verquickung aus ästhetisiertem Hochglanztheater und eingestreuten Emblemen deutscher Geschichte, die Walküre führte beide Ebenen in wunderbarer Weise zusammen. Leider stellten sich nun im dritten Ring-Teil erneut Rheingold’sche Unschärfen ein.

Wenn sich anfangs der blonde Zottel Siegfried und sein keifender, gackernder (blond perückter) Ziehvater Mime zanken, dann sieht man dazu auf der linken Bühnenseite eine Kolonie Gartenzwerge nebst pittoresker Windmühle, rechts steht ein Freiluftgewächshaus mit Wärmelampen. Im Hintergrund hängen grüne Lamellen, seltsamerweise gibt es noch einen Fahrstuhl, der allerdings einzig dazu dient, den von Siegfried gefangenen Bär an einen unbestimmten Ort zu schicken. Dies ist ein Teil jenes mäßigen Kasperltheaters, das den ersten Akt beherrscht. Kaum ein Funke springt über, erst als Siegfried sein Schwert erschafft, wird es interessant.

Denn jetzt tauchen in Zeitlupe marschierende Männer und Frauen auf, eine Art williges, geschmiedetes Menschenmaterial. Dieses von Otto Pichler exzellent choreographierte Bewegungsensemble wird später in einer Bibliothek dem aufwühlend inszenierten Machtkampf zwischen Wotan und Erda lauschen und ganz am Schluss mit Wotan eine riesige Tribüne erobern, auf der die gerade erwachte Brünnhilde ihre Zukunft mit Siegfried erörtert. Vorher brannten dort drei Buchstaben: G, E, R (der germanische Ausdruck für Wurfspieß). Im Rheingold war noch der gesamte Schriftzug GERMANIA vorhanden, bei der Walküre blieb MANIA übrig, jetzt also lediglich die erste Silbe. Ein eigenwilliges Sprachspiel, das sich vielleicht in der Götterdämmerung noch aufklärt.

Für den zweiten und dritten Akt schufen Krämer und sein Bühnenbildner Jürgen Bäckmann einige sehr schöne Räume, etwa einen schwebender Wald, in dem das Waldvöglein als Pennerin auftaucht. Der Drache Fafner erscheint gleich mit einem ganzen Heer und stirbt im Zweikampf mit Siegfried – Mann gegen Mann. Mimes Kopf ist eine weitere Trophäe dieses erst ungestümen Toren, jetzt ziemlich blutdürstigen Jünglings, mehr und mehr erwachen Gewalt und Mordlust in ihm. Diese interessante Deutung des Titelhelden ist allerdings mit den übrigen (Bild)Ideen unzureichend vernietet, wobei man einen Ring ja nicht vor dem Finale loben bzw. verreißen sollte.

Musikalisch blieb der Abend recht mittelmäßig, Philippe Jordan gelang nach einem durchwachsenen Rheingold und einer sehr guten Walküre kein schlüssiger Zugriff auf den Siegfried. Jordan verhedderte sich in Details, ließ das Schlagwerk jenseits der Partiturangaben brüllen (noch viel heftiger als beim z. B. beim Solti-Ring), dazwischen sorgten zahllose Energiedellen für Müdigkeit. Torsten Kerl stemmte die Titelpartie (sein Rollendebüt) wacker, konnte aber wenig Glanzpunkte setzen. Juha Uusitalo sang den Wanderer/Wotan reichlich matt und leise, Stephen Milling orgelte einen voluminösen Fafner. Peter Sidhoms Alberich hatte ebenso Intonationsprobleme wie Katarina Dalaymans Brünnhilde. Dass da eine Walküre gerade aus tiefem Schlaf erwacht, mag man ob Dalaymans metallisch groben Tönen kaum glauben. Erfreulicher dagegen Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Mime sowie Qui Lin Zhang als dunkel glühende Erda.


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Ein szenisches "Walküren"-Wunder in Paris - Günter Krämer gelingt eine formidable "Walküre" an der Pariser Bastille-Oper *
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