Ein szenisches "Walküren"-Wunder in Paris

Von Jörn Florian Fuchs · 31.05.2010
Anfang März blickte nicht nur die Wagner-Gemeinde gespannt nach Paris. Günter Krämer heißt der wackere Held, der erstmals seit den 60er-Jahren Wagners Weltendrama an der Seine in Szene setzen soll.
So richtig überzeugend geriet der Auftakt zur Tetralogie leider nicht: Eine Herrengesellschaft mit Brustpanzern erklomm da ein Stahlgerüst mit Germania-Schriftzug, Alberichs Nibelungen zerschnitten eine Goldkugel und allerlei Soldateska irrte herum. Viele Fragen warf Krämer auf und ließ die meisten doch unbeantwortet.

Nach der "Walküren"-Premiere zeichnet sich indes ab, dass der Pariser Ring doch noch ein Wurf werden könnte – gerade weil Krämer allzu eindeutige, eindimensionale Interpretationen vermeidet.

In seiner "Walküre" befruchten sich auf stupende Weise mehrere Ebenen: Einerseits wird deutlich eine heutige Geschichte um Macht- und Kontrollverlust, um Liebeslust und -entzug erzählt, andererseits implementiert Krämer eine mit Videoprojektionen aufgerüstete Märchenwelt.

Die Winterstürme des verliebten Wälsungenpaares finden vor einem sehr realen Wonnemond in einem Wald voller blühender Apfelbäume statt, die Kraft spendenden Früchte tauchen immer wieder auf und verweisen galant aufs Rheingold, wo sie als obligatorische Götterspeise dienen. Bei der Todesverkündigung mutiert der Hain zum Totenwald, bevölkert von spukhaften Gestalten. Nicht nur an diesem Punkt rückt die Inszenierung in die Nähe asiatischen Theaters (Otto Pichler hat den Abend mit perfektem Gespür für Timing und Atmosphäre choreografisch begleitet).

Als Kontrast zu den wie gemalt wirkenden Bildern geht es recht handfest zu: Hunding wird von einem Rudel unangenehmer Gesellen begleitet, die für ihn die Drecksarbeit übernehmen, Wotan zerstört im Wutrausch die ersten drei Buchstaben von "Germania" (womit "Mania" als passendes Motto für die weitere Handlung übrig bleibt) und die Helden sind nackte, blutverschmierte Jungs, die sich von Krankenschwestern rasch verarzten lassen. Letzteres Geschehen wiederholt sich diverse Male, während im Hintergrund fleißig weitermarschiert wird.

Krämer umgeht auch jegliche szenischen Fallen, so findet sich etwa Nothung hinter einer (gemalten) Esche, freigelegt von Siegmund und Sieglinde. Das Schlussbild verweist symbolisch bereits auf den finalen Weltenbrand, mit blutroten Farben und abgebrannten Baumstämmen.

Musikalisch bleiben bei dieser Walküre leider ein paar Wünsche offen. Philippe Jordan dirigiert die ersten eineinhalb Akte sehr langsam und zurückhaltend, manches duftet da eher nach Debussy denn nach Wagner. Dann plötzlich stellen sich kräftigere Farben, rauere Akkordballungen und dynamischere Tempi ein, hoffentlich benötigt Jordan bei Siegfried und Götterdämmerung keine ganz so lange Vorglühzeit.

Für den erkrankten Falk Struckmann sprang Thomas Johannes Mayer ein und gab einen brillanten Wotan, Günther Groissböck lieferte verlässliche Hunding-Drohtöne, Ricarda Merbeth sang Sieglinde ansehnlich. Bei Robert Dean Smiths Siegmund hingegen beeindruckte außer den langen Wälserufen wenig, Smith arbeitete sich mühsam an seiner Partie ab und ließ dabei oft ein unfreiwilliges Pianissimo hören. Ohne wirklichen Glanz leider auch Yvonne Naef als Fricka und Katharina Dalayman, die – wieder einmal – eine recht grobschlächtige Brünnhilde sang.