Ein zerstörtes Lebenswerk neu zusammenpuzzlen

Von Christian Gampert |
Es tobt ein erbitterter Streit zwischen den Erben des Kunstsammlers Albert Flechtheim und den Museen, in denen seine Bilder heute hängen. Nach Flechtheims Emigration im Jahr 1933 wurde seine Sammlung von den Nazis beschlagnahmt und zerschlagen. Bis heute ist noch immer unklar, wie viel Wiedergutmachung den Erben zusteht. Die Museen mühen sich um Aufklärung - vordergründig zumindest.
Es gibt dieses Flechtheim-Portrait von Otto Dix, der in den 1920iger Jahren sowieso fast alles karikaturistisch verzerrte - und auch aus dem jüdischen Kunsthändler eine Figur machte, die die Nazis durchaus für ihre Propaganda hätten nutzen können: ein Mann mit sehr großer Nase und scharfen Augen, der gierig einen Vertrag umklammert und von kubistischen Gemälden umgeben ist.

Das Bild gehört heute der Berliner Nationalgalerie. Nun konnte Alfred Flechtheim, als Dix ihn 1926 ungefragt so portraitierte, noch nicht ahnen, dass die Nazis tatsächlich sein Lebenswerk zerstören würden: Nach zahlreichen Diffamierungen war ab 1933 ein normaler Geschäftsbetrieb für ihn unmöglich; Flechtheim emigrierte 1933 über Paris nach London, wo er 1937 starb. Seine Privatsammlung und sein Galeriebestand wurden größtenteils beschlagnahmt und verscherbelt.

Das Flechtheim-Projekt, mit dem jetzt 15 deutsche Museen an die Öffentlichkeit treten, hat vordergründig das löbliche Ziel, den Kunsthändler Flechtheim zu rehabilitieren und ihn als Wegbereiter der modernen Kunst zu zeigen. Dazu werden nun 15 Ausstellungen mit früherem Flechtheim-Bestand veranstaltet, und heute wurde eine Website zu den Flechtheim-Bildern freigeschaltet.

"Es gibt kein Login, keine geheime Anmeldung, sondern das ist für die ganze Welt öffentlich, diese Datenbank. Das find ich das Schöne daran. Ich denke, mehr Transparenz geht nicht als unsere Rechercheergebnisse von drei Jahren ins Netz zu stellen."

…sagt die Provenienzforscherin Anja Heuss. Aber diese Museen haben natürlich ein Interesse daran, die Flechtheim-Bilder zu behalten und Restitutionsforderungen abzuwehren: Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben die Restitutions-Ersuchen für sechs Beckmann-Gemälde kürzlich für erledigt erklärt. Auch die für die Stuttgarter Staatsgalerie arbeitende Anja Heuss konnte bei sieben Stuttgarter Gemälden, die durch Flechtheims Hände gingen, keine Unregelmäßigkeiten feststellen.

"In allen 7 Fällen konnte ich keinen Hinweis darauf finden, dass es sich hier um verfolgungsbedingte Fälle handeln könnte… Ich konnte ferner feststellen, dass keines dieser Werke aus der Privatsammlung Flechtheims stammt, sondern dass sie aus der Galerie stammen und dass es sich hier höchstwahrscheinlich um ganz normale Rechtsgeschäfte gehandelt hat."

Auf der anderen Seite stehen die Flechtheim-Erben, insbesondere der inzwischen 67 Jahre alte Großneffe Flechtheims, Michael Hulton. Die Erben fordern die Restitution diverser Kunstwerke, also Wiedergutmachung. Aber sie haben es schwer, die exakten Verkaufswege der Bilder zu rekonstruieren. Das tun nun die Provenienzforscherinnen, allerdings eben nicht im Auftrag der Erben.

In Düsseldorf kam es deshalb zu einer absurden Doppelveranstaltung: Auf einer Pressekonferenz stellten die Forscherinnen der Museen ihre Ergebnisse vor, es wurde die Website freigeschaltet, die Informationen über etwa 300 von Flechtheim gehandelte Bilder enthält. Auf einer zweiten Pressekonferenz erhoben die Erben Vorwürfe gegen die Museen: Diese beanspruchten die "Deutungshoheit" und ließen nicht mit sich reden.

Das Problem ist komplex, man möchte niemandem Böses unterstellen. Anja Heuss von der Stuttgarter Staatsgalerie benennt die Schwierigkeiten.

"Die Quellenlage ist schlecht: Die Akten der Galerie in Berlin sind verbrannt, die Akten in Düsseldorf sind verbrannt… Andere Akten sind noch unter Verschluss und in Privatbesitz…"

Allerdings, und da muss man den Erben recht geben: Gegen die geballte Wissenschaftsmacht ist jeder Rechtsanwalt machtlos - was die Provenienzforschung nicht herausfindet, das werden auch die Erben nicht beweisen können. Dass Alfred Flechtheim bitteres Unrecht geschah, ist unbestritten. Aber es geht um Detailfragen.

"Ganz wichtig ist der Zeitpunkt, zu dem es verkauft worden ist… Es gibt auch Fälle, wo wir Provenienz-Lücken haben… Das ist immer so, und die haben wir auch nach drei Jahren nicht schließen können. Aber auch die Gegenseite hat keine Hinweise oder Belege vorlegen können…"

Es geht um die Zeit nach 33. Aber hier ist schwer zu unterscheiden: Was gehörte zu Flechtheims Privatsammlung, was zu seiner Galerie? Da sind die Übergänge fließend. Welche Verträge hatte Flechtheim mit den Künstlern, die ihm Werke in Kommission gaben? Das Problem ist…

"…dass man sehr fein unterscheiden muss zwischen einem normalen Rechtsgeschäft vor dem Machtantritt der Nazis und einem Geschäft unter Zwang nach 1933. Und das ist eine sehr dünne Linie, die da vorhanden ist"

Nun, so dünn ist die Linie gar nicht. Denn im März 33 wird eine Flechtheim-Auktion in Düsseldorf von Nazis gesprengt, seine Galerie wird arisiert. Er geht ins Ausland, seine Bilder werden von den Nazis beschlagnahmt, andere werden von ihm selber verkauft, weil er Geld für die Emigration braucht.

"In dieser Zeit sind sicherlich Sachen verkauft worden, um die Emigration zu finanzieren. die dann einen Verkauf unter Zwang darstellen. Das Problem ist aber nicht diese Unterscheidung, das Problem ist, das nachzuweisen. Was er in diesen Momenten, in diesen Tagen und Wochen verkauft hat…Sie müssen auch bedenken, das ist ein ganz kleines Zeitfenster. Denn er ist ja dann schon 33 emigriert. Und wir wissen nicht genau, was er in die Emigration mitgenommen hat. Wir haben keine Liste. Alles, was er in die Emigration mitgenommen hat, ist nach unserer Definition kein verfolgungsbedingter Verkauf"

Natürlich ist das ein bisschen absurd: ein Jude muss in der Emigration Bilder verkaufen, um sich über Wasser zu halten, und das ist dann "nicht verfolgungsbedingt".

Die heute freigeschaltete Website hilft, ehrlich gesagt, auch nicht viel weiter. Sie bietet sehr viele und detaillierte Informationen, aber entscheidend ist oft das, was bislang nicht herausgefunden wurde. Denn die Rechtslage ist so, dass hier das Opfer beweispflichtig ist: Es muss nachweisen, dass ihm etwas geraubt wurde oder dass es unter Druck verkauft hat. Die Museen dagegen haben es eher bequem: was sie nicht eruieren, kann auch nicht gegen sie verwendet werden. Und die Restitutions-Ersuchen werden auf der Website gar nicht erwähnt.

Es hilft eigentlich nur, sich an die "Washingtoner Erklärung" zu halten. Die empfiehlt, aus moralischen Gründen Nazi-Opfern Bilder zu restituieren, sofern die Museen die Provenienz eines Werkes nicht schlüssig nachweisen können. Das Kunstmuseum Bonn hat kürzlich aus solchen Gründen die Hälfte des heutigen Marktwerts für ein Bild an die Flechtheim-Erben gezahlt. Allerdings geschah das aus freien Stücken - und es gehört eben so etwas wie ein guter Wille dazu.

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