"Wir hätten uns natürlich etwas anderes gewünscht als so eine Streiterei"

Andrea Bambi im Gespräch mit Matthias Hanselmann |
Eine Online-Datenbank zeigt 324 Werke, die mit dem Kunstsammler Alfred Flechtheim in Verbindung gebracht werden. Eine einzigartige Würdigung, findet die Koordinatorin und Provenienzforscherin Andrea Christine Bambi. Umso unverständlicher findet sie, dass die Erben Flechtheims sich so vehement von dem Projekt distanzieren.
Matthias Hanselmann: Eine Internetdatenbank mit dem Namen alfredflechtheim.com ist heute freigeschaltet worden. Heute vor 100 Jahren eröffnete der jüdische Kunsthändler Alfred Flechtheim in Düsseldorf seine erste Galerie, und schnell machte er sich einen Namen. Sein Riecher für moderne Kunst mit Langzeitwirkung machte ihn zu einem der wichtigsten deutschen Kunsthändler. Christian Gampert stellt ihn uns erst einmal genauer vor, bevor wir uns über diese Datenbank unterhalten.

Christian Gampert: Alfred Flechtheim vertrat als Galerist Henri Matisse und setzte sich für die rheinischen Expressionisten wie August Macke und Heinrich Campendonk ein. Ab 1913 betrieb er in Düsseldorf eine Kunsthandlung. Seine 1921 in Berlin am Lützow-Ufer eröffnete Galerie Flechtheim war auch ein Salon, ein Zentrum gesellschaftlichen Lebens. Ab etwa 1930 geriet Flechtheim ins Visier der Nationalsozialisten, die den jüdischen Kunsthändler als Fürsprecher sogenannter "entarteter Kunst" denunzierten.

Im März 1933 wurde eine Auktion Flechtheims in Düsseldorf von Nationalsozialisten gesprengt. Wenig später übernahm sein langjähriger Mitarbeiter, der SA-Mann Alex Föhmel die Düsseldorfer Galerie. Flechtheim flüchtete schon im Mai 1933 nach Paris und emigrierte 1934 weiter nach London, wo er 1937 starb. Flechtheims Galeriebestand wurde nach '33 zum großen Teil unter Wert verkauft, seine private Sammlung wurde nach dem verfolgungsbedingten Selbstmord seiner Witwe 1941 von den Nazis beschlagnahmt und zum großen Teil ins Ausland verkauft, vor allem wohl in die Schweiz.

Andere Werke seiner Sammlung hatte Flechtheim offenbar als eine Art Notration mit nach London genommen. Viele der von Alfred Flechtheim gehandelten Werke befinden sich heute wieder in Deutschland. Werke aus Flechtheims eigener Sammlung sind auch in deutschen Museen. Flechtheims Erben haben in manchen Fällen die Rückgabe von Kunstwerken verlangt, aber es ist oft schwierig zu eruieren, wann und aus welchen Gründen welche Werke verkauft wurden, und welchen Weg sie dann nahmen. Genau das versucht die sogenannte Provenienzforschung zu klären, die seit einigen Jahren mit Unterstützung der öffentlichen Hand betrieben wird. 15 deutsche Museen haben sich nun zu einem Ausstellungsprojekt zusammengetan, um einerseits die Rolle Alfred Flechtheims als Vermittler und Wegbereiter der Moderne zu würdigen, andererseits aber, um in einer Datenbank die Provenienz von über 300 Werken zu beleuchten, deren Herkunft bislang ungewiss war.

"Neuartiges Projekt"
Hanselmann: Christian Gampert. Koordinatorin dieser Datenbank ist Frau Andrea Christine Bambi, sie leitet die Provenienzforschung Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Schön, dass Sie sich Zeit für uns nehmen an einem so wichtigen Tag für Sie. Hallo!

Andrea Christine Bambi: Hallo und guten Tag!

Hanselmann: Ab heute zeigen 15 renommierte Museen in Deutschland zeitgleich Gemälde von Matisse, Picasso und vielen anderen, Bilder der frühen Moderne, die durch die Hände Flechtheims gegangen sind. Ist diese Initiative eigentlich bisher einmalig in der deutschen Kunstszene?

Bambi: Ich glaube, was die Provenienzforschung angeht, dass die eben eine Datenbank und ein Ausstellungsprojekt macht, ich glaube, das ist erstmalig so, ja.

Hanselmann: Welche Bilder werden da online gezeigt werden und warum?

Bambi: Wir zeigen 324 Werke von 89 Künstlern, die aus den 15 am Projekt beteiligten Museen stammen, und sie sind Teil dieses Projektes, weil sie einmal von Alfred Flechtheim gehandelt worden sind oder von ihm besessen wurden, also die Provenienz Flechtheim in der Provenienzkette auftaucht, egal, zu welchem Zeitpunkt, sie sind in jedem Fall eben Teil dieses Ausstellungs- und Onlineprojektes.

Hanselmann: 15 Museen sind dabei. Was versprechen Sie und die 15 Museen, die an dieser Internetplattform beteiligt sind, was versprechen Sie sich davon?

Bambi: Also wir wollen damit das Wirken von Alfred Flechtheim veranschaulichen und ihn 25 Jahre nach der letzten großen musealen Würdigung erneut und national ehren und an sein Schicksal und das Schicksal seiner Familie erinnern. Und die Webseite ist Alfred Flechtheim gewidmet.

Hanselmann: Werke aus Flechtheims Privatsammlung und aus seinem Galeriebestand sind auch in deutsche Museen gelangt. Für einige von ihnen liegen schon länger Auskunftsersuchen vor oder sogar konkrete Rückgabeforderungen von Flechtheim-Erben. Wie gehen Sie damit um?

"Wir sind nicht die Anwälte der Bilder"
Bambi: Wir haben alle Werke in dieser Datenbank verwendet, das heißt also, auch die, wo es Auskunftsersuchen oder Rückgabeforderungen bestehen. Die sind mit Teil des Projektes. Sie müssen ja beachten, wir sind nicht die Anwälte der Bilder, sondern wir sind die Provenienzforscher. Das heißt, wir haben ja eine andere Ebene, auf der wir arbeiten, wir stellen die Fakten zu den Werken zusammen, und das haben wir eben auch aufgrund des großen öffentlichen Interesses eben jetzt auf dieser Datenbank öffentlich gemacht. Das heißt, wir bieten keine Auslegung von Provenienzen, sondern wir bieten die Grundlage für die Diskussion.

Und das ist, denke ich, einmalig. Also, das jetzt zu 324 Werken lückenlos oder eben auch mit Lücken die Provenienz jetzt online und überall ansehen können, das ist ein absolutes Novum und das spricht für die Transparenz unserer Arbeit. Die Diskussion, ob etwas rechtmäßig ist oder nicht, dürfen Sie ja nicht mit den Provenienzforschern führen. Die entscheiden so etwas nicht, sondern das ist die Diskussion zwischen den Erben nach Alfred Flechtheim und den jeweiligen Vertretern der Museen.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, ich spreche mit Andrea Christine Bambi, sie ist Provenienzforscherin und Koordinatorin der sogenannten Flechtheim-Datenbank, die ab heute im Internet zu erreichen ist unter www.alfredflechtheim.com. Frau Bambi, es sollte heute eine zweite Pressekonferenz geben, und zwar hat es die auch gegeben von den Erben. Michael Hulton ist Großneffe von Alfred Flechtheim und hat zu diesem Museumsprojekt Stellung bezogen. Er sagt, wir als Erben können das Projekt nicht unterstützen, weil wir von den beteiligten Museen nicht einbezogen wurden und weil das Verhalten einiger Einrichtungen in keiner Weise den Grundsätzen der gemeinsamen Erklärung von 1999 entspricht. Was sagen Sie dazu?

Bambi: Also die Einladung an Michael Hulton ist natürlich erfolgt, denn wir sind ja Mitarbeiter von Museen und wir beschäftigen uns in der Regel mit historischen Figuren, und wir machen auch öfters derartige Ausstellungsprojekte. Und natürlich befragen wir, wenn wir das Glück haben, dass es noch direkte Nachkommen gibt, auch die, ob sie partizipieren. Und das ist von unserer Seite auch erfolgt. Also die Einladung an Michael Hulton ist in der Frühphase des Projekts an ihn gegangen, und leider eben ohne Widerhall geblieben. Das ist bedauerlich und können wir natürlich auch nur als Manko selber empfinden, denn wir hätten sehr gerne natürlich auch Dokumente, die in der Familie möglicherweise eben vorhanden sind, mit für diese Dokumentation zu Ehren seines Großonkels hier mit verwendet.

Hanselmann: Wie erklären Sie sich das, dass er eingeladen wurde und jetzt sagt, er sei nicht beteiligt worden?

"Macht einen ein bisschen sprachlos und auch traurig"
Bambi: Das kann ich mir nicht erklären. Weil ich kenne ja die Korrespondenz. Und das macht einen ein bisschen sprachlos und auch traurig, denn es geht um ein Projekt, das seinen Großonkel ehrt. Und da hätten wir uns natürlich etwas anderes gewünscht als so eine Streiterei. Und wie gesagt, ich halte den Streit zwischen Provenienzforschern und den Erben für überflüssig, denn wir sind nicht diejenigen, die anwaltlich mit diesen Fakten umgehen, sondern wir sind die, die diese Fakten auch aufgrund des großen öffentlichen Interesses nun öffentlich machen. Das ist eigentlich das, was seit Jahren immer wieder gefordert wird. Also wir haben genau das gemacht, mir erscheint das – ja, ich finde es nahezu absurd, dass ein Projekt, das so viel Forschung jetzt öffentlich macht, dafür kritisiert wird, dass es öffentlich wird. Das ist mir unverständlich, ja.

Hanselmann: Der zentrale Vorwurf ist ein ganz einfacher: Die Erben sagen, sie gehen jetzt an den Start mit der Homepage alfredflechtheim.com und haben die Erben noch nicht mal gefragt, ob sie den bewährten Namen ihres Großonkels und so weiter überhaupt benutzen dürfen.

Bambi: Alfred Flechtheim ist eine historische Figur, genauso, wie Bücher erscheinen über Thea Sternheim, und genauso, wie Bücher erscheinen über Max Beckmann oder andere Künstler, die auch verfemt wurden und andere Kunsthändler, die verfemt worden sind, kann man historische Forschung zu ihnen machen. Also, es ist überhaupt nichts Ungewöhnliches. Und wie gesagt, wir haben darum gebeten, dieses Projekt zu unterstützen, und wir haben auch konkret nach Archivmaterial gefragt, aber das ist alles unbeantwortet geblieben.

Hanselmann: Wenn die Erben jetzt einlenken würden und sich als Informanten zur Verfügung stellen würden, würden Sie sie mit offenen Armen aufnehmen?

Bambi: Ja, natürlich. Die Webseite, das ist ja der große Vorteil unseres Projektes, man kann ja jederzeit an der Darstellung etwas ändern. Das heißt, wenn wir jetzt Archivmaterial bekommen aus der Familie, dann können wir das natürlich auf der Webseite hochladen. Was wir natürlich auch machen, wenn andere Archivfunde auftauchen. Also, wir können das Projekt erweitern.

Hanselmann: Immer wieder geht es natürlich auch und insbesondere um das Geld, um Restitutionsansprüche. Da sagen die Erben, im Übrigen verweigern die an dem Projekt beteiligten Staatsgemäldesammlungen in München und in Düsseldorf bis heute den Dialog mit den Erben in Bezug auf die anhängigen oder bereits früher geltend gemachten Restitutionsersuchen. Also da wird es doch dann wirklich hart.

Bambi: Wenn Sie jetzt heute auf unserer Pressekonferenz gewesen wären, dann hätten sie da ja auch schon die Antwort gehört, dass natürlich keine dieser Schreiben unbeantwortet geblieben sind und dass – ich kann jetzt für München sprechen, aber genauso ist es heute eben auch von den Kollegen von Düsseldorf dargelegt worden, dass es auf alle Schreiben eine Antwort gibt und dass die Recherchen gemacht worden sind. Und das ist einfach in diesem Fall – und Sie sprechen jetzt wieder mit der Provenienzforscherin und nicht dem Anwalt des Museums – aufgrund der Faktenlage für München keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Verkauf der Werke und der Verfolgung von Alfred Flechtheim durch das Regime des Nationalsozialismus gegeben hat und dass deswegen keine Restitution erfolgen wird. Das sind die Aussagen und die Informationen, die wir haben zu den Werken, sind bereits 2010 übermittelt worden.

Hanselmann: Alfredflechtheim.com, diese Datenbank geht heute online, an der sich 15 deutsche Museen und Einrichtungen beteiligen. Und vielen Dank an die Koordinatorin und Provenienzforscherin Andrea Christine Bambi. Schönen Tag noch, danke!

Bambi: Danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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