„Ein Weltmuseum“

Moderation: Joachim Scholl |
Wie Picasso sei Max Ernst einer der Giganten des 20. Jahrhunderts, meint der Kurator Werner Spies. Das Museum in seiner Geburtsstadt Brühl bei Köln, das am Wochenende eröffnet wird, zeigt neben Gemälden, Grafiken und Büchern auch sein gesamtes bildhauerisches Werk.
Scholl: Am Samstag wird das erste Max Ernst Museum in Brühl eingeweiht. Ich bin nun verbunden mit Werner Spies, international renommierter Kunsthistoriker, Experte für das Werk von Max Ernst, mit ihm zu Lebzeiten befreundet und nun Kurator des neuen Museums. Für Sie, Herr Spies, muss damit wohl ein Traum in Erfüllung gehen, oder?

Spies: Ich hoffe, nicht nur für mich. Es ist ein wirklich wunderbares Haus geworden, das uns in das Werk, in das Leben von Max Ernst einführt.

Scholl: Was wird man fortan in Brühl von Max Ernst zu sehen bekommen?

Spies: Zunächst einmal das gesamte bildhauerische Werk, was an sich schon eine Sensation ist. Nirgends gibt es eine solche Fülle von Skulpturen von Max Ernst zu sehen und außerdem alles, die authentischen Stücke, die Max Ernst besessen hat. Sie finden diese wunderbaren Bilder, die er für seine Frau Dorothea Tanning jedes Jahr zu ihrem Geburtstag gemalt hat, 36 Deep Paintings, die zusammengenommen so eine Art Blick auf das gesamte Werk ermöglichen, auf die Techniken, auf die Inhalte. Sie finden die Grafiken, Sie finden die Bücher. Und die Bücher von Max Ernst gehören zum Spannendsten in unserem Jahrhundert, weil die Beziehung zur Literatur für Max Ernst entscheidend war. Und sie finden wunderbare Bilder, die zum Teil dem Museum gehören, aber auch hochrangige Leihgeber, die Privatsammler und einige wichtige Museen gewissermaßen als Botschafter ihres guten Willens nach Brühl geschickt haben.

Scholl: Da wollte ich sie gerade nach fragen. Max Ernst, einer der großen Klassiker der Moderne, seine Bilder hängen in den bedeutendsten Museen der Welt, eigentlich unbezahlbar. Also Brühl kann da in irgendeiner Form mithalten. Wie finanziert sich das Ganze?

Spies: Die Finanzierung geht von der Stiftung aus. Aber ich meine, diese Auskünfte werden Sie von mir nicht erwarten.

Scholl: Gut, nur ist man einfach verblüfft, dass eben im kleinen Brühl so bedeutende Bilder hängen.

Spies: Sicher, Sie sagen im kleinen Brühl, im Herzen von Max Ernst war das eine große Stadt. Aber es ist ja kein Heimatmuseum. Ich glaube, es ist ein Weltmuseum. Es gilt einem der Giganten des 20. Jahrhunderts, einem der wenigen, die neben Picasso so ein monographisches Museum verdienen und auch tragen, dass der Besucher von einem Raum zum anderen immer in eine neue Verblüffung tritt.

Scholl: Das heißt, es wird nicht nur ein Kunstmuseum, sondern auch eine Art biographisches Museum sein. Man erfährt also auch das Leben.

Spies: Ja, es ist ein chronologischer Ablauf. Sie merken, dass Max Ernst ein Leben hatte, das gewissermaßen Ausdruck des 20. Jahrhunderts ist, des Exils, der Wurzellosigkeit, des Hin- und Hergerissenseins. Der junge Rheinländer, der in den Krieg ziehen muss, der dann zurückkehrt, in Köln Dada begründet, der dann nach Frankreich geht, dort eine unerhörte Karriere macht, dem Paris heute eine Straße gewidmet hat – und es gibt nur drei Deutsche, deren Namen eine Straße tragen: Goethe, Heine und Beethoven – und Max Ernst. Das zeigt, dass Max Ernst doch auch im Herzen und im Kopf der Franzosen eine entscheidende Jahrhundertfigur ist. Dann die amerikanische Zeit, in den frühen 40er Jahren entkommt er nach Amerika, wo er auch als Star aufgenommen wird, sich aber sehr schnell aus New York zurückzieht in die Ferne und in die Abgeschiedenheit der Indianerreservate nach Arizona und dort seine wunderbaren neuen Skulpturen macht und herrliche Landschaftsbilder malt. Dann die Rückkehr nach Frankreich, nach Europa. Und immer wieder Bilder, und das werden Sie in der Ausstellung auch sehen, die Bezug zur Geschichte, zur Heimat haben. „Die Rheinische Nacht“ – ein wunderbares Bild, das er 1944 in Amerika malt, ein bedrückend wunderbares Bild, als er von der Bombardierung von Köln hört. Und solche Elemente, die mit seiner Beziehung zu Deutschland, zu Frankreich, zu Amerika zu tun haben, sind in dieser Präsentation spürbar.

Scholl: Mit der Idee zu einem solchen Haus trägt sich die Geburtsstadt Max Ernsts ja schon lange. Seit 1969, wie ich gelesen habe, gibt es Pläne. Warum hat das eigentlich dann doch so lange gedauert?

Spies: Ich glaube, das ist sogar gut. Das gehört zur List der Geschichte. Ich glaube nicht, dass die wichtigen Sachen von den Zeitgenossen entdeckt werden. Ich glaube, wir brauchen 30 Jahre, wir sollten 30 Jahre verstreichen lassen, bevor wir jemandem ein Denkmal setzen. Das war im Falle von Cézanne nicht anders, Van Gogh nicht anders, Kafka nicht anders. Wir brauchen wirklich einen Moment der Reflexion und der Verzögerung. Ich glaube, die Sachen, die wir heute gewissermaßen in der Sekunde entdecken und hochloben, das sind nicht unbedingt die beständigen Sachen. Bei Max Ernst haben wir nun den Abstand. Wir wissen, dass dieser Mann zu denen gehört, ohne die wir keine Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts schreiben können.

Scholl: Ich möchte doch noch mal auf das Geld zurückkommen. Brühl schafft es, ein Max Ernst Museum zu gründen mit einem fast unbezahlbar gewordenen Maler. Sie haben vorhin Leihgeber erwähnt, die also Bilder zur Verfügung stellen. Inwieweit hat auch Ihr Einfluss, Ihr persönlicher Einfluss da eine Rolle gespielt, Werner Spies, ich meine man kennt Sie in der ganzen Welt. Hat das auch eine Rolle gespielt?

Spies: Ja, das Museum ist ein Resultat der Freundschaften, die ich herangezogen habe. Das ist ganz klar. Und ich habe mich immer für Max Ernst eingesetzt, ich werde es immer machen und ich finde in diesem Jahr nun schon das zweite Mal ein großes Ereignis um Max Ernst, nachdem ich vor einigen Monaten in dem Metropolitan Museum wirklich eine gigantische Max-Ernst-Ausstellung zeigen konnte, im bedeutendsten Museum Amerikas, in den schönsten Räumen. Das war geradezu ein Bekenntnis zu Max Ernst. Jetzt die Eröffnung – deshalb finde ich es auch gut, dass die Eröffnung des Museums nach dieser Ausstellung Metropolitan erfolgt.

Scholl: Nun gibt es eine Konkurrenzveranstaltung. Im Juli hat das kleine südfranzösische Örtchen Seillans ein eigenes Max-Ernst-Museum eröffnet. Der Maler hat dort die letzten zwölf Jahre seines Lebens verbracht.

Spies: Ach, das ist ja lächerlich. Ich kenne doch das Haus, das ist ein Wohnzimmer, in dem ein paar Grafiken und Plakate hängen. Nein, das ist doch kein Max-Ernst-Museum.

Scholl: Also, die Franzosen haben Ihnen jetzt nicht die Show gestohlen?

Spies: Ich finde es schön, dass es in Seillans eine Erinnerung an Max Ernst gibt. Es gibt auch andere Städte, Baljar in der Ardeche – der Ort, in dem Max Ernst sein Haus gebaut hat, mit wunderbaren Skulpturen verziert hat. Auch das ist heute noch sichtbar und ich glaube, dass auch diese Erinnerungsorte lebendiger werden und dass wir uns mit Bewusstsein an diese Orte begeben.

Service:

Das Max Ernst Museum Brühl wird am 4. September 2005 eröffnet.
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