"Ein Maler ist verloren, wenn er sich findet"

Von Marietta Schwarz · 01.09.2005
Auf den Bildern des Weltbürgers Max Ernst erscheint die Natur als Symbol der Gefährdung menschlicher Lebensgrundlagen. Dass es ihm geglückt sei, sich nicht zu finden, betrachtete der für seine Experimentierfreude bekannte Künstler als einziges "Verdienst". Seine Geburtsstadt Brühl bei Köln widmet ihm nun ein eigenes Museum.
Der Verkauf läuft gut, aber nicht überdurchschnittlich, dringt aus dem Kölner Taschen-Verlag. Und: Dali, der andere große Surrealist, verkaufe sich besser. Max Ernst gilt als einer der bedeutendsten Künstler der Moderne, aber anders als etwa bei Picasso gab es den riesigen Max-Ernst-Hipe nie. In den Vereinigten Staaten, wo der Künstler seine wichtigsten Werke schuf, ließ eine Retrospektive drei Jahrzehnte auf sich warten. Zu deren Eröffnung im vergangenen Frühjahr stieß ein Kunstkritiker gleichsam eine Warnung aus: Wer die Schwelle zu Max Ernsts Werk überschreite, müsse alle Hoffnung auf Hilfe von außen aufgeben, er sei ganz allein.

Max Ernst: " Die Malerei spielt sich auf zwei verschiedenen und doch komplementären Ebenen ab. Sie liefert Aggressivität und Erhebung. "

…schreibt Max Ernst selbst. Seine Bilder gehen dem Betrachter so nah und halten ihn doch durch Befremdung auf Abstand. Sumpflandschaften, Baumrinden und immer wieder ein hypnotischer Mond wirken beunruhigend ruhig. Die Natur erscheint als Symbol der Gefährdung menschlicher Lebensgrundlagen, verschuldet durch den Menschen selbst.

Bei der 1945 entstandenen "Versuchung des heiligen Antonius" etwa schwingt der Bezug zu spätmittelalterlichen Darstellungen biblischer Themen mit. Alles scheint fleischig, fürchterliche Vogelwesen, Teufels- und Spukgestalten erzählen Geschichten böser Albtraum-Visionen. Ernsts Erfahrungen mit dem Ersten Weltkrieg, seine Verfolgung durch die Nationalsozialisten, die ihm zweimal eine Internierung in Frankreich beschert, und schließlich seine Flucht nach Amerika finden ihren ästhetischen Niederschlag in seinem Bildwerk. Doch das Hin- und Hergerissensein war mehr als nur örtlich:

" Chaos im Kopf. Auch in der Malerei. "

Ernst studiert Psychologie, Psychiatrie, Philosophie und Kunstgeschichte. Nebenbei beschäftigt er sich mit den Schriften Sigmund Freuds, schreibt für die avantgardistische Zeitschrift "Sturm" und wird als Autodidakt Maler. In Köln nach dem Ersten Weltkrieg schnell als Dada-Max bekannt, zieht es ihn wenige Jahre später nach Paris, wo er Mitbegründer der so genannten "Metaphysischen Malerei" wird: Eine kühne Mischung aus exakter Natur-Beobachtung, abgründigem Humor und Phantastik prägen die Bilder.

Ernst reibt, kratzt, klebt. Er paust Oberflächen ab, bearbeitet die Farbe nachträglich, bis sie wund scheint, reißt und kratzt wieder ab. Presst Gegenstände auf die noch feuchte Leinwand, montiert Groschenheft-Illustrationen aus dem 19. Jahrhundert.

" Bindet eine leere Konservendose an eine Schnur von ein oder zwei Metern Länge. Bohrt ein kleines Loch in den Boden, füllt die Dose mit flüssiger Farbe. Laßt die Dose am Ende der Schnur über eine flachliegende Leinwand hin- und herschwingen, leitet die Dose durch Bewegungen der Hände, Arme, der Schulter und des ganzen Körpers. Auf diese Weise tröpfeln überraschende Linien auf die Leinwand. Das Spiel der Gedankenverbindungen kann dann beginnen."

Seitdem sind die Begriffe Collage, Frottage und Grattage an ihren Erfinder, einen von Bastel- und Experimentierfreude besessenen Max Ernst, gekoppelt. Unermüdlich sucht er nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und künstlerischen Techniken. Und hat ein wechselhaftes Liebesleben, zu dessen prominentesten Mitwirkenden wohl die Millionärin Peggy Guggenheim, Ernsts dritte Ehefrau gehört.

Max Ernst: " Ein Maler mag wissen, was er nicht will. Doch wehe! Wenn er wissen will, was er will! Ein Maler ist verloren, wenn er sich findet. Dass es ihm geglückt ist, sich nicht zu finden, betrachtet Max Ernst als sein einziges "Verdienst". "

Mit der Verleihung des "Großen Preises der Malerei" auf der Biennale in Venedig 1956 gelingt dem Weltbürger Ernst endgültig der internationale Durchbruch. Dann wird es etwas stiller um ihn. 1976 stirbt er knapp 85-jährig in Paris.

Die Mitte der 80er Jahre erschienene Max-Ernst-Ausgabe im Kunst-für-die-Masse-Verlag Taschen ist längst vergriffen. Und Ernsts Geburtsstadt Brühl, sechs Kilometer südlich von Köln, hat sich lange schwer getan mit der Eröffnung eines Museums. Dort endete eine Retrospektive vor mehr als 50 Jahren in einem peinlichen Eklat: Weil die Ausstellung ein Flop war, versuchte die Stadt das finanzielle Defizit mit dem Verkauf eines Ernst-Gemäldes – ausgerechnet einem Geschenk des Künstlers an die Stadt - auszugleichen.

Ein Gespräch mit dem Initiator des Max-Ernst-Museums, Werner Spies, können Sie in der rechten Spalte als Audio hören.

Service:

Das Max Ernst Museum Brühl wird am 4. September 2005 eröffnet.