Ein unbewohnbares Land

Rezensiert von Jochen Stöckmann |
Eyal Weizmann zeigt in "Sperrzonen" verschiedene Kontrollmechanismen und die Folgen im Heiligen Land auf. Es geht unter anderem um Sperrzonen, Mauern, Barrieren und Blockaden.
Schneckenförmige Kreise auf einer idyllischen Bergkuppe entpuppen sich als israelische Siedlerhäuser, gruppiert wie eine Wagenburg. Bizarre Lochmuster in Wohnzimmertapeten stammen von Soldaten, die mit Bohrer und Vorschlaghammer buchstäblich durch die Wand gegangen sind. Ungewöhnlich breite Straßen im Flüchtlingscamp dienen nicht zum Einkaufsbummel, sondern sichern die Bewegungsfreiheit israelischer Panzer.

Und im Checkpoint, vor dem stolz die Palästinenser-Flagge weht, haben israelische Offiziere hinter den von einer Seite durchsichtigen Spiegelwänden die Kontrolle. Das sind Fotos aus dem Alltag in den Palästinensergebieten, Bilder, die der Architekturtheoretiker Eyal Weizman sozusagen zwischen den Zeilen zu lesen gelernt hat:

"Jeder Raum entsteht durch Konflikte. Es kommt deshalb darauf an, die beteiligten Kräfte im Material zu erkennen, Spuren möglichst aller Ereignisse zu lesen - vom Mord bis hin zur Grundstücksenteignung bei einer Grenzziehung etwa in der Westbank. Methodisch arbeite ich also wie die Spurensicherung, wie ein Gerichtsmediziner."

In einem detektivischen Puzzle rekonstruiert Weizman, was er im Untertitel seines Buches "Israels Architektur der Besatzung" nennt: Entstanden ohne politischen Masterplan, als Okkupation, deren baldiges Ende Israel stets proklamierte. Aber genau daraus erwuchs in einer fatalen Dialektik die besondere "Elastizität" der Besatzung.

Weil die israelische Seite sich 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg nicht wie in einer Festung einmauerte, sondern stets flexibel reagierte und soziale Räume umgestaltete, spricht Weizman von einer "politischen Plastik", analog zur sozialen Plastik, die Joseph Beuys im Gefolge der 68er kreierte:

"’1967 war das wirkliche ’68’: wir müssen diese Zeit begreifen als Suche nach anti-staatlichen politischen Ausdrucksformen. Und die Besetzung der Westbank setzt exakt an diesem Schnittpunkt an: Diskussion um "Zivilgesellschaft" und NGOs, postmoderne Architektur, Übergang von Analog- zu Digitaltechnik.""

Nicht nur, dass Siedler in der Art der Hippies Gesänge zur Gitarre am Lagerfeuer anstimmten oder in ihrem Kibbuz wie in einer herrschaftsfreien "Kommune" lebten - in jüngster Zeit führen sie den Staat mit Methoden vor, die man hierzulande von linken Bürgerinitiativen kennt: So wird etwa eine Mobilfunkantenne beantragt, zu deren Errichtung Infrastruktur wie Strom und Wasser auf ein brachliegendes palästinensisches Grundstück gebracht wird. Das alles muss natürlich bewacht werden, die Männer des Security-Unternehmens holen ihre Familien nach - und drei Jahre später stehen 180 Häuser rund um die Antenne.

Eyal Weizman: "Siedlungen werden so angelegt, daß der Staat keine Lösung finden kann. Im Ausland hat man immer noch nicht begriffen, daß die politische Rechte so agiert: aber antiautoritäre Methoden wirken nicht von sich aus emanzipatorisch, man kann sie auch zur Kolonisierung einsetzen."

Ähnlich "kreativ" - und vom Parlament kaum noch kontrolliert - gehen israelische Offiziere vor. Ihre Lektüre von linken Theoretikern wie Foucault, Derrida oder Deleuze und Guattari endete in der hammerharten Praxis einer "Uminterpretation architektonischer Räume", bei der 7000 Soldaten in Nablus durch die Wand kamen, Privatwohnungen durchquerten und plötzlich im Rücken palästinensischer Heckenschützen auftauchten. Und die Spirale dreht sich weiter.

Eyal Weizman: "”Auf der einen Seite gibt es weiter die territoriale Besatzung mit Wachtürmen und Straßensperren. Hinzu kommt aber immer mehr Technologie, Überwachungs-Software. Gaza ist das beste Beispiel, wie das traditionelle Besatzungsregime sozusagen ‚abhebt’, als Überwachung aus der Luft - eine Armee ohne Soldaten!""

All das passiert tagtäglich, ganz ohne militärische Geheimnistuerei. Selbst "Sperrzonen" entstehen aus einer Architekturtheorie, zu deren Weiterentwicklung auch Eyal Weizman als Kritiker des Besatzungsregimes beiträgt.

"Nachdem wir für eine Landkarte der Westbank ganz akribisch Grundrisse und Lage aller Siedlungen ermittelt und präzise eingetragen hatten, berichteten mir Kollegen, dass die Armee genau diese Karte benutzt hat, um darauf den Verlauf der künftigen Grenzmauer zu skizzieren! Auch der Missbrauch unserer Theorie ist eben nicht vorhersehbar."

Eyal Weizman: Sperrzonen - Israels Architektur der Besatzung
Cover: "Eyal Weizman: Sperrzonen - Israels Architektur der Besatzung"
Cover: "Eyal Weizman: Sperrzonen - Israels Architektur der Besatzung"© Edition Nautilus