Ein überzeugter Europäer und Moralist

Von Carsten Hueck · 22.08.2013
Der Journalist Gabi Gleichmann hat sich mit seinem Engagement für die Rechte verfolgter Schriftsteller einen Namen gemacht. Nun ist der Sohn jüdischer Holocaustüberlebender selbst zum Verleger geworden - und hat ein Stück europäische Geschichte aufgeschrieben.
"Some more nuts, more spices. This comes from a very small Italian oil maker. They do like 200 or 500 bottles every year."

Gabi Gleichmann steht in seiner geräumigen Küche. Er hat die Hemdsärmel aufgekrempelt, eine Schürze umgebunden und bereitet gerade einen Salat zu. Gelassen und zugleich zielstrebig greift er nach den Zutaten. Der schlanke, agile Mann erwartet einen Gast zum Mittagessen.

"My editor is in a taxi she sent me an SMS. She will be here in a few moments."

Der 59-Jährige gibt lässig noch Knoblauch und Croutons in die Schüssel. Er ist ein Perfektionist mit Geschmack, beim Schreiben wie beim Kochen.

Jung sieht der Vater von vier Kindern aus. Seine Bewegungen sind geschmeidig, sein Kopf ist rasiert, eine schmale Hornbrille unterstreicht seinen scharfen Blick. In Stockholm war er bekannt als Kritiker und Kolumnist, weltweit als Präsident des schwedischen PEN. Ende der 1990er-Jahre gab Gabi Gleichmann sein Amt auf und zog der Liebe wegen nach Oslo, wo er heute im gutbürgerlichen Stadtteil Vinderen wohnt, etwas außerhalb, mit Frau und den gemeinsamen Söhnen, im umgebauten Haus seiner Schwiegereltern.

Vor drei Jahren gründete Gleichmann seinen eigenen Verlag
"Hier in Norwegen hat sich mein Leben jahrelang auf die Familie konzentriert. Das war gut so, denn nach zwei Jahrzehnten Kampf im PEN, dem dauernden Einsatz für die Freiheit von Menschen, merkte ich, dass ich privat immer oberflächlicher wurde. Ich hatte nicht einmal mehr Zeit ein Buch zu lesen und richtig darüber nachzudenken. Und so zog ich mich zurück von diesem hektischen Leben vor den Kameras und dem Leben im Licht der Öffentlichkeit."

Literatur und gesellschaftliches Engagement aber stehen jetzt wieder im Zentrum seines Schaffens: Vor drei Jahren gründete Gabi Gleichmann mit seiner Frau Anette einen Verlag. Gemeinsam publizieren sie Autoren, deren Werke zur Weltliteratur zählen – und die bislang nicht ins Norwegische übersetzt waren. Darunter Juan Luis Borges, Italo Calvino, Peter Esterhazy und David Grossman. Und im vergangenen Jahr veröffentlichte Gleichmann zum ersten Mal einen eigenen Roman.

"Als die Zeit dafür reif war, ich alt und mutig genug, diesen Schritt zu gehen, war es eigentlich schnell getan. Sechs Monate habe ich geschrieben. Natürlich war ich mit dem Plan schon 30 Jahre schwanger gegangen, ich wusste es nur nicht. Und hatte auch lange nicht die Courage, damit rauszukommen. Denn wenn man auf die Bühne steigt, muss man fähig sein, den Leuten zu zeigen: Das bin ich. Sehr oft verstecken wir uns. Und ich hielt immer gerne Teile von mir verborgen."

Familiengeschichte über 36 Generationen
Unter dem Titel "Das Elixier der Unsterblichkeit" ist der 600 Seiten starke Roman, der in Norwegen zum Bestseller und in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt wurde, in diesem Sommer auch in Deutschland erschienen. Erzählt wird eine jüdische Familiengeschichte über 36 Generationen hinweg, die auch europäische Geschichte ist, vom Mittelalter bis heute.

"Nein, das ist nicht autobiografisch. Über meine eigene Vergangenheit kann ich nicht sprechen. Der Onkel meiner norwegischen Frau hat ihre Familiengeschichte einmal über 350 Jahre zurückverfolgt. Ich kann das nicht. Ich muss sie erfinden, denn ich hatte keine Großeltern mehr, die ich hätte fragen können: Was ist euch zugestoßen?

Aber ich will meinen Kindern einen Stammbaum aufzeichnen, der fiktiv ist, den aber jede Minderheit für sich beanspruchen könnte. Ich möchte, dass sie die DNA verstehen, die ich in mir trage. Die gesammelte Erfahrung vieler Generationen, auch derjenigen, von denen ich nichts weiß, der Vorfahren ohne Gesicht. Und ich wünsche, dass meine Kinder verstehen, was diese kleine jüdische Minderheit für Europa geleistet hat."

Gabi Gleichmann stammt aus keiner religiösen Familie. In seiner Küche wird nicht koscher gekocht. Jüdisch zu sein, hat für ihn vor allem etwas mit Moral zu tun.

"Als Junge wurde mir gesagt, dass der Beitrag eines Juden für die Welt darin besteht, immer zwischen guten und schlechten Werten entscheiden zu können. Das ist etwas Universelles - das Wichtigste, was die jüdische Minderheit der Welt gegeben hat. Mein ganzes Leben stand in diesem Zeichen. Ich will dazu beitragen, dass die Welt ein offener Raum und nicht ein Getto ist, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat. Unsere Beziehungen sollten nicht von Nationalität, Geschlecht oder sozialem Status abhängig sein."

Gabi Gleichmann ist ein engagierter Homme de lettres. Einer, der im Leben steht und weiß, wie man mit Worten etwas bewegt. Der nicht still sein kann - selbst nicht in der Küche.

"My contribution. Was it ok? This writer, in the kitchen he was a master. Some more garlic!"
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