Ein Treffen mit Autor David Graeber

Wie "Bullshit Jobs" die Menschen leiden lassen

Symbolbild: gestresster Mann vor einem Rechner.
Nutzlosigkeit im Job lässt Menschen seelisch leiden. © imago/Westend61
Von Tobias Wenzel · 13.09.2018
"Bürokratie" und "Schulden": Über auf den ersten Blick recht trockene Themen schrieb David Graeber regelrechte Bestseller. In seinem neuen Buch widmet er sich den "Bullshit Jobs": Anhand von ein paar Erdnüssen kann er erklären, worum es dabei geht.
"Lassen Sie mich erst die Nüsse zu Ende essen, damit man im Radio nicht diese Knackgeräusche hört!"
David Graeber, der überarbeitet im Café eines Berliner Hotels sitzt, schluckt hastig und legt die Erdnusstüte zur Seite. Fragt sich, ob ein Mitarbeiter der Fabrik, in der diese Nüsse verpackt worden sind, einen "Bullshit-Job" hat: "Eher unwahrscheinlich. Menschen wollen Nüsse. Und die meisten Menschen, die Nüsse verarbeiten, sind sich dessen bewusst. Wenn ich von 'Bullshit Jobs' spreche, dann meine ich dagegen eine Arbeit, die überhaupt keinen Unterschied macht. Wenn es aber weniger Nüsse in der Welt gäbe, dann würde es auch weniger Nüsse zu essen geben."
Den Anstoß zu seinem neuen Buch, nach dessen Lektüre man regelrecht berauscht von den originellen wie provokanten Gedanken ist, gab eine Erfahrung Graebers: "In London habe ich bei Partys Menschen gefragt, was sie beruflich machen. Da haben sie oft geantwortet: 'Nichts. Nicht der Rede wert.' Erst habe ich gedacht, die sind einfach nur bescheiden. Aber wenn ich nachgehakt habe, haben sie gesagt: 'Ich meinte das wörtlich: Ich mache den ganzen Tag nichts. Ich sitze da einfach nur am Schreibtisch, aktualisiere mein Facebook-Profil und vertreibe mir die Zeit mit Computerspielen. Ein- oder zweimal pro Woche gibt es vielleicht etwas für mich zu tun. Aber im Grunde sitze ich nur herum.'"

Von "Lakaien" und "Kästchenankreuzern"

Also schrieb Graeber vor ein paar Jahren einen Artikel über "Bullshit Jobs". Die Folge: Hunderte berichteten Graeber über ihre nutzlose Arbeit. Die Geständnisse, vom Rezeptionisten, der nur Bonbons auffüllen muss, bis zum Fondsberater, der für eine Fondsbank arbeitet, die er für überflüssig hält, muten schon skurril an. Wenn man dann noch liest, wie Graeber eine Typologisierung der "Bullshit Jobs" vornimmt und unter anderem "Lakaien" von "Kästchenankreuzern" unterscheidet, muss man einfach laut auflachen.
Die Tragikomik wird aber bald zur Tragik, denn die Nutzlosigkeit lässt die Menschen seelisch leiden und krank werden. Dabei könnte es alles anders sein:
"Vor 100 Jahren haben unsere Vorfahren gesagt: 'Wir arbeiten hart. Aber wir tun das, damit unsere Enkel und Urenkel einmal reich sind und viel Freizeit haben. Dann, wenn Roboter für die Menschen in Fabriken arbeiten.' Jetzt aber gibt es diese Automatisierung. Und die Menschen sagen: 'Oh nein, die Roboter nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg! Das macht uns Angst!' Sie können sich nicht vorstellen, dass man die Arbeit so umverteilen kann, dass alle ein angenehmes Leben führen. Das Argument des Kapitalismus ist ja immer gewesen, dass er effizient ist. Aber jetzt erweist er sich als das denkbar ineffizienteste System, wenn uns doch die Aussicht, nutzlose Arbeit zu ersetzen, Angst macht, weil wir uns einfach nicht vorstellen können, dass es dafür überhaupt Platz in unserem System gibt."

Je sinnvoller die Arbeit, desto schlechter wird sie bezahlt

Graeber hält eine 15-Stunden-Woche theoretisch für möglich. Eine produktive Gesellschaft mit viel Freizeit könne aber der herrschenden Klasse gefährlich werden, was die verhindern wolle. Oft gilt der perverse Befund: Je sinnvoller die Arbeit für die Gesellschaft, desto schlechter bezahlt wird sie.
Der US-amerikanische Autor David Graeber
Der US-amerikanische Autor David Graeber hält eine 15-Stunden-Woche für umsetzbar.© dpa / XAMAX
Graeber plädiert deshalb für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Viele Menschen würden dann Bullshit-Jobs zugunsten von sozialeren Tätigkeiten ablehnen. Sinnvoll beschäftigt hat sich der Mitarbeiter eines Wasserversorgers, dessen neuer Chef ihn mit keinen Aufgaben betreuen wollte, wie die Jewish Times berichtete:
"Ein spanischer Beamter, der mindestens sechs Jahre lang Gehalt bezog, ohne zu arbeiten, nutzte spanischen Medienberichten zufolge die Zeit, um zum Experten für die Schriften des jüdischen Philosophen Baruch Spinoza zu werden. … Sein Fehlen fiel erstmals 2010 auf, als García einen Orden für langjährige Dienste erhalten sollte. Der stellvertretende Bürgermeister Jorge Blas Fernández stellte Erkundigungen an und fand heraus, dass man García seit sechs Jahren nicht mehr in seinem Büro gesehen hatte." (Aus: David Graeber, "Bullshit Jobs", S. 32)
"Ich glaube in der Tat, dass man diesen Mann als Held betrachten kann. Als es herauskam, gab es in Spanien einen Skandal. Er musste ein Jahr seines Gehalts zurückzahlen. Aber schließlich hat man wohl erkannt, dass seine Spinoza-Forschung der Gesellschaft mehr genützt hat, als wenn er jeden Tag im Büro so getan hätte, als wäre er beschäftigt", sagt Graeber - und isst die letzten Erdnüsse. Und vielleicht denkt er dabei an die Arbeiter der Erdnussfabrik, die einen nützlichen Job haben.

David Graeber: Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit.
Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018
466 Seiten, 26 Euro

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