Ein Theaterirrwisch

Von Susanne von Schenck · 17.01.2011
Christian Stückl hat die Passionsspiele in Oberammergau schon dreimal inszeniert und war an vielen Bühnen zu Gast. Seit 2002 ist er Intendant des Münchner Volkstheaters, wo er gerade Bertolt Brechts "Dreigroschenoper" inszeniert.
Ohne Zigarette kann er nicht leben.

Genauso wenig wie ohne das Theater. Wie Christian Stückl, der Intendant des Münchner Volkstheaters auf der Probebühne des Hauses die Emotionen aus seinen vorwiegend jungen Schauspielern herauskitzelt, das ist selbst schon bühnenreif.

Der Regisseur, Ende 40, rauft sich häufig die von grauen Strähnen durchzogenen dunklen Locken, denkt nach, regt an, geht mit. Es rumpelt, drängt, stürmt - Christian Stückls Theater ist so vital wie er begeisterungsfähig.

Untrennbar verbunden mit dem kettenrauchenden Theaterirrwisch in grauem Janker und Haferlschuhen ist Bayern - und vor allem Oberammergau. Dort kam Christian Stückl 1961 zur Welt, dort betrieb sein Vater den "Gasthof zur Rose". Der Sohn wohnt direkt gegenüber, allein. Für die Gründung einer eigenen Familie hatte er noch keine Zeit.

"Ich bin bei meinen Eltern mit 19 schon ausgezogen, aber nur über die Straße rüber, da stand so ein alter Bauernhof und den wollt ich haben. Den hab ich gekriegt, ganz früh und später hab ich ihn renoviert und hergerichtet und Heizung reingebaut, und da leb ich."

Jedenfalls, wenn der Rastlose nicht unterwegs ist: an deutschsprachigen Theatern oder in Indien, neben Bayern seine zweite Heimat. Christian Stückls Karriere begann mit einem Krippenspiel in Oberammergau. Der Junge, dessen Großvater und Vater bei den Passionsspielen den Judas, Kaiphas oder Herodes spielten, wollte später selbst "Spielleiter" der Geschichte vom Leben, Leiden und Sterben Jesu werden.

Dreimal hat er die alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspiele inzwischen inszeniert - mit vielen Neuerungen, die in seinem Heimatort auch umstritten sind. Er veränderte Kostüme und Bühnenbild, strich antisemitische Passagen im Text. Nicht das Geschäft sollte im Vordergrund stehen, sondern die Geschichte Jesu und ihre Bedeutung heute.

"Tradition ist wunderbar, aber jede Tradition muss immer wieder zum Leben erweckt werden, das müssen wir machen."

Aber bevor Christian Stückl Regie führen durfte, lernte er Holzbildhauer - das verlangte die Tradition. Noch heute amüsiert es ihn, wenn er an seine Lehre denkt.

Holzschnitzer: "In der Ausbildung habe ich dann unter meiner Hobelbank ein Brett reingenagelt, und da hab ich das Theaterheft reingeschoben, und unter meine Hobelbank hab ich das Holz vom Nachbarn geschaufelt, dass der Lehrer meint, ich tu was. Der kam dann irgendwann vorbei und hat gesagt: Du schnitzt Linde und unten liegt Zirbel, hat’s dann entdeckt und hat gesagt: Geh du zum Theater, da gehörst du hin."

Christian Stückl ist Oberammergauer durch und durch - ein weltoffener. In seiner Heimatstadt macht er seine ersten Theatererfahrungen, hier wird der Regisseur Dieter Dorn auf ihn aufmerksam und holt den Autodidakten an die renommierten Münchner Kammerspiele. Bis 1996 bleibt Christian Stückl dort, inszeniert dann in Wien, Frankfurt, Hannover oder Bonn - bis er 2002 die Leitung des Münchner Volkstheaters übernimmt. Mit der Parole "radikal jung" hat er das Haus entstaubt und pendelt erfolgreich zwischen modernem Welttheater und krachledern-schrägen Bauernstücken. Seine Inszenierung vom "Brandner Kaspar" ist immer ausverkauft.

"Ich selber kann gar nicht richtig Hochdeutsch, aber ich hab eigentlich nie Mundartstücke gemacht, aber dann hab ich’s hier probiert und hab den Brandner Kaspar, die Geierwally und hab hier versucht Stücke zu machen, die auch in Mundart gehen und hab trotzdem gesagt, diese Stücke dürfen nicht verstaubt rüberkommen, sie müssen trotzdem lebendig sein."

Wohl kaum ein Regisseur seiner Generation hat so viel Kontakt zu Bischöfen, Priestern und sogar zum Papst wie Christian Stückl. Er gelte in der Theaterwelt als "Fachmann fürs Katholische", sagt er und sein Ausdruck schwankt zwischen Stolz und ein bisschen Verlegenheit.

Aber nirgends fühlt sich der 49-Jährige so katholisch wie im fernen Indien. Die intensive Auseinandersetzung mit der fremden Kultur und Religion des Subkontinents macht ihm seine eigenen Prägungen klar. Jedes Jahr fährt er dorthin. Das Zentrum seines Lebens ist und bleibt jedoch Oberammergau.

"Also ich brauch’ das für mich, so einen Ausgangspunkt. Da, wo ich daheim bin, da, wo ich mich daheim fühl, von da aus kann ich dann überall hingehen, aber man weiß auch wieder, wo man zurückkehrt."


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