Ein Tanz mit Buchstaben

Von Klaus Lockschen · 10.12.2013
Mit der Bekanntgabe der Namen der Nobelpreisträger beginnt für die Kalligrafin Annika Rücker die arbeitsintensivste Zeit im Jahr. Die Schwedin fertigt seit 25 Jahren die Urkunden für die Preisträger in den Disziplinen Physik, Chemie, Wirtschaft und Literatur.
"Und ich bin schon als Kind mit meinem Vater in die Druckereien gegangen. Er war Gebrauchsgrafiker, sehr begabt, hat auch gemalt und war geschäftlich sehr tüchtig. Und am Abend bei seinem Arbeitstisch gestanden, als ich ihm "Gute Nacht" sagen wollte, konnte ich stundenlang daneben - ganz leise, ich durfte nicht laut sein, nichts sagen - zuschauen, wie er gearbeitet hat, weil er ja auch oft abends gearbeitet hat. Und das hat mir geprägt, wie sagt man, mich geprägt."

Das Lachen der Annika Rücker ist ansteckend. Bei tropischen Temperaturen suchen wir in ihrem nach Rosen und Lavendel duftenden Garten unter einer Birke Schutz vor der Sonne. Die sportliche Endsechzigerin trägt eine lange, bunte Bluse mit fleuralem Muster, ganz so, als wäre es ein Schnappschuss aus ihrem Garten.

Als Kind einer schwedischen Mutter und eines österreichischen Vaters ging sie mit 18 Jahren von Schweden nach Wien, um an der Akademie für Angewandte Kunst in der Meisterklasse für Schrift- und Buchgestaltung zu studieren - ebendort, wo auch ihr Vater Jahrzehnte zuvor die Ausbildung durchlaufen hatte. Nach ihrem Studium zog es sie zurück nach Schweden. Sie arbeitete dort unter anderem als Assistentin des Hofgrafikers für den schwedischen Königshof und auch selbstständig "für Ihre Majestät". Vor 25 Jahren kam das Angebot für Nobel.

"Und plötzlich dann im Herbst, schon im Oktober, geht das Telefon, ob ich die Nobelurkunden schreiben will. Und ich habe von nichts gewusst und hab jede Menge anderer Aufträge gehabt. Aber natürlich habe ich mich riesig gefreut und hab es geschafft. Hab es auch geschafft, weil die Welt damals nichts von meiner Arbeit gewusst hat. Ich habe in Frieden und Ruhe arbeiten können."
Frischer Wind in den Urkunden
Mittlerweile bringt es die Künstlerin auf 188 Nobelurkunden, mehr hat vor ihr noch keiner geschafft. Es sind handgefertigte Ledermappen mit geprägtem Monogramm auf der Vorderseite, und eingebunden, auf handgeschöpftem Papier oder Ziegenpergament, ein Kunstwerk eines schwedischen Künstlers auf der linken Seite, rechts das kalligrafierte Diplom mit der Leistung des Preisträgers. Sie hat frischen Wind in die Urkunden gebracht und gleich begonnen, mit den Formen zu spielen.

"Durch die vielen Jahre auch ist es mir gelungen, die Urkunden aufzuarbeiten in ein wirkliches Gesamtkunstwerk. Und meine Spezialität ist auch, sind die Monogramme. Ich mache für jeden Preisträger ein persönliches Monogramm. Ich spiele mit den Initialen und mache mir ein Bild aus den Buchstaben, ich spiel. Das heißt, mein Monogramm wird dann in Gold auf der Vorderseite dieser handgemachten Ledermappe geprägt."

Sie holt eine Mappe und legt einige der von ihr gestalteten Monogramme vor, und man sieht: Mit den Initialen ist die Künstlerin in der Lage, Charaktereigenschaften zu skizzieren, Gesichter zu zeichnen, ganze Geschichten zu erzählen.

"Und hier die Elfriede Jelinek. - Das ist ein Schönes, das ist ein Gesicht, das ist wie ein Gesicht. - Ja, genau. Das E und das J und diese Haarwelle, die Frisur, die sie hatte, und hier Augen, Mund und Kinn. Und zuerst hatte ich das a bisserl breiter gemacht. Und dann habe ich ordentliche Fotos gesehen und hab es ein bisserl schmäler gemacht und gesehen, dass es gleichzeitig eine Theatermaske geworden ist. Es war nicht bewusst, aber ich sehe es dann selber so."

Damit sie die Charaktere der Preisträger zielsicher trifft, studiert sie vorab ihre Werke und versucht, zahlreiche Informationen zusammenzutragen. Dennoch ist es mitunter nicht einfach.

"Oh, ja, manche Buchstaben sind sehr schwer zu kombinieren. Und dann, dann tu ich was, bin nicht zufrieden, dann leg ich´s auf die Seite und mach was anderes dazwischen, weil ich hab ja viele Momente, mit denen ich inzwischen arbeiten kann, alles mit Nobel, aber verschiedene Dinge. Und irgendwann, vielleicht mitten in der Nacht, loslassen, und dann kommt was. Schlaflose Nächte, wo ich sehr unruhig bin, aber der Kopf arbeitet und arbeitet. Und dann hab ich immer Bleistift und Papier am Bett und kann dann Entwürfe machen und Ideen zeichnen und so."

Erst wenn die Monogramme stehen, widmet sich die Künstlerin der Schrift der Urkunden. Auf Zehntelmillimeter genau werden Abstand und Größe der Buchstaben und Wörter und die Textanordnung ausprobiert. Und auch der Schwung der Handbewegung und der Druck auf den Federkiel müssen exakt sitzen.
Die Materialien sind sehr kostspielig
"Ich bin ja schon wie ein Flugzeug in der Luft - ja, Landebahn. Oben in der Luft richtig und dann wieder raus, so ritsch. Ja sicher. Wie glauben Sie, dass ich diese dünnen Haarstriche hin bekomme? Das geht ja nicht anders, das muss so ritsch gehen."

Geübt wird in schwarz-weiß. Mit der Aquarellfarbe geht es gleich auf das Dokument. Aus zwei Gründen: Die Materialien Büttenpapier und Pergament sind sehr kostspielig und der Termindruck ist groß.

"Ich habe nicht Zeit, sie noch einmal zu machen, sondern es muss sitzen. So wie der Konzertpianist. Ich vergleiche meinen Beruf mit einem Konzernpianisten. Sitze im Kammerl und übe und übe ... und dann gehe ich aufs Podium, wenn ich das Original mache. Und das muss sitzen. Ich muss dann auch die künstlerische Interpretation dazu haben."

Schönschrift ist die große Leidenschaft der Annika Rücker. Und das Aquarellmalen von Rosen. Man spürt ihre Zufriedenheit. Und ihre Werke strahlen das aus.

"Diese Bilder, diese Urkunden sind ja auch meine Kinder, die in die Welt hinausgehen."

Sie schickt auch in diesem Jahr wieder ihre Kinder, gut ausgestaltet und mit viel Liebe begleitet, in die Welt - wiederum nach schlaflosen Nächten. Und am Ende löst sich ihr Albtraum, dass König Carl Gustav bei der Preisverleihung eine Mappe in Händen halten könnte, bei der die Urkunde nicht fertig geworden ist, in Luft auf.
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