Ein Spitzentreffen

Rezensiert von Wilhelm von Sternburg · 02.11.2008
Es war eine denkwürdige Begegnung im Oktober 1808 in Erfurt: Der Kaiser der Franzosen, Napoleon, traf mit dem deutschen Dichterfürsten Goethe zusammen. Es fielen berühmte Worte, die die Fantasie der Gelehrten anregten. Nun hat sich auch der Historiker Gustav Seibt faszinieren lassen für sein Buch "Goethe und Napoleon".
Es war damals zu viel Prominenz beim großen Fürstenumtrieb in Erfurt. Vielleicht haben die Zeitgenossen deswegen das Zusammentreffen der zwei Heroen - der eine stand für Macht, der andere für Geist - noch nicht in ihrer ganzen Dimension erfasst. Wenig später aber war wohl allen klar, was sich da am Vormittag des 2. Oktober 1808 in Erfurt abgespielt hat: ein epochales Spektakel.

Zwei Männer, die jeder auf ihre Weise ihr Zeitalter geprägt haben, plauderten miteinander: über die französische Theaterkunst, über den Bestsellerroman, der die Geschichte des unglücklichen Werther erzählt, über Cäsar, über den Propheten Mohamed.

Der, der in diesen Tagen über Europa herrschte, sagte, als sie aufeinander zu gingen, den dann bald so berühmt gewordenen Satz: "Voilà un homme!", und der andere wird bis zu seinem Tod - der über zwanzig Jahre später eintritt - nie seine Bewunderung für die Ausnahmeerscheinung seines Gesprächspartners verhehlen.

Auch dann nicht, als dieser längst gestürzt ist, ziemlich elend im Exil das Zeitliche gesegnet hatte und alle die Schmeichler und Heuchler an den europäischen Kaiser-, Königs- und Fürstenhöfen schon immer gewusst haben wollten, dass er ein Unglück für Europa gewesen sei.

Die Begegnung von Napoleon und Goethe in Erfurt war nicht die erste und nicht die letzte der beiden, aber sie hat die Fantasie der Gebildeten angeregt wie kaum ein anderes nicht militärisch-politisches Ereignis im 19. Jahrhundert. Gustav Seibt, Historiker und Journalist, hat sich nun ebenfalls faszinieren lassen von diesem Zusammentreffen des Kaisers mit dem Dichterfürsten und ein prächtiges Buch darüber geschrieben.

Vor- und Nachgeschichte finden hier ebenso ihren Platz, wie die akribische Beschreibung der Zusammenkunft in der Mainzer Statthalterei, dem Erfurter Wohnsitz, den sich Napoleon während des von ihm einberufenen und beherrschten Fürstentreffens gewählt hatte. Der Kaiser der Franzosen hatte im Oktober 1808 den Zenit seiner Macht erreicht, beherrschte Europa, dessen Throne er nach Belieben besetzte und dessen Grenzen er verschob, bis die Landkarte seinen Machtansprüchen genügte.

Nur wer ganz genau hinschaute, konnte ahnen, dass in Erfurt auch schon ein Hauch von Abstieg zu spüren war: Der russische Zar ließ sich nicht in Napoleons Machtpläne einspannen, in Spanien erreichte der Guerilla-Widerstand für die französischen Besatzer erste bedrohliche Formen, und England blieb Herr über die Weltmeere, denn Admiral Nelson hatte schon drei Jahre vor dem Erfurter Treffen in der Schlacht von Trafalgar Frankreichs Flotte vernichtend geschlagen.

Goethe wiederum, immerhin Minister im herzoglichen Kabinett, sah die unruhigen politischen Entwicklungen der letzten Jahre mit Bedenken, lag häufig quer mit seinem Souverän Carl August, der Napoleon ablehnte und um seinen Thron bangte.

Napoleon hielt in Erfurt Hof. Goethe war für ihn nur einer von unzähligen zur Audienz gebetenen und das hieß natürlich befohlenen Gästen. Für Goethe wiederum war die Einladung vor dem Kaiser zu erscheinen zweifellos ein unvergesslicher Augenblick. Seibt zitiert einen entsprechenden Brief des Dichters an seinen Verleger Cotta:

"Ohne mich auf das Detail der Unterredung einzulassen, so kann ich sagen, dass mich noch niemals ein Höherer dergestalt aufgenommen, in dem er mit besonderem Zutrauen, mich, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, gleichsam gelten ließ, und nicht undeutlich ausdrückte, dass ihm mein Wesen gemäß sey; wie er mich denn auch mit besonderer Gewogenheit entließ, und dass zweytemal in Weimar die Unterhaltung im gleichen Sinn fortsetzte, so daß ich in diesen seltsamen Zeitenläuften wenigstens die persönliche Beruhigung habe, dass wo ich ihn auch wieder begegne, ich ihn als meinen freundlichen und gnädigen Herrn wiederfinden werde."

Goethe war ein Mann des Hofes und so klingt das denn auch. Aber Seibt gesteht ihm wohl mit Recht zu, dass er bei seinen Treffen mit Napoleon eine gute Figur gemacht hat. Bei allem Respekt, der Fürst der Dichtung sah sich gegenüber dem Fürsten der politischen Macht als Gleicher. Später wird er Eckermann in die Feder diktieren:

"Um Epoche in der Welt zu machen, dazu gehören bekanntlich zwei Dinge: erstens, dass man ein guter Kopf sei, und zweitens, dass man eine große Erbschaft tue. Napoleon erbte die Französische Revolution, Friedrich der Große den schlesischen Krieg. Luther die Finsternis der Pfaffen, und mir ist der Irrtum der Newton`schen Lehre zutheil geworden."

Der Mann wusste, wer er war und hielt damit nicht hinter dem Berg. Seibt belegt das in mancher Passage seiner Erzählung. Auch, welch tiefe Bedeutung das Erscheinen Napoleons auf der politischen Weltbühne für Goethes Leben und Werk besessen hat. Um nur zwei Beispiele zu nennen, auf die Seibt hinweist.

Seine Memoiren "Dichtung und Wahrheit", sein "Faust II" (zweiter Teil) - ohne das Auftreten Napoleons in der Geschichte, ohne die für den Dichter überwältigende Persönlichkeit des Franzosen, wäre das so nicht geschrieben worden. Und das Private?

"Unter dem Schock der napoleonischen Eroberung vollzog Goethe so ungesäumt wie folgerichtig eine deutliche rechtliche und gesellschaftliche Modernisierung seiner persönlichen Lebensumstände. Er legalisierte sein Verhältnis zu Christiane und schlug dabei Standesrücksichten in den Wind; und er klärte die Eigentumsverhältnisse an seinem Haus.

Er wurde nun erst zu einem regelrechten bürgerlichen Familienvater und Hausbesitzer; dabei streifte er höfisch-feudale Züge seiner Existenz ab. Was Goethe für sich ins Werk setzte, liegt ganz auf der Linie dessen, was mit Deutschland in diesen Jahren insgesamt vorging; Der staatliche, rechtliche und gesellschaftliche Aufbau wurde radikal erneuert, vor allem vereinfacht und systematisiert."


Für Goethe blieb - bei aller späteren Distanz zur Gewaltpolitik des Eroberers - Napoleon auch in seinen letzten Lebensjahren "ein Kerl - immer erleuchtet, immer klar und entschieden und zu jeder Stunde mit der hinreichenden Energie begabt". Was er da Eckermann für die Nachwelt erzählte, hatte allerdings nichts mit Hegels "Weltgeist" zu tun, der sich für den Philosophen in Napoleon gezeigt hatte.

Seibt begründet Goethes Bewunderung für den Franzosen nicht zuletzt mit dem Begriff des Dämonischen, der die Weltauffassung Goethes jenseits der geschichtlichen Welt berührt. Wie so vieles in diesem Buch ist auch dies eine wichtige, anregende Deutung, über eine Beziehung, die wohl nicht den politischen Weltenlauf, aber sicher die Literaturgeschichte beeinflusst hat.

Gustav Seibt: Goethe und Napoleon. Eine historische Begegnung
C.H. Beck Verlag
München 2008
Gustav Seibt: Goethe und Napoleon. Eine historische Begegnung
Gustav Seibt: Goethe und Napoleon. Eine historische Begegnung© Beck Verlag