Ein Sozialdrama

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Die polnisch-deutsche Koproduktion "Ich, Tomek" ist ein Film des Regisseurs Robert Glinski. Darin geht es um einen polnischen Jungen, der sich im Grenzgebiet an deutsche Freier verkauft.
Filmausschnitt:
Tomek: "Mir dreht sich alles vor Augen."
Marta: "Ich auch? Ich liebe dich, so wie nichts auf der Welt."

Die Liebe könnte so schön sein: Marta liebt Tomek und Tomek liebt Marta und beide sind 15 Jahre alt. Aber Marta will sich ihre Zähne nach dem Vorbild der Hollywood Stars mit Porzellan überziehen lassen und hat noch viele weitere Wünsche, etwa neue Sportschuhe.

Filmausschnitt:
Martha: "Die sind super. Kaufst du mir die?"
Tomek: "Hör mal. Wir müssen das Geld beim Zahnarzt hinterlegen!"
Marta: "Tomek!"

Die katholische Jugendgruppe singt auf dem Kirchentag. Andere Jugendliche aus Tomeks Dorf toben sich beim Fußballtraining aus. Aber die ländliche Idylle trügt: Die Grenzen sind offen und die Wünsche sind groß.

Während die Eltern arbeitslos werden, träumen ihre Kinder vom goldenen Westen. Es gibt wenig Geld und viele Wünsche. Auch Tomek sucht Arbeit, verkauft Spargel und Gartenzwerge auf dem Markt an der Grenze, aber mehr als acht Euro bekommt er am Tag nicht zusammen. Auch sein bester Freund will ihm kein Geld leihen.

Aber er verdient sich sein Geld als Prostituierter und bringt ihn in Kontakt mit den Zuhältern des grenznahen Straßenstrich und Tomek verkauft sich an Freier aus dem benachbarten Deutschland. Doch Marta verlässt ihn für einen Älteren und Erfolgreicheren und endet auch in der Prostitution. Die Liebe war seine letzte Illusion, und sein bester Freund erklärt dem verstörten Tomek die Welt mit dem bitteren Sarkasmus des Strichjungen:

Filmausschnitt:
"Du solltest sie lieber vergessen. Sie ist es nicht wert, sind alles nur Fotzen."
"Wieso denn Fotzen?"
"Na wieso schon? Die machen es für alles, für Klamotten, sogar für Bier. Noch nie davon gehört?"
"Nein."
"Für ein gutes Parfüm darfst du zweimal ran, für 'ne neue Lederjacke darfst du fünfmal ran und für einen Urlaub an der See noch öfter. So läuft das hier."
"Nicht Marta!"
"Sie hält ihren Arsch hin wie du."

Nach einer brutalen Vergewaltigung verliert Tomek die letzten Skrupel, wird selbst zum Zuhälter und nimmt schließlich brutal Rache. All das erzählt Regisseur Robert Glinski fast trocken, aber eindringlich und, ohne falschen Pathos. Es geht ihm um einen neuen und radikalen Materialismus in der ganz jungen Generation:

"In 'Ich, Tomek' zeige ich eine junge Generation, die sehr modern sein will. Sie schaut nach dem großen Geld, ist sehr aktiv, will immer hip und ganz vorne sein."

Der polnische Originaltitel "Swinki" (Schweinchen) bezieht sich dabei auf diese schnelle und an ganz konkreten Konsumgütern orientierte Gelegenheitsprostitution.

"’Schweinchen’ ist ein Slang Ausdruck für Jugendliche, Jungen und Mädchen, die sich an die Pädophilen verkaufen, weil sie irgend einen elektronisches Gerät haben wollen oder Kosmetik oder Kleidung. Schweinchen, weil sie sich selbst für alle mögliche Sachen prostituieren."

Der Film legt den Finger in gesellschaftliche Wunde, denn die Prostitution von Kindern und Jugendlichen wird in Polen verdrängt.

Robert Glinski: "”Das ist ein Tabu, die polnische Gesellschaft, die polnische Politik schweigen zu dem Thema. Es gibt keine öffentliche Diskussion, obwohl diese Prostitution überall präsent ist. Ich habe diese Geschichte an der deutsch-polnischen Grenze angesiedelt.
Aber das Problem gibt es auch in den größeren polnischen Städten, in den großen Einkaufszentren, da stehen die Jungen und Mädchen und bieten sich den reichen Kunden an, für ein Handy oder für eine Lederjacke. Das Problem ist überall in Polen präsent, aber keiner spricht darüber.""

Für den 57-jährigen Regisseur beschreibt sein soziales Drama auch die allgemeine moralische Entwurzelung seiner Gesellschaft:

"Die polnische Gesellschaft hat sich seit 1989 sehr stark verändert. Viele dieser Änderungen waren sehr, sehr gut, aber andere eben nicht. Ich denke, als Filmemacher muss ich auf diese negativen Seiten hinweisen, auf Verhaltensweisen und Werteentwicklungen hinweisen, die wirklich schlecht sind, die entstanden sind auch durch eigentlich grundsätzlich gute Veränderungen."

Robert Glinskis ist ein Ensemblefilm gelungen, der mit einem brillanten Zusammenspiel von jugendlichen Laien und professionellen Darstellern, wie dem deutschen Schauspielveteranen Rolf Hoppe überzeugt. Aber ganz besonders beeindruckend ist Filip Garbacz, der jugendliche, fast noch kindliche Hauptdarsteller.

Ganz brillant gelingt ihm die Entwicklung vom braven Oberschüler zum Strichjungen bis hin zum Zuhälter und zum brutalen Rächer. Immer behält er eine gebrochene verlorene Kindlichkeit, wenn er etwa kurz vor Ende des Films seinen besten Freund demütigt und ihn zu einem besonders brutalen Freier und damit in den Tod schickt:

Filmausschnitt:
"Du bist zu alt Junge, dich will keiner."
"Irgendeiner bestimmt – also besorgst du mir was?"
"Geh dich erst mal duschen."
"Was?"
"Und wasch dir die Haare, du siehst wie ein Penner aus."
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