Ein Schaufenster in die Zukunft der Städte

Von Alexandra Mangel |
Wie sieht die Identität der Städte im globalen Wandel aus? Der Frage geht das Projekt „The promised city nach, das nach Antworten in Berlin, Warschau und Mumbai sucht. In Warschau ist jetzt „promised city“ mit der Ausstellung „Wystawa – Schaufenster“ eröffnet worden. In der Auslage eines Möbelhauses zeigen deutsche und polnische Künstler ihre Sicht auf die Stadt.
Vernissage als Schaufensterbummel. Passanten streifen durch eine Passage im Warschauer Zentrum. Auf der einen Seite die Schaufenster eines Möbelhauses. Auf der andern die eines Museums, das es noch gar nicht gibt. Das Warschauer Museum für Moderne Kunst bereitet sich hier auf seinen Auftritt vor: In vier Jahren soll der Neubau einige Straßen weiter direkt neben dem „Kulturpalast“ stehen, dem gigantischen Denkmal polnisch-sowjetischer Freundschaft, auch „Stalinstachel“ genannt. Bis dahin zeugt der Unterschlupf im Möbelhaus von der Veränderung der Stadt. Kuratorin Susanne Pfeffer.

„Wenn man hier vor den temporären Räumen des zukünftigen Museums steht, dann wird der Wandel in Warschau ganz offenkundig. Man ist hier vor einem Bau aus den 50er-Jahren, der aber eingerahmt wird von zwei riesigen Hochhäusern, die erst in den 90er-Jahren gebaut worden sind – mit einer gewissen Brutalität. Geht man die Straße weiter lang, dann ist auf der linken Hand der Kulturpalast, auf der rechten Hand ist eine gigantische Shopping-Mall. Und um den ganzen Platz herum hat man sehr viel Einzelhandel, wo man diese klassischen, wie ich finde, liebevoll arrangierten Schaufenster sieht.“

Sie sind Anregung für Susanne Pfeffers Ausstellung. Jeder ihrer Künstler bespielt eines der großen Schaufenster der Passage. Im Fenster von Sarah Ortmeyer sieht man leere Tapetentische, wie sie Straßenhändler aufbauen. Zur Fensterfront hin sind sie abgebrannt, verkohlt. Verweis auf die Konflikte, die am Ort des neuen Museums ausgetragen werden. Für den Bau wurde im Sommer eine große Markthalle abgerissen. Unter großem Protest der Händler.

Sarah Ortmeyer: „Es gab ja im Sommer diese ‚Riots‘ hier in Warschau, als klar war, dass das neue Museum an dem Ort gebaut wird, wo die fliegenden Händler ihre Stände hatten und eine Halle. Die Autos haben gebrannt und es gab antisemitische Hasstiraden innerhalb der Demonstranten gegen das Museum. Das ist alles sehr ambivalent, weil es natürlich sehr wichtig ist für Warschau, dass dieses Museum entsteht. Es wurde seit vor dem Zweiten Weltkrieg kein neues Museum gebaut hier in Warschau, das wird eine Institution sein für zeitgenössische Kunst – und das ist einfach ein Dilemma!“

Was Sarah Ortmeyer als Konflikt zeigt, ist für Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, auch Strategie der Zukunft: Orte für Kultur sollen den Stadtraum gegen einen Globalisierungsprozess verteidigen, der nach rein wirtschaftlichen Kriterien alles überall gleich macht. Eine Ausstellung im Möbelhaus als „Versprechen“ – „Promised City“.

Klaus-Dieter Lehmann: „Was mir an dem Warschauer Ausstellungsort gefällt, ist, das hier die Kuratoren und diejenigen, die für das Museum in Zukunft Verantwortung tragen werden, anfangen schon zu einem Zeitpunkt, wo das Museum eigentlich noch gar nicht existiert. Dass die sagen, hier sind Menschen, die machen diesen ganzen kulturellen Anteil der Gesellschaft schon zu einem Zeitpunkt sichtbar, bevor überhaupt diese Mauern stehen, die zeigen, ein Museum kann durchaus arbeiten, bevor überhaupt ein Dach und eine Mauer da ist.“

Diese Öffnung und Kraft zeigt in Susanne Pfeffers Ausstellung vor allem Alicija Kwade: Ein Holzbalken scheint durch die Scheibe ihres Schaufensters dem Betrachter entgegen zu stürzen – durchstößt das Glas und lässt es doch unversehrt. Ausbruch, schwebend. Oder Ulla von Brandenburg: Mit schweren alten Vorhängen aus der Warschauer Oper bereitet sie ein paar Schritte weiter keinem Ensemble die Bühne, sondern dem Publikum.

Schade nur, dass sich einige der deutschen Künstler wenig für den Ort der Ausstellung interessieren: Und dass, obwohl die Polen mit ihrer Ausstellung in den Berliner Kunst Werken dieses Jahr gezeigt haben, wie wichtig diese Auseinandersetzung für sie ist.

Susanne Pfeffer: „Weil die zeitgenössische Kunst es hier sehr viel schwerer hat als in Deutschland. Und das war auch ein Teil für die Idee dieser Ausstellung. Denn es gibt natürlich sehr viele Ängste zeitgenössischer Kunst gegenüber – auch bei uns immer noch – und diese Ausstellung muss man gar nicht betreten. Man kann sie passieren und man ist im Grunde schon mitten in der Ausstellung, ohne gleich diesen Schwellenängsten zu begegnen.“

In der Stadt Räume für die Kunst zu öffnen ist das eine. Die Geschichte der Stadt, ihre Textur zu erkunden das andere. Für „Promised City“ leistet das der Kölner Künstler Boris Sieverts, der ab Mai zweitägige Stadtwanderungen durch Warschau anbietet, die durch Höfe und Hintereingänge, über Dächer und durch Vororte, Zwischenräume, die die Touristenströme links liegen lassen.

Boris Sieverts: „Eine der Sachen, die mir aufgefallen ist: dass die Stadt ganz schlecht zusammengenäht ist. Sie ist nach dem Prinzip ‚Form follows Power‘ entstanden – also die Form folgt der Macht sozusagen. Und diese Logiken stoßen allerorten auf eine Weise zusammen, die überhaupt nicht gestaltet ist und vielleicht auch nicht gestaltbar ist. Und diese Stellen sind sehr spannungsreich und aufregend!“

Das Versprechen der Städte, ihre Eigenheit, liegt in ihren Lücken und Brüchen. Dafür schafft das Projekt „The Promised City“ ein Sensorium. Und zieht die Aufmerksamkeit ab von den großen Prestigeprojekten des Stadtmarketings. Eine beglückende Erfahrung.

Boris Sieverts: „Dieses schlecht Zusammengenähte wird für mich am besten an den Bodenbelägen ablesbar, wo die zusammenstoßen. Da entstehen auch immer Stolperkanten, man muss immer schauen, wo man seine Füße hinsetzt oder dass man sie ausreichend hebt. Es entstehen kleine Durchgänge. Dann stößt ein Zaun an den andern Zaun und dazwischen ist eine kleine Lücke, wo man durchschlüpfen kann. Und man könnte sehr schön ein Warschau-Porträt machen, was nur aus diesen Bodenbelägen bestünde – und ich würde behaupten, dass wenn man das Warschauern vorlegen würde, dass sie die Empfindung hätten, dass sie ihr Warschau wiedererkennen!“

Service:
Die Ausstellung „Wystawa“ – „Schaufenster“ – ist in Warschau, im Temporären Museum für Moderne Kunst noch bis zum 25. Juni 2010 zu sehen. Der Kölner Künstler Boris Sieverts wird seine Führungen durch Warschau von Mai bis Juli anbieten. Aber „The Promised City“ – das gemeinsame Projekt des Warschauer Goethe-Instituts und des Polnischen Instituts Berlin umfasst noch viele andere Veranstaltungen – Kunst, Theater, Literatur, Film.
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Logo von „The Promised City“© The Promised City
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