Museum im Werden

Von Barbara Wiegand |
Die Schau „Early Years“ in den Berliner Kunstwerken fokussiert die polnische Hauptstadt Warschau, in der die zeitgenössische Kunst eine Hochphase erlebt. So soll im Stadtzentrum ein Museum für Moderne Kunst entstehen. Dieses „Museum im Werden“ bildet den Ausgangspunkt der Ausstellung, die Teil des Projektes „The Promised City“ zu städtischen Transformationen und Neu-Definitionen ist.
„M ... U ... .Z ... .E ... U ... M ...“

Ein Museum entsteht – zunächst symbolisch, wie hier bei der buchstabierenden Klanginstallation von Anna Zaradny zu hören ist. Und bald in Wirklichkeit. Auf einer innerstädtischen Brache in Warschau soll das Museum für Moderne Kunst in den kommenden vier Jahren errichtet werden. Direkt gegenüber dem einst als Statusprojekt des kommunistischen Regimes errichteten monumentalen Kulturpalast.

„Es geht hier also um das neue Museum in Warschau, das sich in der Entstehungsphase befindet. Wie wird es aussehen? Aber auch: Wie wird es ausgefüllt werden? Deswegen auch der Titel ‚Early Years‘ – es ist eine Zeit der Erwartungen, der Gefühle. Eine Zeit, in der man auch mal etwas ausprobieren kann. Aber solch ein Projekt fordert auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Umfeld, in dem es entsteht. Deswegen zeigen wir hier auch Arbeiten, die sich mit Themen wie Propaganda beschäftigen, mit Pioniergeist. Ja, Arbeiten, die sich direkt oder im übertragenen Sinn mit der Entstehung des Museums befassen.“

Erläutert Joanna Mytkowska vom Museum für Moderne Kunst. Für die Berliner Ausstellung hat das im Aufbau befindliche Haus Künstler ausgewählt, mit denen es seit der Gründung vor fünf Jahren zusammenarbeitet. So ist das Ganze durchaus als Promotion gedacht – aber keinesfalls als reine Selbstbespiegelung des Museumsprojektes. Vielmehr liefert die Schau einen abwechslungsreichen Einblick in die Warschauer Kunstszene und darüber hinaus. Es werden Positionen präsentiert, die genauso spezifisch sind wie international – so persönlich wie politisch.

In einer kleinen Kiste kann man etwa Wojciech Bakowskis Animationsfilm betrachten. Mit althergebrachtem Zeichentricks und schrägen Streetart-Elementen hat er eine poetisch rasante Bildfolge komponiert, bei der man das Gefühl hat, auf dem Beifahrersitz eines schnellen Autos zu sitzen, während in gestrichelten Linien die Landschaft vorbeihuscht. Dazu erklingen Satzfetzen aus dem Leben eines jugendlichen Club-Gängers aber auch Zeilen romantischer Dichtung. Es ist eine kurzweilige Mixtur aus Assoziation und Vision. Nachgerade verstörend wirkt dagegen Yael Bartanas im Keller ausgestrahlter Film Mary Kozmary – zu Deutsch „Träume – Albträume“

Ein junger, wie ein kommunistischer Apparatschik gekleideter Mann ruft die einst von den Nazis vertriebenen Juden auf, nach Polen zurückzukehren.

Wie er das tut – so kalkuliert erregt. Wie die Kamera das einfängt – aus welchen Perspektiven, mit welchen Ausschnitten – das erinnert an Propagandafilme von Leni Rieffenstahl.

Yael Bartanas: „Das ist eine vielschichtige Arbeit. Einmal frage ich, ob es möglich ist, die Propaganda-Sprache der Nazis zu benutzen, aber damit ganz andere, konträre Inhalte und Visionen zu transportieren. Also ich zeige die Dinge in ganz anderen Zusammenhängen, ich verknüpfe die düstere Realität der Vergangenheit mit einer Utopie. Dabei geht es mir auch darum die Faszination, die Schönheit einer solchen Inszenierung zu zeigen, aber gleichzeitig auch ihre Wirkung zu hinterfragen.“

So führt uns die israelische Multimediakünstlerin zugleich die Zeitlosigkeit einer solchen ästhetischen Inszenierung vor Augen, als auch die beängstigende Offenheit für die transportierten Inhalte. Auch andere der 18 ausgestellten Arbeiten sind – mehr oder weniger offensichtlich – politisch motiviert und nah dran an gesellschaftlichen Realitäten. Nochmals die Warschauer Kuratorin Joanna Mytkowska:

„Ja, sicher sind viele Arbeiten sind politisch, weil viele Künstler sich politisch engagieren. Was die polnischen Künstler betrifft, kommt das sicher dadurch, dass viele von ihnen aktiv an den sozialen Veränderungen der Gesellschaft beteiligt waren und sind. Das zeigt sich in der Kunst und das ist deshalb auch so präsent in der polnischen Kultur. Aber die Künstler verstehen sich nie direkt politisch. Viele von ihnen arbeiten mit Ironie, auch mit Selbstironie.“

Von großem Ernst sind dagegen die Fotos, die Ahlam Shibli in polnischen Kinderheimen machte. Über die bloße Dokumentation hinaus sind das berührende Einblicke in gar nicht unbeschwerte Kindheiten. Einblicke, die übrigens über die „Early Years“-Ausstellung hinaus gut im Rahmen des Gesamtprojektes „The Promised City“ betrachtet werden können. Sind dies doch Kinder von den Verlierern der Städte. Von Jenen, die sich von den Möglichkeiten der Metropolen viel versprachen, an den Anforderungen aber scheiterten. Ebenso passend zum übergeordneten Thema ist die düstere Zukunftsvision, die Zbigniew Libera auf einer großformatigen Panorama-Fotografie entwirft. Sie zeigt Männer und Frauen, die sich mit ihrem letzten Hab und Gut, gepackt in zusammengeklebten Koffern und Einkaufswagen durch den Müll und Schrott der Zivilisation hindurch flüchten. Die Menschen, sie verlassen die verlorenen Städte – auf der Suche nach einem besseren Ort.

So ist die Ausstellung „Early Years“ ein eindringlicher Auftakt für „The Promised City“ – auch wenn Manches darin konzeptlastig und damit schwer zugänglich ist, überzeugen die meisten Arbeiten mit ehrlichem Tiefgang.

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