"Ein Roman über Menschen"

Moderation: Joachim Scholl · 10.09.2013
Der Musiker und Schriftsteller Sven Regener verwehrt sich gegen die Etikettierung seines neuen Buches als Rave- oder Techno-Roman. Er habe vor allem die Geschichte von Karl Schmidt weiter erzählen wollen, weil die in "Herr Lehmann" so abrupt endete.
Joachim Scholl: Sven Regener – Millionen Leser verehren ihn als Autor der großen Trilogie um Herrn Lehmann, aber viele, viele Musikkenner schätzen auch den Sänger und Frontmann der Band "Element of Crime". Musik und Literatur, sie verschränken sich jetzt in einem neuen Roman von Sven Regener, der heute in den Buchhandel kommt, "Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt". Sven Regener ist bei uns im Studio. Schönen guten Morgen!

Sven Regener: Guten Morgen!

Scholl: Karl Schmidt. Alle Lehmann-Fans wissen, wer das ist. Der beste Kumpel, damals im historischen Berlin der späten 80er-Jahre, ein Riese von Gestalt, eine Seele von Mensch, Künstler, aber leider auch hoch gefährdet durch Drogen und allerlei. So haben Sie ihn wiedergetroffen, nicht wahr, Herr Regener?

Regener: Na ja gut, das war ja das große Drama eigentlich am Ende von "Herr Lehmann", dass Frank Lehmann seinen besten Freund da in die Klapse bringen musste, also ins Urban-Krankenhaus, Station 17 oder was. Und, ja, das war im Grunde genommen für mich auch das große offene Ding, dass man eigentlich immer wissen wollte, wie geht es mit dem eigentlich weiter. Viele Leute haben immer gesagt, ja, Frank Lehmann, was ist denn mit dem und so, wie geht denn das da weiter? Was ich immer fand, na ja, also dass so einer wie Frank kommt ja immer durch. Und am Ende von "Herr Lehmann" ist er ja relativ offen seiner Zukunft gegenüber, aber der Karl Schmidt ist wirklich einfach da verschwunden, Tür zu, weg ist er, ja? Ja, das war eigentlich die Idee, dann zu gucken, was eigentlich ein paar Jahre später aus ihm geworden ist und was da so möglich ist an Geschichten.

Scholl: Wir treffen ihn dann in Hamburg wieder. Wo ist er denn da?

"Karl Schmidt trifft seine alten Kumpels wieder"
Regener: Na ja, also er ist in einer therapeutischen Einrichtung, in einer Drogen-WG, kann man, wenn man das so sagen möchte. Also in einer drogentherapeutischen Wohngemeinschaft, wo er mit anderen Drogenfreaks, vor allen Dingen so Multitoxlern, wie er das nennt, also Leute, die mit verschiedenen Drogen sich sozusagen ins Elend geritten haben, und die da alle auf Entzug sind und so weiter und die da so betreut werden durch so einen – man kennt das ja, diese klassischen sozialen Einrichtungen damals aus freier Trägerschaft oder so, wo man versucht, die Leute nach dem Entzug und nach dem Irrenhaus einigermaßen zu betreuen, dass sie wieder ins Leben zurückfinden.

Er hat da so einen Job auch, der dem ungefähr entspricht, er ist Hilfshausmeister in einem Kinderheim. Ja, das beginnt damit, dass er eben dort letztendlich von seinen alten Kumpels entdeckt wird. Seine alten Raver-Kumpel, die früher in den 80er-Jahren in Berlin Clubs betrieben, wo man also Vorformen der großen Techno-Sache eigentlich, also Acid, House und so weiter, die da Bumm-Bumm-Musik gemacht haben, die treffen ihn da wieder und sind mittlerweile halt sehr reich geworden und sehr erfolgreich.

Scholl: Das ist, wie es der Zufall will – er kommt nämlich zurück dann in diese Berliner Szene, die mittlerweile ja wirkliche eine richtig ausgewachsene Techno-Szene ist. Wir sind so Mitte der 90er-Jahre, hab ich ausgerechnet, so ungefähr …

Regener: Genau! '95 ungefähr.

Scholl: Um den Dreh. Und Techno ist voll im Schwung, und die alten Kameraden, die machen mit einem Label also richtig Geld. Und nun planen sie eine Magical Mystery Tour. Diesen Begriff, Herr Regener, muss man jüngeren Menschen auch schon übersetzen. So hieß mal ein Beatles-Film, dann auch ein Album …

Regener: Ja, sie haben ja auch so eine Tournee versucht. Also, es gab so eine Magical-Mystery-Tour-Versuch von den Beatles, der auch relativ schnell gescheitert ist. Das war so eine Idee von, glaube ich, Paul McCartney, der die Band so ein bisschen wieder zusammenbringen wollte, der der Sache, weil die sich eigentlich – die spielten ja nicht mehr live und sie trafen sich nur noch im Studio, quasi, oder telefonierten miteinander oder was, mit Anwalt – aber er wollte sozusagen die Band wieder so ein bisschen zusammenbringen.

Und gleichzeitig natürlich jetzt andocken, das war ja auch schon so ein bisschen eine Nachahmung dessen, was in Amerika lieft mit Ken Kesey und dem Magic Bus und diesen ganzen Geschichten. Also mit so einer Spielhandlung zusammen so eine Art Tournee zu machen, spontan irgendwo zu spielen. Und so im Grunde genommen dann völlig in die Hose gegangen, relativ schnell, ich glaube, nach einem Tag abgebrochen oder so, im Höchstfall. Ich müsste das eigentlich, bevor ich diese Interviews gebe, hätte ich das noch mal nachlesen müssen genauer …

Scholl: Ich hab mich mal reinvertieft. Kann man alles schön nachlesen. Also das Konzept war eben so eine Hippie-Rundreise durch England. Dann wurde ein Film gedreht, der Film war ein Mega-Flop. Das Album allerdings war sehr erfolgreich, überall auf Nummer eins. Da waren so Klassiker drauf wie "Strawberry Fields" oder "I am the Walrus". Ich hab mich gefragt, wie Sie, Sven Regener, auf die Idee gekommen sind, also jetzt diese Techno-Freaks, die machen eine Magical Mystery Tour durch Deutschland.

"Das waren ja wirklich goldene Jahre"
Regener: Ja nun, einmal ist es ja ohnehin so, dass, als die Techno-Sache richtig groß wurde, das waren ja wirklich goldene Jahre. Ich hab das ja alles mitbekommen, weil ich ja – also ich bin zwar Rockmusiker und so immer gewesen, aber ich kannte ja viele, die in dem Bereich unterwegs waren, und ich habe auch viele kennengelernt, und ich war auch in vielen Backstage-Partys dabei und in Clubs. Und man kriegte das ja schon mit, das war ja einfach deren große Zeit.

Und das war das alles beherrschende, umspannende Ding, die ganze Techno- und Rave-Geschichte. Das war in den 90er-Jahren, Mitte der 90er-Jahre ganz groß und man hat wahnsinnig viel Geld verdient und so und natürlich gleichzeitig auch versucht, das mit Inhalt, mit zusätzlichem Inhalt zu füllen. Der Vorwurf war ja immer, das sei reiner Hedonismus und das sei alles so doof und so und die Musik sei so stumpf. Und das kann man natürlich auch so sehen. Man kann das aber auch sehen als einen großen Spaß. Und gegen einen Spaß ist ja eigentlich auch im Leben, in der Welt, in der wir sind, auch mal nichts zu sagen. Also man muss ja auch mal sich amüsieren.

Aber natürlich gab es auch da Versuche, das mit Inhalt und Leben zu füllen. Ich erinnere nur an die Love-Parade, wo man also über diese Demonstration zwar irgendwie Friede, Freude, Eierkuchen – eigentlich auch so ein Hippie-Ding auch bringen wollte und so ein Liebesding daraus machte. Und das ist im Grunde genommen die Anlehnung an die ganze psychedelische Zeit, so '67 und so weiter. Also auch über die Drogengeschichte, LSD spielte ja auch eine große Rolle bei Rave, oder verwandte Drogen, wie eben Ecstasy und so. Aber natürlich auch Koks und der ganze übliche Kram – also Drogen spielten eine große Rolle, und es lag natürlich für viele nahe, da auch eine Parallele zu sehen.

Was wir hier haben, sind zwei Leute, nämlich Raimund und Ferdi, die beide zusammen dieses Label betreiben. Und der eine ist auch 15 Jahre älter oder was als der andere und war schon bei '68 dabei und '67 und in der ganzen Zeit und sagt, das war auch nie das, was ihr dachtet. Aber wir sollten der Sache auch hier so einen Inhalt geben, dass die Leute das Gefühl haben, es ist mehr als einfach nur, dass man Party macht, denn sonst wird uns das irgendwann wieder in sich zusammenfallen, und das wäre schade.

Und das ist, glaube ich, so ungefähr der Ansatz, den sie da so haben. Außerdem haben sie einfach auch Lust, Unsinn und Quatsch zu machen und durch die Gegend zu touren. Und sie haben ein neues kleines Label aufgemacht, wo so eher so Nachwuchskünstler drauf sind, die etwas exzentrischere elektronische Musik machen, das sie nach vorne bringen wollen. Sie wollen ein bisschen Aufmerksamkeit beziehungsweise auch Promo haben. Und so weiter! Und so kommt das alles zusammen, nicht?

"Regener liest aus "Magical Mystery""
Scholl: "Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt", so heißt der neue Roman von Sven Regener, ab heute erhältlich, und Sven Regener ist bei uns im Deutschlandradio Kultur zu Besuch. Und Karl eben, Karl Schmidt, wird der Fahrer, der Busfahrer der Tour, ganz clever engagiert von eben Raimund und Ferdi, weil Karl ja keinerlei Drogen nehmen darf, und so den Laden oder den Hühnerhaufen zusammenhalten soll, und das wird eine ziemliche Prüfung. Einen kleinen Appetithappen wollen wir haben jetzt von Ihnen, Herr Regener, ein Minütchen aus dem Roman wollen Sie uns zunächst vorlesen, als Soundcheck sozusagen, damit wir wissen, wie dieses Buch klingt. Sie lesen uns was, wie die Tour beginnt.

Regener: Ja, das ist eben auch eine Ich-Erzählung von diesem Karl Schmidt, das war mir auch wichtig, weil ich glaube, das das gut ist – weil der auch so ein sprachgewaltiger Freak eigentlich immer war. Dass man das hinterher seine eigenen Worte findet für die Sachen, nicht? Das ist Kapitel 24 und heißt "Omelette".

Irgendwann war die letzte Suppe gegessen und die letzte Schale grünen Tees getrunken und der letzte Joint vor Fahrtantritt von Ferdi für abgeraucht erklärt und wir gingen unter Raimunds Führung zum Auto, das in der August-Straße stand, und das sagte Raimund auch die ganze Zeit, während er voranlief: August-Straße, August-Straße, so als wollte er mit dem August-Straße-Singsang sicherstellen, dass wir ihm auch ja folgten. Und er rannte voraus und alle anderen mühsam hinterher. Sie hatten außer ihren Reisetaschen und Reisekoffern auch noch Plattentaschen und Plattenkoffer dabei. Da wurde gestöhnt und geächzt und geschnauft wie in Sankt Magnus beim Waldlauf. Das Auto stand halb auf dem Bürgersteig und war ein Mercedes-Transporter von der Heuler & Müller Autovermietung, die man mit einer Plastikhaube um ungefähr 70 Zentimeter nach oben aufgestockt hatte. Das sah ziemlich grotesk aus. Da, rief Raimund und zeigte auf das Auto, das ist der Hammer, Leute, da oben kann man pennen. Da können bis zu vier Leute drin pennen, während der Fahrt. Ich glaube nicht, dass es während der Fahrt erlaubt ist, sagte Dave. Hör mal, Dave, sagte Ferdi, was du glaubst, das interessiert hier keine Sau, das kannst du mir aber glauben. Raimund holte einen Autoschlüssel aus der Tasche und schüttelte ihn, als ob er klingeln könnte, dabei war es ja nur ein einzelner Autoschlüssel, und überreichte ihn dann mit großer Geste mir. Ich hab schon einen, Raimund, sagte ich, von Ferdi bekommen. Dann behalte ich den, sagte Raimund, und nahm ihn wieder an sich. Zur Sicherheit.

Scholl: Danke! Sven Regener. Ein Auszug aus "Magical Mystery". Sein neuer Roman mit dem alten und neuen Helden Karl Schmidt. Dann geht die Tour also los, und, Sie sagten vorhin schon, Sven Regener, ja, Sie waren damals in den 90er-Jahren, kannten viele Leute. Man ist verblüfft bei diesem Buch, auch wenn man Sie als Musiker kennt oder die Musik von Element of Crime, das hat nun mit Techno gar nichts zu tun, wie gut Sie sich auskennen in dieser Szene. Haben Sie da noch mal geguckt, nachgeschaut, mit Leuten gesprochen?

"Angst vor großen Mengen von Leuten"
Regener: Nein. Das kann man nicht so. Also das muss man schon kennen. Ich hab einfach aus privaten Gründen, auch private Geschichten über meine Frau und so weiter haben einfach sehr viel also auch gerade mit den DJs und Leuten, die Label betreiben und so weiter, zu tun gehabt. Und hab mir einfach sehr oft, was ja sowieso für einen wie mich, der auch Angst vor großen Mengen von Leuten hat, also sich nicht da gern reinstellt und so. Perfekt ist eigentlich so, was weiß ich, Backstage-Partys und so, durchaus öfter dabei gewesen. Also, ich kenn die Mayday in Dortmund oder so, ich war dort.

Scholl: Die ganz großen Raves mit Zehntausenden von Leuten.

Regener: Die großen Raves auch und so weiter, das geht schon, auch wenn man eben ansonsten Angst vor großen Massen hat, weil man da eben auch diese extra Backstage-Partys hat, so eine extra Party-Ebene quasi noch mal und so. Das ist alles schon sehr beeindruckend gewesen, weil ich ja auch immer fand, dass auf eine Weise die Raver eben in den 90er-Jahren einfach – und das macht einen dann auch als Rockmusiker schon ein bisschen neidisch – einfach auch die besseren Backstagepartys hatten.

Ich mein, die haben einfach die Sex-and-Drugs-and-Rock'n'Roll-Fahne auf eine Weise party-mäßig ja auch hoch gehalten, während die meisten Rockmusiker ja alle schon auf dem Veganer- oder Vegetarier-Trip waren und eigentlich nur noch so sich überlegten, wie sie am besten Tiere schützen könnten oder so. Was nicht ihre Aufgabe ist, ja?

Eigentlich haben Rockmusiker andere Pflichten, finde ich, und insofern fand ich immer toll, wie sehr die eigentlich sozusagen dieses, und auch das ist ein Verweis auf die 60er-Jahre, als Rockmusik ganz neu war, also, als die Leute auch so plötzlich so reich wurden wie Rolling Stones. Und was sie einfach für Partys machten, was für ein exzessives Ding das war. Und das hat mir immer gut gefallen, das muss ich sagen, fand ich immer toll.

Scholl: Und die Tourerlebnisse, die werden dann natürlich schön schräg und aber so, dieses Rumfahren, die Orte suchen – Navi-Systeme gab es ja noch nicht, da macht man noch mit dem alten, schönen Faltplan sucht man dann die Hallen oder die Hotels. Ich meine, das hat schon ein bisschen so einen Anklang, da hat der Element-of-Crime-Tour-Mensch Regener auch ein bisschen geschrieben. So geht es halt zu auf einer Tour.

"Eigentlich überhaupt nicht machbar als Tournee"
Regener: Na gut, das ist ja das Interessante, also wie letztendlich ja ohnehin auch an einem bestimmten Punkt auch bei den technoiden Musiken, also bei den elektronischen Musikern ja irgendwann auch so Begriffe wie "das rockt" oder so, wie der aufkam, das ist im Grunde genommen die Sehnsucht nach diesem Rock'n'Roll-Ding und auch nach diesem Tournee-Ding. Natürlich auch da, irgendwie auch da ist.

Und ich kannte auch elektronische Musiker, die auch versucht haben, obwohl sie eigentlich mehr so auflegten und so, aber die auch immer vom Spielen sprachen und nicht vom Auflegen oder so und die auch teilweise mit Instrumenten und live eben auch so eine Art live-Geschichte am Laufen hatten und die dann auch Tourneen machten, was natürlich wirklich sehr schwer ist, weil man dann oft sehr, sehr spät erst dran ist.

Also die dann oft erst um zwei oder drei Uhr nachts aufgetreten sind, wenn die Leute eigentlich erst da sind. Was natürlich solche Sachen erschwert und anders ist als in der Rockmusik, zumal so man hinten dann auch noch DJ-Set und sonst was eigentlich – eigentlich überhaupt nicht machbar als Tournee. Aber dieser Versuch eben, das ist eben das Tolle, und das muss man berücksichtigen, aber gleichzeitig gibt es einfach Dinge, die auf Tournee passieren, die sind sozusagen völlig unabhängig davon, was man da für Musik macht. Die passieren einfach.

Scholl: An einer Stelle heißt es, als die Truppe mal durchhängt: freie Tage. Das bricht so einer Tournee das Genick, da kannst du jeden Rocker fragen. Das kennen Sie, nicht?

Regener: Ja, ganz genau. Das ist ja – die Übergänge waren ja und sind ja auch immer fließend gewesen. Das war ja nie – also es gibt natürlich auch diese, wie soll ich sagen, sehr, so quasi stalinistischen Auffassungen, gab es natürlich auch. Und das war ja irgendwie auch toll, weil man sich abgrenzen wollte, dass die Techno-Leute sagten: No more fucking Rock'n'Roll, zum Beispiel, also jetzt so eine Low-Spirit und Westbam-Parole, aber die natürlich oft auch das genaue Gegenteil von dem gemacht haben. Weil es auch alles nicht so ernst ist.

Und letztendlich sind wir alle Musiker, und das Interessante ist eben, dass dieser Austausch auch immer da war. Sehr viele Leute, die später elektronische Musik und einfach deutschen Dance gemacht haben in der einen oder anderen Form, waren vorher auch Rockmusiker. Auch viele Veranstalter und Label-Leute kamen eigentlich natürlich aus der Rockmusik, weil das ja auch eine ganz neue Sache war, die sich erst im Laufe der 80er-Jahre langsam entwickelte. Und die hatten ja vorher auch schon ein Leben.

Scholl: Das Buch hat neben all dem Spaß und den vielen schrägen, skurrilen Erlebnissen auch einen, wie ich finde, sehr melancholischen Grundton. Also die Label-Chefs, haben Sie schon gesagt, die sind ja auch schon älter als ihre jungen Rave-Hüpfer-Stars, und an einer Stelle sagt der Ferdi: Dass man später mal erzählen kann, ja, ich war dabei. Das war toll. Weil wir jung waren und doof und weil wir Spaß hatten. Und dann, so ein bisschen leise: Ich will, dass irgendwas bleibt. Ich hatte da das Gefühl, darum geht es Ihnen, Sven Regener, in diesem Buch, oder? Dass was bleibt von dieser Zeit vielleicht, oder.

"Ein Sprung in der Schüssel"
Regener: Och, ja, weiß ich auch nicht. Ich wollte einfach nur diese Geschichte – ich fand die gut, ich hatte mir die so ausgedacht, und das ist bei mir auch klar, da wird eine Menge Lustiges und Interessantes passieren, aber allein durch die ganze Perspektive, dass es ja eigentlich erzählt wird von Karl Schmidt, der ja nun auch selber so eine Art von Vergangenheit hat, der sich mal unbesiegbar fühlte und lebte wie jemand, der so ist. Und der aber ja nun richtigen – also im Gegensatz zu Ferdi oder eben Raimund, einen richtigen Einschnitt in seinem Leben hatte, nämlich, dass er wirklich was irre geworden ist und in die Klapse musste und das auch so sieht, dass das sein musste.

Und nicht glaubt, dass das irgendwie jetzt ein Fake war oder so, und der entsprechende, diese entsprechende Verletzung mit sich rumträgt und der auch nie wieder richtig heil wird. Also wie jemand – wie ein Sprung in der Schüssel. Den kann man kitten, den kann man kleben, die Schüssel ist dann auch wieder ganz und man kann auch wieder was rein tun, aber es ist ein Sprung in der Schüssel. Und so agiert er und aus dieser Position heraus erzählt er ja auch. Und das ist im Grunde genommen natürlich auch die Geschichte von Leuten, die schon ein bisschen länger dabei sind und sehen, dass da etwas läuft, zu dem sie auch nur noch teilweise Zugang haben. Also auch so eine rotzige Haltung wie diese Hosty Bros, die es dort gibt, diese –

Scholl: Hosty Bros, das sind die Stars …

Regener: Holger und Basti, die neuen Stars quasi, die jetzt gerade ganz frisch einen Hit haben, und die nur Quatsch machen die ganze Zeit. Und dieser Basti ist dauernd zu betrunken, um aufzutreten und so. Also, so was können Sie sich halt – machen sie natürlich nicht mehr. Und das ist nicht nur – nicht eigentlich nostalgisch, sondern es ist einfach auch so ein Begreifen von Vergänglichkeit. Und Ferdi wiederum ist so lange schon dabei, dass es ja schon sein zweiter Frühling ist.

Scholl: Aber so ganz leicht will ich Sie da nicht vom Haken lassen. Ich glaube, wenn Literaturwissenschaftler irgendwann mal anfangen, Doktorarbeiten über ihre Romane zu schreiben, dann wird das ungefähr so gehen, dass man sagt, ja, die Lehmann-Romane, das sind auch so Soziogramme, das sind Schilderungen vom Milieu der 80er-Jahre in West-Berlin bis zum Mauerfall, und mit diesem Roman hab ich wirklich so das Gefühl, da wiederbeleben Sie so die Atmosphäre dieser – diese fiebrige Rave-Techno-Zeit, auch mit den Figuren, auch mit den Orten, wo sie auftreten. Am Ende kommt ein großer Mega-Rave, von dem erzählt wird. Und da haben ich schon das Gefühl, dass es Ihnen auch ein bisschen auch darum geht, Zeit einzufangen, oder?

Regener: Ja, zumindest – na, es ist so: Also so wie man bei "Neue Vahr Süd" nicht sagen könnte, es ist ein Roman über die Bundeswehr. Aber es ist halt ein Roman, der zum großen Teil bei der Bundeswehr spielt und daraus auch seine Dynamik bezieht.

Scholl: Ja, aber in 20 Jahren werden junge Menschen die "Neue Vahr Süd" lesen und sagen, Mensch, guck mal an, damals musste man noch zur Bundeswehr …

Regener: Heute schon!

Scholl: … und Sven Regener erzählt uns, wie es damals war.

"Mir ging es darum, was dieser Karl Schmidt [macht]"
Regener: Heute schon, und natürlich ist dieser Aspekt, ist ja auch richtig. Aber es ist kein Rave-Roman, es ist eben kein Techno-Roman. Sondern es ist eigentlich – es ist kein Roman, den ich geschrieben habe, um in erster Linie das zu erzählen. Das machen andere und auch zu Recht. Rainald Götz, "Rave" zum Beispiel, großartiges Buch. Rainer Schmidt, "Liebestänze". Das sind Bücher von Leuten, die sozusagen – denen es vor allem darum geht, das auch zu zeigen.

Bei mir geht es eigentlich darum, dass das ein Hintergrund ist, der dazu führen kann, dass zwischen diesen Leuten extrem viel passiert. Ich bin sehr stark auf den einzelnen bezogen eigentlich bei diesen Romanen, das merke ich schon. Mir ging es darum, was dieser Karl Schmidt – Karl Schmidt sieht das ja auch als jemand, der nicht dabei ist. Der nicht dabei sein kann, nicht dabei sein darf und der auch wie fünf Jahre im Koma gelegen, sozusagen überhaupt nicht mitbekommen hat, was da in der Zwischenzeit gelaufen ist. Warum das ja auch bis zum Ende er auch so ein Staunen sich erhalten kann, also zum Beispiel, wo er dann in diese große Halle kommt, nachdem sie vorher diesen ganzen Pipifax gemacht haben in diesem und jenem Club, kommt er plötzlich in diese Halle und sieht da 20.000 Leute, die abfahren auf irgendwie die Bumm-Bumm-Musik von diesen Freaks, die er die ganze Zeit sozusagen im Hofbräuhaus vom Kotzen abhält und – also, wo er die ganzen banalen Sachen macht und wo er plötzlich sieht, was das für eine Bedeutung hat.

Und diesen Effekt, den finde ich toll. Ich hab mich schon bei "Herr Lehmann" dagegen gewehrt, dass – es gab den Versuch damals vom Verlag, das einen Berlin-Roman zu nennen, wo ich sagte, ich kann keinen, ich schreibe keine Romane über Städte. Ich kann nur über konkrete Menschen schreiben. Und so ist es hier auch. Also, es ist so eine ambivalente Sache. Es ist so ein widersprüchliches Verhältnis zwischen dem einen und dem anderen.

Scholl: Es ist mit knapp über 500 Seiten ein Mordsroman geworden. Fiel es Ihnen leicht, den zu schreiben, sind Sie dafür extra in Klausur gegangen?

Regener: Na gut, ich gehe immer in Klausur auf eine Weise. Wenn ich an einem Roman geschrieben hab, dann habe ich mir in der Zeit nichts anderes ausgedacht. Also ich konnte nicht gleichzeitig an einem Roman schreiben und mir Songtexte ausdenken zum Beispiel. Musik vielleicht, das ist aber was anderes, weil es so abstrakt und so eine andere Welt ist. Aber ich hab auch zwischendurch mal Pause machen müssen. Wir haben diesen Film gemacht, Leander und ich, "Hai-Alarm am Müggelsee", da haben wir dann, was weiß ich, über die sechs Wochen, die wir gedreht haben, konnte ich natürlich keinen Roman schreiben. Aber im Grunde genommen, ja, es hat eineinhalb Jahre gedauert.

Also man – das Entscheidende ist ja, dass man auch über den Stil der Sache und so in diese Stimmung hineinkommt. Und sich in diese Augen, in diese ganze Gedankenwelt von diesem Karl Schmidt versetzt, denn ich habe es nicht umsonst als Ich-Erzählung geschrieben, im Unterschied ja auch zu den Lehmann-Romanen, die ja in der dritten Person geschrieben sind. Weil mir auch wichtig war, dass man den wahrscheinlich noch mal vorgelagerten Filter dessen, wie Karl Schmidt die Sache erzählen würde, noch mal dzu bringt. Also nicht nur, wie er die Sache sieht, sondern was er davon auch preisgibt.

Scholl: Wie es ausgeht, verraten wir natürlich nicht, aber es ist ein Ende, bei dem man als Regener-Leser schon wieder gierig wird, weil es weitergehen könnte. Das ist erst mal Zukunftsmusik. Jetzt beugen wir uns über diesen Roman und hören noch eine Passage. Sie haben sich noch eine ausgesucht, ein Kapitel mit der schönen Überschrift "Nazi-Scheiße".

Regener: Ja. Das ist auch recht kurz.

Scholl: Da sind die auf Tour, die Jungs, nicht?

Regener: Das ist Kapitel 37, und es heißt "Nazi-Scheiße", genau.

Vielleicht sollten wir zu den Externsteinen fahren, sagte Schöpfi, als wir an Osnabrück vorbeikamen. Er schaute dabei oben aus dem Dachraum, für den Raimund irgendwo hinter Oldenburg den Namen "Komabrett" gefunden hatte, während er die Koffer und Taschen, die wir in Bremen oben in eben dieses Komabrett hineingestopft hatten, weil Lolek und Bolek mit ihrem neuen Riesenkäfig den Kofferraum jetzt ganz für sich brauchten, alle wieder herausgeräumt hatte, weil er auch mal aufs Komabrett wolle und nicht immer nur Schöpfi, wie er hinzugefügt hatte. Schöpfi war schon vor Erreichen der Autobahn in Bremen dort oben verschwunden und jetzt, eineinhalb Stunden später auf der Höhe von Osnabrück war Schöpfi wach und schaute aus dem Komabrett hinaus in meinen Nacken. Ich konnte sein Gesicht groß und rosig im Rückspiegel sehen. Hat Raimund gerade gesagt, Externsteine. Die sollen ja das deutsche Stonehenge sein. Raimund meint, so Magical-Mystery-mäßig würde das voll reinhauen. Kleine Exkursion zu den Externsteinen. Rosa saß zusammen mit Siggi, die an ihrer Schulter schlief, neben mir. Das ist Nazi-Scheiße, sagte sie. Ach so, sagte Schöpfi, und ins Innere des Komabretts hinein wiederholte er: Das ist Nazi-Scheiße, Raimund. Dann lieber nicht, sagte Raimund.

Scholl: Sven Regener, danke schön für Ihren Besuch und diese Probe aus "Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt". So heißt der neue Roman von Sven Regener. Heute erscheint das Buch im Galiani-Verlag mit 500 Seiten zum Preis von 19,99. Und wer es lieber hören will, so wie eben, parallel zum Roman erscheint auch eine Hörbuchfassung.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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