Ein Roman aus 400 Zetteln

Von Georg Gruber · 28.02.2013
"Wir zwei allein" heißt der Debüt-Roman von Matthias Nawrat. Er wurde 1979 in Opole in Polen geboren, kam mit seinen Eltern als 10-Jähriger nach Deutschland und lebt inzwischen in Berlin. Für seinen Erstling erhält er nun in München den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis.
Der erste Eindruck: Der Mann ist groß. 1 Meter 97. Groß wie ein Basketballspieler. Das war auch mal seine Leidenschaft, doch Matthias Nawrat hat sie nicht weiter verfolgt. Eine von vielen Entscheidungen im Leben. In seinem ersten Roman "Wir zwei allein" hat der Ich-Erzähler genug von solchen Lebensentscheidungen, er will nicht mehr mitspielen im allgemeinen Wettlauf um die steilste Karriere, das schönste Haus, die begehrenswerteste Frau.

"Ich werde im nächsten Jahr 30 und es gilt, Vorbereitungen zu treffen: Besitz abstoßen, Bekanntschaften einschränken, jede Tätigkeit in Anführungsstriche setzen. Es sind die anderen, die arbeiten, erziehen, sparen. Unsereins sinkt in die Geschichte zurück wie ein Stein. Nur in der Geschichte hat unsereins Platz. Heute gibt es für unsereins nur eins: durchhalten. Sich still verhalten. Bloß nicht recht behalten."

Er zieht sich zurück. Und verliebt sich dann doch noch einmal, in Theres. Zu der er dann aber keine tragfähige Beziehung aufbauen kann. Matthias Nawrat hat eine Geschichte über die Liebe geschrieben, über Illusionen und Träume, die sich am besten nicht erfüllen – und der 33-Jährige hat auch so etwas wie einen Kommentar zu unserer Zeit verfasst:

"Ich lebe in einer Zeit, wo ich mir alles kaufen kann, wo ich alles studieren kann, was ich möchte, wo ich beruflich, wenn ich mich anstrenge, alles machen kann, was ich möchte, wo einfach auch das Angebot im Bereich Beziehungen sehr groß ist, und wo eher das Problem ist, wofür entscheide ich mich, was will ich eigentlich. Mir ist zwar alles möglich, aber wer sagt mir, was ich will? Und unter dieser Situation hab ich oft gelitten, und deswegen habe ich überhaupt an diesem Text weiter geschrieben, weil ich das Gefühl hatte, das berührt etwas in mir, das ich kenne, was ich vielleicht in meinem eigenen Leben nicht so verwirklicht habe, aber was ich nachvollziehen kann."

Im Unterschied zu seinem Ich-Erzähler hat sich Matthias Nawrat nicht in ein kleines Haus im Schwarzwald zurückgezogen. Seit Sommer 2012 lebt er mit seiner Freundin, die auch Schriftstellerin ist, in Berlin Wedding.

Geboren wurde er 1979 in Polen, in Opole. Als er zehn ist, verlassen seine Eltern mit ihm und seinem Bruder das Land und ziehen nach Bamberg.

"Im Nachhinein muss ich sagen, verlief alles scheinbar reibungslos, aber natürlich haben meine Eltern sehr viel Wert darauf gelegt, meinem Bruder und mir eine gute Integration zu ermöglichen, indem sie zum Beispiel, bei mir kann man es sehen, sie haben meinen Vornamen geändert, von Maciej zu Matthias, also in die deutsche Form. Und mit meinem Vater haben wir nur noch deutsch geredet, damit wir es schneller lernten. Und sie haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir viel lesen auf Deutsch. Ich denke, wir haben uns von unserer Seite aus gut integriert, aber auch wurden wir sehr gut integriert von anderen, von deutschen Familien."

Schon als Jugendlicher beginnt er zu schreiben, auf Deutsch. Ihn faszinieren der Klang und das Aussehen der Wörter, bis heute.

"Sprache ist wichtig, das merke ich wirklich, wenn ich im Ausland bin, wo nicht Deutsch gesprochen wird, da merke ich dann richtig, dass Deutsch oder Polnisch, die Heimat ist."

Nach dem Abitur studiert er Biologie, zuerst in Heidelberg, dann in Freiburg. Doch er merkt bald, dass ihn das Studium nicht wirklich fesselt. Und entscheidet sich fürs Schreiben. Er hätte sich auch für ganz anderes entscheiden können, für die Musik. Er spielt Bass, Schlagzeug, Gitarre. Schreibt Lieder. Tritt auf, alleine und mit Bands. Jazz, Rock, Blues.

"Ich glaub einfach, ich hab gemerkt, dass mir jeglicher Dilettantismus da wirklich weh tut, und dass ich aber über den Dilettantismus nicht drüber komme, wenn ich nicht wirklich mich ganz aufopfere für die Musik, und da war mir das Schreiben einfach wichtiger, die Musik wurde immer mehr zu einer Verpflichtung, aber es war keine Herzenssache mehr."

Was er wirklich will ist, schreiben, schreiben, schreiben. Mit der Hand. Am besten täglich und gleich am Morgen, bevor der Tag von einem Besitz ergreift. Die Wörter kommen aus ihm heraus, scheinbar wie von selbst, erst in einem zweiten Schritt formt und komprimiert er das Material. Harte Arbeit.

"Meistens ist es schon so , dass ich mehr Material habe, als dann am Ende ins Buch kommt, und da tu ich mir sehr schwer, da hab ich mir bei diesem Buch jede Passage verschlagwortet und so auf Zetteln auf die Wand gehängt, da hatte ich irgendwie 400 Zettel, man schiebt was hierhin und dorthin und am Ende verstehe ich es selber nicht, wie dann ein Text rauskommt. Also manchmal bin ich so verzweifelt, also eigentlich komme ich da nie mehr raus, aus diesem Chaos, aber bisher hat’s dann immer funktioniert."

Matthias Nawrat kann inzwischen vom Schreiben leben, auch von den Preisen und Stipendien. Gerade arbeitet er an einem autobiografisch gefärbten Familienroman. Und plant erstmals nicht nur auf Verwandtschaftsbesuch in Polen vorbeizuschauen, sondern für längere Zeit dort zu leben und zu schreiben. Wieder eine Entscheidung, die ihn vorwärts bringen wird.

Link zum Thema:
Adelbert-von-Chamisso-Preis
Mehr zum Thema