"Ein Ort der Zukunft"
Dino-Skelette, aufgespießte Käfer - insgesamt 30 Millionen Objekte: Das Museum für Naturkunde in Berlin verfügt über riesige Bestände. Verantwortlich dafür ist ab sofort der neue Generaldirektor Johannes Vogel. Im Interview erklärt er, warum sein Haus "an der Spitze des Fortschritts" steht.
Ulrike Timm: Der größte Dino hat im Naturkundemuseum in Berlin einen eigenen Saal. Anders bringt man das 150 Millionen Jahre alte Skelett einfach nicht unter. Rund 30 Millionen Sammlungsobjekte besitzt das Museum, zugleich ist es wissenschaftliche Forschungsstätte für die allumfassenden natürlichen Zusammenhänge dieser Welt, für Evolutions- und Biodiversitätsforschung.
Keine Kleinigkeit, so unterschiedliche Aspekte unter einen Hut zu bringen! Alte Skelette und aufgespießte Käfer präsentieren, das Publikum – darunter viele Kinder und Jugendliche – dafür zu interessieren, wie all das mit unserer heutigen Welt verbunden ist und zugleich Zukunftsanstöße geben für die wissenschaftlichen Debatten von Klimawandel bis Artenvielfalt: Wer sich all das zusammen vornimmt, der braucht viel Puste!
Johannes Vogel geht das ab heute an als neuer Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin. Von Haus aus ist er Professor für Botanik, das erkennt man nicht zuletzt an seinen wild vegetativen Krawatten, und er kommt aus London nach Berlin vom dortigen Natural History Museum. Ich grüße Sie, guten Morgen, Herr Vogel!
Johannes Vogel: Guten Morgen, Frau Timm!
Timm: 30 Millionen Objekte zur Auswahl! – Haben Sie schon ein Lieblingsobjekt?
Vogel: Ja, aber natürlich! Das ist natürlich Archaeopteryx, der Urvogel, das liegt ja bei mir in der Linie!
Timm: Passend zum Namen ... Naturkundliche Museen, die haben ja jenseits der Dino-Phase von Kindern leicht ein bisschen was Staubiges. Viele Schaubilder mit hundertfach aufgespießten Käfern. Wenn Sie mit jemandem davorstehen und der fragt, was soll mir das erzählen, was antworten Sie dann?
Vogel: Ja, erst mal ist es ja so, dass die tollen Ausstellungen hier im Museum vieles mehr bieten als nur aufgespießte Käfer. Das Museum hat sich in den letzten Jahren ganz klar dahin entwickelt, nicht nur die natürliche Vielfalt in all ihrer Schönheit und Diversität zu zeigen, sondern auch zu erklären, welche Prozesse denn dem Ganzen zugrunde liegen und wie man als Laie eben halt diese belebte und unbelebte Umwelt verstehen kann.
Timm: Und wie machen Sie das?
Vogel: Da haben wir ganz hervorragende Mitarbeiter hier in den Ausstellungsabteilungen, die es immer wieder fertigbringen, mit unseren hervorragenden Wissenschaftlern hier im Haus zusammen zu diskutieren, wie das Wissen, was wir produzieren oder was die Welt heute in Computern und in Köpfen hält, dem Publikum gut darstellen können. Also, wir haben zum Beispiel eine ganz tolle Biodiversitätswand, wo Sie von der kleinsten Fliege bis zur einen Meter großen Krabbe alles im Überblick haben können. Also, das kriegen die schon ganz hervorragend hin hier. Und ich würde eben halt Ihre Hörer wirklich dazu auffordern, hier mal vorbeizukommen und sich das alles anzuschauen.
Timm: Eine Biodiversitätswand, was ist das?
Vogel: Was ist Biodiversität: Biodiversität ist die belebte Umwelt, mit der wir diese Welt teilen. Das sind die Wildschweine im Wald, das sind die Fliegen in der Obstschale, das sind die Fische im Meer. Und davon gibt es ungefähr 15 Millionen, vielleicht auch ein paar mehr Arten. Und bis heute haben wir es geschafft, 1,5 Millionen, also ungefähr zehn Prozent dieser Diversität kennenzulernen. Da ist also noch eine große Aufgabe, die da vor uns steht.
Timm: Und habe ich das richtig verstanden: Wenn man die Biodiversität ganz kleinteilig betrachtet, gehören sie alle zusammen: die Fruchtfliege in der Obstschale und das Wildschwein und die Meerestiere?
Vogel: Das ist seit Charles Darwin und dann der von da ausgehenden Evolutionsforschung ganz klar: Alles zusammen hat einen Ursprung, ja.
Timm: Sie haben allein eine Viertelmillion Gläser mit Tieren in Alkohol und jedes erzählt von den Zusammenhängen der Natur?
Vogel: Ja. Jedes einzelne unserer 30 Millionen Objekte erzählt eine Geschichte. Die Sache ist nur, ob wir genügend Zeit haben oder ob die Welt genügend Zeit hat, all diese Geschichten zu entdecken. Da arbeiten wir hart dran mit vielen Kollegen in der ganzen Welt. Ja, da haben wir noch einiges zu tun.
Timm: Sie, Herr Vogel, sind ja in London oft aus dem Museum auch herausgegangen, aus dem Naturmuseum, und zu den Bürgern hin, zum Beispiel in ein sehr ärmliches Stadtviertel, um zu erkunden, was den Menschen da die Bäume bedeuten. Was haben Sie da herausgefunden?
Vogel: Das ist ein Projekt, was wir auch weiter verfolgen werden. Also, ich habe ja meine Kollegen und Kontakte in London noch. Das war wirklich eine der spannendsten Sachen. Wir haben sehr erfolgreich im Internet und auch im Rundfunk ein Projekt durchgeführt, wo wir die Londoner Bevölkerung oder die englische Bevölkerung aufgefordert haben, Stadtbäume zu kartieren, und dann haben wir uns gedacht: Bäume, CO2, Klimawandel, das sind eben halt Sachen, die alle Menschen interessieren. Das haben wir gedacht. Und dann habe ich einen Bekannten gehabt, der eine dieser Sozialwohnungsgesellschaften leitete, und dann haben wir darüber gesprochen, wie wir das zusammen machen können, um mal mit den Leuten, die in diesen Wohnungen leben, über Biodiversität zu reden oder über Bäume und Klimaschutz. Und die haben gesagt, Bäume, die interessieren uns eigentlich nicht. Was uns da interessiert, ist, dass die Bäume Laub abwerfen, das auf unseren Autos landet oder auf dem Gehsteig liegt, dass es da Wurzeln gibt, die die Bordsteine hochheben, und dass es da Vögel gibt, die auf den Bäumen sitzen und auf unsere Autos sonst was machen.
Timm: Was bedeuten solche Erlebnisse, was bedeutet solche Außenarbeit für Ihre Arbeit im Naturkundemuseum?
Vogel: Ziemlich viel. Das heißt, dass wir uns wirklich genau überlegen müssen, was die Leute, mit denen wir kommunizieren wollen, eigentlich an Bedürfnissen haben, was deren Voraussetzungen sind, um sich Natur und Wissenschaft zu nähern. Und deswegen müssen wir uns auf die verschiedenen Arten des Umgangs mit den Menschen, die wir erreichen wollen, umstellen und einstellen.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit dem neuen Generaldirektor des Naturkundemuseums Berlin Johannes Vogel. Und dieses Museum ist zugleich Forschungsstätte. Herr Vogel, welches ist denn die größte wissenschaftliche Herausforderung für Sie?
Vogel: Also, wir arbeiten an drei ganz großen Fragestellungen: Die eine große Fragestellung ist für mich, was gibt es auf der Welt in der belebten Umwelt und wie kriegen wir es raus, was mit uns diese Welt teilt? Zweitens, was sind die dynamischen Zusammenhänge, evolutionsbiologischen Zusammenhänge, die alles dieses zusammenhalten? Und drittens, die Erde ist ja auch ein System, es gibt hier dynamische Prozesse in der Erde, und was sind diese dynamischen Prozesse, die in der Erde selbst als geologische Formation stattfinden, auch im Zusammenhang mit extraterrestrischen Events wie Meteoriteneinschlägen und so weiter und so fort? Das sind die drei großen Fragen.
Timm: Das sind zum großen Teil Zukunftsthemen. Warum ist ausgerechnet ein Museum oder zumindest ein angeschlossenes Museum für solche Wissenschaftsdebatten der Zukunft der rechte Ort?
Vogel: Das sind wir schon immer gewesen. Ein Museum ist ein Ort der Zukunft, nicht ein Ort der Vergangenheit. Was man braucht, um die Welt zu verstehen, ist zum einen das Wissen, was man im Kopf transportiert, und zum Zweiten ein Archiv, mit dem man das, was man lernt, vergleichen kann, in Zusammenhang setzen kann und auch verifizieren kann. Und das sind wir. Wir sind eine sehr, sehr moderne wissenschaftliche Einrichtung in einer sehr modernen Stadt – Berlin – in einem sehr modernen Land – Deutschland – und deswegen stehen wir meiner Ansicht nach mit an der Spitze des Fortschritts.
Timm: Ihr größter Traum ist eine Biodiversitätsentdeckungsfabrik. Das habe ich jetzt abgelesen. Was ist das und kann man in Berlin den Grundstein dafür lesen?
Vogel: Ich hoffe, dass wir das können in Berlin. Es geht darum, dass – wie ich ja schon gesagt habe – wir 300 Jahre bisher gebraucht haben, um 15 Prozent der Artenvielfalt der Welt zu entdecken. Heute gibt es die technischen Möglichkeiten, das alles zu verbessern, heute setzt die Industrie in verschiedenen Branchen verschiedene Techniken ein, in der Medizin, in der Logistik, in der Computertechnologie gibt es verschiedene Technologien, die, wenn man sie alle zusammenbringt und auf Biodiversität ansetzt, man alle dafür einsetzen kann und die Prozesse vereinfachen und automatisieren kann. Sodass wir die große Herausforderung, was gibt es auf dieser Welt, wirklich einmal erledigen können. Und wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass wir derzeit im Zeitalter des größten Aussterbens in der Geschichte der Erde sind. Und die Ursache für dieses große Artensterben sind wir als Menschen.
Timm: Lassen Sie uns noch mal zurückkommen auf Ihre Vorstellung von einem Museum, das ein lebendiger Ort für Bürger ist: Sie haben rund eine halbe Millionen Besucher im Jahr im Naturkundemuseum. Fast die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche. Und Sie haben selbst zwei Kinder, Ihre Frau ist ausgewiesene Biologin und Tomatenforscherin. Steht da jede Idee des Museumsdirektors Vogel sofort im familiären Praxistest?
Vogel: Ja, wir praktizieren das, wir machen viel mit unseren Kindern draußen und Kinder saugen so etwas ja auch auf. Beide, meine Frau und ich, wir haben beide Eltern gehabt, die sich sehr für Natur interessiert haben, wir sind also von daher auch schon vorgeprägt und wir möchten das gerne an unsere Kinder weitergeben.
Timm: Ihre Frau hat – das sei noch erwähnt – den exklusiven Nachnamen Darwin und ist die Ururenkelin des großen Charles. Man kriegt sozusagen jetzt Kompetenz im Doppelpack!
Vogel: Aber hallo, ja, ja. Und die sind wir auch gerne bereit, mit anderen zu teilen und andere dafür zu begeistern.
Timm: Johannes Vogel war das, der neue Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin. Ich danke Ihnen herzlich fürs Gespräch und ich wünsche Ihnen alles Gute, toi, toi, toi!
Vogel: Danke schön, Frau Timm!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Keine Kleinigkeit, so unterschiedliche Aspekte unter einen Hut zu bringen! Alte Skelette und aufgespießte Käfer präsentieren, das Publikum – darunter viele Kinder und Jugendliche – dafür zu interessieren, wie all das mit unserer heutigen Welt verbunden ist und zugleich Zukunftsanstöße geben für die wissenschaftlichen Debatten von Klimawandel bis Artenvielfalt: Wer sich all das zusammen vornimmt, der braucht viel Puste!
Johannes Vogel geht das ab heute an als neuer Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin. Von Haus aus ist er Professor für Botanik, das erkennt man nicht zuletzt an seinen wild vegetativen Krawatten, und er kommt aus London nach Berlin vom dortigen Natural History Museum. Ich grüße Sie, guten Morgen, Herr Vogel!
Johannes Vogel: Guten Morgen, Frau Timm!
Timm: 30 Millionen Objekte zur Auswahl! – Haben Sie schon ein Lieblingsobjekt?
Vogel: Ja, aber natürlich! Das ist natürlich Archaeopteryx, der Urvogel, das liegt ja bei mir in der Linie!
Timm: Passend zum Namen ... Naturkundliche Museen, die haben ja jenseits der Dino-Phase von Kindern leicht ein bisschen was Staubiges. Viele Schaubilder mit hundertfach aufgespießten Käfern. Wenn Sie mit jemandem davorstehen und der fragt, was soll mir das erzählen, was antworten Sie dann?
Vogel: Ja, erst mal ist es ja so, dass die tollen Ausstellungen hier im Museum vieles mehr bieten als nur aufgespießte Käfer. Das Museum hat sich in den letzten Jahren ganz klar dahin entwickelt, nicht nur die natürliche Vielfalt in all ihrer Schönheit und Diversität zu zeigen, sondern auch zu erklären, welche Prozesse denn dem Ganzen zugrunde liegen und wie man als Laie eben halt diese belebte und unbelebte Umwelt verstehen kann.
Timm: Und wie machen Sie das?
Vogel: Da haben wir ganz hervorragende Mitarbeiter hier in den Ausstellungsabteilungen, die es immer wieder fertigbringen, mit unseren hervorragenden Wissenschaftlern hier im Haus zusammen zu diskutieren, wie das Wissen, was wir produzieren oder was die Welt heute in Computern und in Köpfen hält, dem Publikum gut darstellen können. Also, wir haben zum Beispiel eine ganz tolle Biodiversitätswand, wo Sie von der kleinsten Fliege bis zur einen Meter großen Krabbe alles im Überblick haben können. Also, das kriegen die schon ganz hervorragend hin hier. Und ich würde eben halt Ihre Hörer wirklich dazu auffordern, hier mal vorbeizukommen und sich das alles anzuschauen.
Timm: Eine Biodiversitätswand, was ist das?
Vogel: Was ist Biodiversität: Biodiversität ist die belebte Umwelt, mit der wir diese Welt teilen. Das sind die Wildschweine im Wald, das sind die Fliegen in der Obstschale, das sind die Fische im Meer. Und davon gibt es ungefähr 15 Millionen, vielleicht auch ein paar mehr Arten. Und bis heute haben wir es geschafft, 1,5 Millionen, also ungefähr zehn Prozent dieser Diversität kennenzulernen. Da ist also noch eine große Aufgabe, die da vor uns steht.
Timm: Und habe ich das richtig verstanden: Wenn man die Biodiversität ganz kleinteilig betrachtet, gehören sie alle zusammen: die Fruchtfliege in der Obstschale und das Wildschwein und die Meerestiere?
Vogel: Das ist seit Charles Darwin und dann der von da ausgehenden Evolutionsforschung ganz klar: Alles zusammen hat einen Ursprung, ja.
Timm: Sie haben allein eine Viertelmillion Gläser mit Tieren in Alkohol und jedes erzählt von den Zusammenhängen der Natur?
Vogel: Ja. Jedes einzelne unserer 30 Millionen Objekte erzählt eine Geschichte. Die Sache ist nur, ob wir genügend Zeit haben oder ob die Welt genügend Zeit hat, all diese Geschichten zu entdecken. Da arbeiten wir hart dran mit vielen Kollegen in der ganzen Welt. Ja, da haben wir noch einiges zu tun.
Timm: Sie, Herr Vogel, sind ja in London oft aus dem Museum auch herausgegangen, aus dem Naturmuseum, und zu den Bürgern hin, zum Beispiel in ein sehr ärmliches Stadtviertel, um zu erkunden, was den Menschen da die Bäume bedeuten. Was haben Sie da herausgefunden?
Vogel: Das ist ein Projekt, was wir auch weiter verfolgen werden. Also, ich habe ja meine Kollegen und Kontakte in London noch. Das war wirklich eine der spannendsten Sachen. Wir haben sehr erfolgreich im Internet und auch im Rundfunk ein Projekt durchgeführt, wo wir die Londoner Bevölkerung oder die englische Bevölkerung aufgefordert haben, Stadtbäume zu kartieren, und dann haben wir uns gedacht: Bäume, CO2, Klimawandel, das sind eben halt Sachen, die alle Menschen interessieren. Das haben wir gedacht. Und dann habe ich einen Bekannten gehabt, der eine dieser Sozialwohnungsgesellschaften leitete, und dann haben wir darüber gesprochen, wie wir das zusammen machen können, um mal mit den Leuten, die in diesen Wohnungen leben, über Biodiversität zu reden oder über Bäume und Klimaschutz. Und die haben gesagt, Bäume, die interessieren uns eigentlich nicht. Was uns da interessiert, ist, dass die Bäume Laub abwerfen, das auf unseren Autos landet oder auf dem Gehsteig liegt, dass es da Wurzeln gibt, die die Bordsteine hochheben, und dass es da Vögel gibt, die auf den Bäumen sitzen und auf unsere Autos sonst was machen.
Timm: Was bedeuten solche Erlebnisse, was bedeutet solche Außenarbeit für Ihre Arbeit im Naturkundemuseum?
Vogel: Ziemlich viel. Das heißt, dass wir uns wirklich genau überlegen müssen, was die Leute, mit denen wir kommunizieren wollen, eigentlich an Bedürfnissen haben, was deren Voraussetzungen sind, um sich Natur und Wissenschaft zu nähern. Und deswegen müssen wir uns auf die verschiedenen Arten des Umgangs mit den Menschen, die wir erreichen wollen, umstellen und einstellen.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit dem neuen Generaldirektor des Naturkundemuseums Berlin Johannes Vogel. Und dieses Museum ist zugleich Forschungsstätte. Herr Vogel, welches ist denn die größte wissenschaftliche Herausforderung für Sie?
Vogel: Also, wir arbeiten an drei ganz großen Fragestellungen: Die eine große Fragestellung ist für mich, was gibt es auf der Welt in der belebten Umwelt und wie kriegen wir es raus, was mit uns diese Welt teilt? Zweitens, was sind die dynamischen Zusammenhänge, evolutionsbiologischen Zusammenhänge, die alles dieses zusammenhalten? Und drittens, die Erde ist ja auch ein System, es gibt hier dynamische Prozesse in der Erde, und was sind diese dynamischen Prozesse, die in der Erde selbst als geologische Formation stattfinden, auch im Zusammenhang mit extraterrestrischen Events wie Meteoriteneinschlägen und so weiter und so fort? Das sind die drei großen Fragen.
Timm: Das sind zum großen Teil Zukunftsthemen. Warum ist ausgerechnet ein Museum oder zumindest ein angeschlossenes Museum für solche Wissenschaftsdebatten der Zukunft der rechte Ort?
Vogel: Das sind wir schon immer gewesen. Ein Museum ist ein Ort der Zukunft, nicht ein Ort der Vergangenheit. Was man braucht, um die Welt zu verstehen, ist zum einen das Wissen, was man im Kopf transportiert, und zum Zweiten ein Archiv, mit dem man das, was man lernt, vergleichen kann, in Zusammenhang setzen kann und auch verifizieren kann. Und das sind wir. Wir sind eine sehr, sehr moderne wissenschaftliche Einrichtung in einer sehr modernen Stadt – Berlin – in einem sehr modernen Land – Deutschland – und deswegen stehen wir meiner Ansicht nach mit an der Spitze des Fortschritts.
Timm: Ihr größter Traum ist eine Biodiversitätsentdeckungsfabrik. Das habe ich jetzt abgelesen. Was ist das und kann man in Berlin den Grundstein dafür lesen?
Vogel: Ich hoffe, dass wir das können in Berlin. Es geht darum, dass – wie ich ja schon gesagt habe – wir 300 Jahre bisher gebraucht haben, um 15 Prozent der Artenvielfalt der Welt zu entdecken. Heute gibt es die technischen Möglichkeiten, das alles zu verbessern, heute setzt die Industrie in verschiedenen Branchen verschiedene Techniken ein, in der Medizin, in der Logistik, in der Computertechnologie gibt es verschiedene Technologien, die, wenn man sie alle zusammenbringt und auf Biodiversität ansetzt, man alle dafür einsetzen kann und die Prozesse vereinfachen und automatisieren kann. Sodass wir die große Herausforderung, was gibt es auf dieser Welt, wirklich einmal erledigen können. Und wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass wir derzeit im Zeitalter des größten Aussterbens in der Geschichte der Erde sind. Und die Ursache für dieses große Artensterben sind wir als Menschen.
Timm: Lassen Sie uns noch mal zurückkommen auf Ihre Vorstellung von einem Museum, das ein lebendiger Ort für Bürger ist: Sie haben rund eine halbe Millionen Besucher im Jahr im Naturkundemuseum. Fast die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche. Und Sie haben selbst zwei Kinder, Ihre Frau ist ausgewiesene Biologin und Tomatenforscherin. Steht da jede Idee des Museumsdirektors Vogel sofort im familiären Praxistest?
Vogel: Ja, wir praktizieren das, wir machen viel mit unseren Kindern draußen und Kinder saugen so etwas ja auch auf. Beide, meine Frau und ich, wir haben beide Eltern gehabt, die sich sehr für Natur interessiert haben, wir sind also von daher auch schon vorgeprägt und wir möchten das gerne an unsere Kinder weitergeben.
Timm: Ihre Frau hat – das sei noch erwähnt – den exklusiven Nachnamen Darwin und ist die Ururenkelin des großen Charles. Man kriegt sozusagen jetzt Kompetenz im Doppelpack!
Vogel: Aber hallo, ja, ja. Und die sind wir auch gerne bereit, mit anderen zu teilen und andere dafür zu begeistern.
Timm: Johannes Vogel war das, der neue Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin. Ich danke Ihnen herzlich fürs Gespräch und ich wünsche Ihnen alles Gute, toi, toi, toi!
Vogel: Danke schön, Frau Timm!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.