Ein Meilenstein für die Brecht-Rezeption

07.12.2010
Bertolt Brecht trug immer ein Notizbuch bei sich, um wichtige Einfälle festhalten zu können. Dem interessierten Leser bieten die Hefte, die nun nach und nach publiziert werden, viele bedeutsame Details, um Brechts Werk besser zu verstehen - und neu zu lesen.
"hier ist eine welt, / sie ist / in unordnung. / wer also ist bereit + / ordnet sie?", notiert Bertolt Brecht in seinem Notizbuch. Es handelt sich dabei um einen Szenenentwurf zu einem Stück über Rosa Luxemburg, das Fragment blieb. Der Eintrag findet sich im Notizbuch 24, einem schwarzen Efalinheft, das Brecht auf der linken Heftseite mit einer roten 'acht' nummeriert hat. Auf der gegenüberliegenden Seite steht das Wort "fatzer". Auf dieses ebenfalls Fragment gebliebene Stück, mit dem sich Brecht von 1927 bis 1930 beschäftigt hat, beziehen sich auch die ersten Eintragungen dieses Notizbuches.

Ebenfalls mit rotem Stift hat Brecht in das Notizbuch 25 eine 'neun' eingetragen. Es ist auf der gegenüberliegenden Seite mit "mai 1929 / berlin" datiert. Seinen Namen hat Brecht auf dieser Seite später ausradiert. Beide Hefte sind Bestandteil des 7. Bandes, der nun in der von der Otto Wolff-Stiftung geförderten Edition von Brechts Notizbüchern als erster Band erschienen ist.

Brecht trug immer ein Notizbuch bei sich, um wichtige Einfälle festhalten zu können. Man sieht den Büchern an, wie häufig sie gebraucht wurden, und die Knickfalten verweisen darauf, dass sie in der Jackentasche Platz finden mussten. Insgesamt sind aus dem Zeitraum von 1918 bis zu Brechts Tod im Jahr 1956 vierundfünfzig Notizbücher und Notizblöcke erhalten.

Brecht hat seine Notizbücher als Arbeitsbücher verstanden. Aber sie dienten ihm auch als Merkzettel für Adressen oder Telefonnummern, die er in den Notizbüchern ebenso festgehalten hat wie Verse, Briefentwürfe oder Gedichtzeilen. So stößt man im Notizbuch 24 auf die ersten Überlegungen zu dem Gedicht "Singende Steyrwagen" von 1928. In diesem Gedicht lobt Brecht die noble Automarke, von der er als Dank ein Steyr Auto erhält. Allerdings musste er, wie aus den Erläuterungen zu erfahren ist, noch mindestens 750 Mark zuzahlen, für die der Ullstein-Verlag eine Bürgschaft ausstellte.

Nicht nur an dieser Stelle kommentieren die beiden Herausgeber äußerst akribisch, was man über die Zusammenhänge der von Brecht vorgenommenen Eintragungen wissen muss. Erst dadurch aber werden viele Fragmente zu bedeutsamen Details. Der Wert der Notizbücher liegt auf der Hand: Sie erlauben einen Einblick in Brechts Werkstatt und machen mit seiner Arbeitsweise vertraut.

So hat Brecht das Gedicht "Das Zehnte Sonett" mit der letzten Strophe begonnen und sich dann schreibend bis zum Gedichtanfang vorgearbeitet. Die erste Zeile des Gedichts "ich wünsche nicht daß diese welt mich liebt" war – so jedenfalls legt es die Chronologie der Niederschrift nahe – nicht der Ausgangspunkt des im Juni/ Juli 1928 entstandenen Gedichts.

Die Veröffentlichung der Notizbücher war innerhalb der Brecht Edition lange ein Desiderat. Dass nun der erste von insgesamt 13 Bänden vorliegt, muss als ein weiterer Meilenstein für die Brecht-Rezeption angesehen werden, wofür den Herausgebern und den Geldgebern gedankt sein soll. Die Notizbücher können als bedeutende Schaltstelle zwischen Autor und Werk gesehen werden. Ihr Erscheinen macht es möglich, Brecht anders und also neu zu lesen.

Besprochen von Michael Opitz

Bertolt Brecht: Notizbücher 24-25 (1927-1930), Band 7
Hrsg. v. Martin Kölbel und Peter Villwock im Auftrag des Instituts für Textkritik (Heidelberg) und der Akademie der Künste (Berlin)
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
539 Seiten, 24,90 Euro

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