Ein Mann für hundert Figuren
Klaus Buhlert und Manfred Zapatka im Gespräch mit Frank Meyer · 01.09.2008
In einer Hörspielfassung von Homers "Ilias", die der Hessische Rundfunk und der Deutschlandfunk produziert haben, spricht der Schauspieler Manfred Zapatka sämtliche Rollen. Regisseur Klaus Buhlert sieht sich damit in der Tradition der griechischen Rhapsoden, die die Werke Homers monologisch vortrugen. Durch die Neuübersetzung von Raoul Schrott, auf die sich das Hörspiel stützt, seien die Figuren nah an ihn herangerückt, findet Zapatka.
Frank Meyer: "Das ist der wohl wagemutigste Versuch, ein Werk der abendländischen Literatur zu entstauben. Dieses Werk wird Epoche machen." Das hat die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" geschrieben über "Die Ilias" als Hörspiel.
Der Hessische Rundfunk und unser Schwesterprogramm, der Deutschlandfunk, haben Homers "Ilias" zum Hören gemeinsam produziert. Zwei Männer haben diesen Text in einer Neuübersetzung von Raoul Schrott zum Leben erweckt, der Regisseur und Komponist Klaus Buhlert und der Schauspieler Manfred Zapatka. Heute wird diese "Ilias" zum Hören auf Sendung gehen beim Hessischen Rundfunk.
Und Klaus Buhlert ist hier bei uns im Studio, Manfred Zapatka wiederum am Telefon. Manfred Zapatka, diese "Ilias", die hat ja über 2500 Jahre auf dem Buckel und bis vor Kurzem gab es vor allem Ilias-Übersetzungen, die sehr viel Weihe, sehr viel Ehrfurcht um dieses Werk ausgebreitet haben. Warum haben Sie trotzdem diesen Riesenberg Arbeit auf sich genommen, als einziger Sprecher diese 24 Gesänge einzusprechen? Können Sie das rational erklären?
Manfred Zapatka: Nein, das kann ich nicht. Zunächst mal, war es für mich wirklich ja ein schöner Text, den ich gerne machen wollte. Und ich hatte ja auch viel mehr Zeit eigentlich. Es waren ja Jahre eingeplant. Und jetzt geht das alles sehr schnell und es macht ja auch Spaß irgendwo.
Meyer: Und wie viel Tage haben Sie jetzt mit Klaus Buhlert, dem Regisseur, im Studio verbracht? Haben Sie mitgezählt?
Zapatka: Nein, habe ich nicht mitgezählt. Aber ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, 60, 70 oder so, ich habe keine Ahnung.
Meyer: Da wächst man zusammen. Klaus Buhlert ist hier im Studio. Hatten Sie, als Sie angefangen haben mit dieser Arbeit, eine Art Masterplan, was für eine Interpretation Sie herstellen wollten mit dieser neuen "Ilias"?
Buhlert: Nein, wir hatten natürlich keinen Masterplan bei so einem riesigen Projekt. Und man weiß auch nicht, wie man ein solches Projekt stemmen kann, darf, soll. Wir haben uns überlegt, okay, wir machen erst mal zwei Probefolgen und entscheiden uns dann für eine Grammatik, wie man dieses Wahnsinnswerk überhaupt angeht. Ob Musik, ob mehrere Schauspieler, ob ein Schauspieler, welchen Schauspieler. Und für mich war von Anfang an klar, wenn ich das machen würde, dann mit meinem alten Weggefährten Manfred Zapatka, den ich in der Arbeit sehr schätze und dessen Offenheit für solche Ideen ich gut finde. Und dann haben wir zwei Folgen Probe produziert, uns daran getastet, haben eine Art Grammatik entwickelt, die wir dann konsequent, wie das bei einem Feldzug, wie in der "Ilias" beschrieben, auch durchgeführt werden sollte.
Meyer: Sie sagen jetzt, das hat sich entwickelt. Aber muss man nicht auch eine Idee im Kopf haben, was man erzählen will mit so einem Werk heute?
Buhlert: Ich glaube, der Mythos als Symbol muss von jeder Generation neu aufgegriffen und erzählt werden. Das heißt, das sind sehr dementierte Dinge über Liebe, Hass, über Intrige, über Brutalitäten, die jede Generation für sich aufarbeiten und wiederkennen muss, sich in dieser Aufarbeitung. Und das war der Hauptaspekt. Modernität, ohne den Mythos zu vergessen, die Linearität und die Moderne nicht zu übertreiben, sondern zu sagen, die Vielschichtigkeit unseres Lebens, unserer Gefühle ist das entscheidende Moment, was auch in der Poesie der Ilias wieder zum Vorschein kommen muss.
Meyer: Manfred Zapatka, bei dem, was Klaus Buhlert dann vorhatte mit diesem Text, wie groß war Ihr Spielraum denn da noch? Stand alles in Stein gemeißelt fest, wenn Sie ins Studio kamen, oder konnten Sie Ihre Sicht auf diese ganz verschiedenen Figuren, Achilles bis Aphrodite, konnten Sie da noch was einbringen?
Zapatka: Na ja, zunächst stand gar nichts fest, das hat er ja beschrieben, der Klaus. Sondern wir haben uns erst mal wirklich im wahrsten Sinne des Wortes rangetastet. Und ja klar, das ist so ein, wie soll ich sagen, eine Wahrheitsfindung. Wir tasten uns da gemeinsam bei jedem neuen Gesang ran, und natürlich haben wir inzwischen Erfahrungswerte, aber will nicht sagen, dass es dadurch leichter wird. Jeder neue Gesang ist ein neues Abenteuer. Und es ist jedes Mal beim Anfang ein Versuch, das jetzt neu wieder so anzugehen mit aller Frische usw. Was Vorgefertigtes ist das nie. Das entsteht in der Zusammenarbeit zwischen dem Klaus und mir.
Meyer: Und bei allem Respekt vor Ihnen, Manfred Zapatka, warum haben Sie, Klaus Buhlert, sich am Ende dafür entschieden, diese ganze Ilias mit Hunderten von Figuren von genau einem Darsteller sprechen zu lassen?
Buhlert: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es sowohl ein sehr organisatorisch aufwendiges Projekt, was natürlich wesentlich einfacher wird, wenn es ein Schauspieler macht, ganz pragmatisch. Der zweite Punkt ist, dass die "Ilias" ja in aufgeschriebener Form erst seit, sagen wir mal, 2800 Jahren existiert. Davor wurde es oral weitergegeben, das heißt, es wurde von Erzählern über Generationen nur mündlich weitergegeben. Und diese Art und Weise, dass ein Rhapsode, der gegebenenfalls noch auf einer Phorminx, einer Art Lyra, an besonders dramatischen Stellen musikalische Akzente gibt, diese Art von Interpretation, die ja sehr monoton ist in der Erzählung, die aber in die Moderne hineinreicht, indem man einen Erzähler in vielfältigen Rollen erscheinen lässt und so die Vielstimmigkeit der Modernität, sozusagen beide Seiten erzeugen kann. Und das hat mich von Anfang sehr fasziniert. Und da ist es notwendig, sehr genau und sehr intensiv zu arbeiten, so genau, dass beide, der Hörer als Regisseur und der Hersteller als Schauspieler, oft Kopfschmerzen bekommen.
Meyer: Wir wollen mal einen kleinen Eindruck geben. Wir haben ein ganz kleine Probe ausgesucht, um mal hörbar werden zu lassen, wie das eigentlich klingen kann, was Sie da gemeinsam hergestellt haben. Das hören wir uns mal kurz an.
Original-Einspielung Ilias mit Zapatka: "Bist schon wieder da? Was holt Zeus übereifrige Tochter nur so schnell vom Olymp herab? Was hat sie wohl vor? Will sie ihren Griechen vielleicht ganz unerwartet noch zum Sieg verhelfen? Ich weiß, dass die Trojaner sterben, ist ihr ganz egal. Aber was würdest du denn davon halten, wenn wir das Massaker für heute beenden? Wie wäre das? Wir können doch morgen dann weiter um Troja kämpfen, wenn Hera und du es unbedingt darauf abgesehen habt, diese Stadt vollkommen in Schutt und Asche zu legen."
Meyer: Manfred Zapatka spricht "Die Ilias". Und ich rede mit dem Schauspieler und seinem Regisseur Klaus Buhlert hier im Deutschlandradio Kultur über ihre Hörspielfassung der "Ilias". Bei dieser Probe, die wir gerade gehört haben, ich konnte anfangs kaum glauben, dass das wirklich ein Darsteller ist, eben Manfred Zapatka. Gab es denn, Manfred Zapatka, bei all diesen Rollen, die Sie da sprechen, gab es Figuren, die Ihnen besonders schwer gefallen sind, die Frauenfiguren zum Beispiel?
Zapatka: Ach, die Frauenfiguren finde ich eigentlich nicht so schwer, obwohl es da immer bei uns hoch hergeht, wie man die gerade nun anlegen soll oder nicht. Ja, ja, schon. Ein großes Problem ist immer für mich so die ganz alten Leute, die da auftreten, der Nestor zum Beispiel, weil ja jede Figur so doch in einer gefassten Denkungsart bleiben muss usw. Aber bei Frauenfiguren habe ich, glaube ich, nicht so ein großes Problem. Das heißt, der Klaus sagt ab und zu, ich soll jetzt nicht die Frau spielen, was ja auch richtig ist, finde ich. Aber nein, das ist eigentlich ja sehr, was den ganzen Götterhimmel angeht, sehr spaßig und ja auch sehr schön, finde ich.
Meyer: Die Grundlage für diese Arbeit war ja eine und ist immer noch eine Neuübersetzung der "Ilias" durch den Dichter und Literaturhistoriker Raoul Schrott. Wir haben in der vergangenen Woche hier im "Radiofeuilleton" auch mit ihm gesprochen über diese Neuübersetzung. Es gibt nun Gräzisten, die diese Übersetzung ablehnen und sagen, die würde die Größe Homers beschneiden. Und es gibt da tatsächlich Stellen, in denen das Deutsch sehr von heute ist. Da ist von Weicheiern die Rede, von Saufköpfen, das heißt, das Paris und Helena sich lieben, dass die Bettpfosten wackeln. So hat man ja seinen Homer noch nie gelesen. Was würden Sie sagen, Klaus Buhlert, diese Neuübersetzung, wie würden Sie die charakterisieren und hat die auch Grenzen?
Buhlert: Wie jede Übersetzung hat natürlich auch die Schrott'sche, berührt bestimmte Grenzbereiche. Was ich an dieser Übersetzung schwierig finde, ist, dass durch die Modernität der Übersetzung eine Art Linearität in den Mythos kommt, der mir oft zu wenig vielschichtig erscheint. Das ist aber nicht eine Angelegenheit, die Schrott verursacht hat, sondern die permanent in solchen Übersetzungsproblemen, auch wenn man moderne Übersetzungen, wenn man Pynchon übersetzt oder was auch immer, gibt es diese Problematik, auch bei "Moby Dick" gibt es diese Problematik. Es war ein großer Übersetzerstreit, was "Moby Dick", was ich auch mal mit Manfred Zapatka zusammen gemacht habe.
Aber in diesem Fall muss ich sagen, ist diese Linearität sicherlich beim ersten Lesen bei mir das sehr große Problem gewesen, dass der Mythos, die Poesie, die Vielschichtigkeit an manchen Stellen beiseite gedrückt wird und dafür das plakative Element stärker in den Vordergrund kommt. Was wir versucht haben, ist in dieser Produktion, dass die Vielschichtigkeit der Ansätze, der Modernität wieder so zu relativieren, dass diese Vielstimmigkeit der Gesellschaft hineinkommt und damit auch wieder die Vieldimensionalität, die der Test ursprünglich hatte.
Meyer: Wie ging Ihnen das, Manfred Zapatka? War Ihnen diese Übersetzung in jeder Steller plausibel oder hatten Sie Schwierigkeiten?
Zapatka: Ach, ich war ja mal auf einem humanistischen Gymnasium und habe ja auch das sogenannte große Graecum.
Meyer: Sie sprechen ja auch griechisch jetzt?
Zapatka: Ja, ja, ich spreche auch griechisch. Das heißt, ja, ja, ich tue es, auch mithilfe meines lieben Freundes Peuss, der mir da sehr bei hilft. Es ist so: Als Schüler hat man größte Schwierigkeiten, zunächst mal das Ganze zu verstehen, weil es ja in Hexametern geschrieben ist und der Vers im Vordergrund steht usw.
Was ich an dieser Übersetzung spannend finde und für mich besonders gut fand, dass diese Figuren so an mich rangerückt werden, dass ich gedacht habe, schade, hättest du das früher so nah und so direkt erlebt, hättest du zum Beispiel mit der ganzen schulischen Arbeit viel mehr Freude und viel weniger Stress gehabt. Ich finde das nicht so schlimm. Ich glaube, das ist ja eine heutige Übersetzung, es muss auch eine heutige Übersetzung sein. Wir leben ja im 21. Jahrhundert. Und warum sollen wir nicht Worte oder Sätze benutzen, die nur wir heute sagen? Ich habe da nicht ein so großes Problem damit.
Meyer: Homers "Ilias" kommt ins Radio. Ab heute, genau ab 9:30 Uhr, werden die 24 Gesänge der "Ilias" beim Hessischen Rundfunk, bei hr2 zu hören sein, über den Monat September verteilt und ab Weihnachten werden 17 Gesänge dann bundesweit bei unserem Schwesterprogramm Deutschlandfunk ausgestrahlt. Und außerdem erscheint auch noch das Hörbuch mit der kompletten Ilias im September im Münchener Hörverlag. Zu verdanken haben wir das dem Schauspieler Manfred Zapatka und dem Regisseur Klaus Buhlert. An Sie beide herzlichen Dank für das Gespräch!
Zapatka: Danke schön!
Buhlert: Danke!
Die ILIAS im Radio - eine Koproduktion
Hörspiel-Ursendungen im Weihnachtsprogramm *
Der Hessische Rundfunk und unser Schwesterprogramm, der Deutschlandfunk, haben Homers "Ilias" zum Hören gemeinsam produziert. Zwei Männer haben diesen Text in einer Neuübersetzung von Raoul Schrott zum Leben erweckt, der Regisseur und Komponist Klaus Buhlert und der Schauspieler Manfred Zapatka. Heute wird diese "Ilias" zum Hören auf Sendung gehen beim Hessischen Rundfunk.
Und Klaus Buhlert ist hier bei uns im Studio, Manfred Zapatka wiederum am Telefon. Manfred Zapatka, diese "Ilias", die hat ja über 2500 Jahre auf dem Buckel und bis vor Kurzem gab es vor allem Ilias-Übersetzungen, die sehr viel Weihe, sehr viel Ehrfurcht um dieses Werk ausgebreitet haben. Warum haben Sie trotzdem diesen Riesenberg Arbeit auf sich genommen, als einziger Sprecher diese 24 Gesänge einzusprechen? Können Sie das rational erklären?
Manfred Zapatka: Nein, das kann ich nicht. Zunächst mal, war es für mich wirklich ja ein schöner Text, den ich gerne machen wollte. Und ich hatte ja auch viel mehr Zeit eigentlich. Es waren ja Jahre eingeplant. Und jetzt geht das alles sehr schnell und es macht ja auch Spaß irgendwo.
Meyer: Und wie viel Tage haben Sie jetzt mit Klaus Buhlert, dem Regisseur, im Studio verbracht? Haben Sie mitgezählt?
Zapatka: Nein, habe ich nicht mitgezählt. Aber ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, 60, 70 oder so, ich habe keine Ahnung.
Meyer: Da wächst man zusammen. Klaus Buhlert ist hier im Studio. Hatten Sie, als Sie angefangen haben mit dieser Arbeit, eine Art Masterplan, was für eine Interpretation Sie herstellen wollten mit dieser neuen "Ilias"?
Buhlert: Nein, wir hatten natürlich keinen Masterplan bei so einem riesigen Projekt. Und man weiß auch nicht, wie man ein solches Projekt stemmen kann, darf, soll. Wir haben uns überlegt, okay, wir machen erst mal zwei Probefolgen und entscheiden uns dann für eine Grammatik, wie man dieses Wahnsinnswerk überhaupt angeht. Ob Musik, ob mehrere Schauspieler, ob ein Schauspieler, welchen Schauspieler. Und für mich war von Anfang an klar, wenn ich das machen würde, dann mit meinem alten Weggefährten Manfred Zapatka, den ich in der Arbeit sehr schätze und dessen Offenheit für solche Ideen ich gut finde. Und dann haben wir zwei Folgen Probe produziert, uns daran getastet, haben eine Art Grammatik entwickelt, die wir dann konsequent, wie das bei einem Feldzug, wie in der "Ilias" beschrieben, auch durchgeführt werden sollte.
Meyer: Sie sagen jetzt, das hat sich entwickelt. Aber muss man nicht auch eine Idee im Kopf haben, was man erzählen will mit so einem Werk heute?
Buhlert: Ich glaube, der Mythos als Symbol muss von jeder Generation neu aufgegriffen und erzählt werden. Das heißt, das sind sehr dementierte Dinge über Liebe, Hass, über Intrige, über Brutalitäten, die jede Generation für sich aufarbeiten und wiederkennen muss, sich in dieser Aufarbeitung. Und das war der Hauptaspekt. Modernität, ohne den Mythos zu vergessen, die Linearität und die Moderne nicht zu übertreiben, sondern zu sagen, die Vielschichtigkeit unseres Lebens, unserer Gefühle ist das entscheidende Moment, was auch in der Poesie der Ilias wieder zum Vorschein kommen muss.
Meyer: Manfred Zapatka, bei dem, was Klaus Buhlert dann vorhatte mit diesem Text, wie groß war Ihr Spielraum denn da noch? Stand alles in Stein gemeißelt fest, wenn Sie ins Studio kamen, oder konnten Sie Ihre Sicht auf diese ganz verschiedenen Figuren, Achilles bis Aphrodite, konnten Sie da noch was einbringen?
Zapatka: Na ja, zunächst stand gar nichts fest, das hat er ja beschrieben, der Klaus. Sondern wir haben uns erst mal wirklich im wahrsten Sinne des Wortes rangetastet. Und ja klar, das ist so ein, wie soll ich sagen, eine Wahrheitsfindung. Wir tasten uns da gemeinsam bei jedem neuen Gesang ran, und natürlich haben wir inzwischen Erfahrungswerte, aber will nicht sagen, dass es dadurch leichter wird. Jeder neue Gesang ist ein neues Abenteuer. Und es ist jedes Mal beim Anfang ein Versuch, das jetzt neu wieder so anzugehen mit aller Frische usw. Was Vorgefertigtes ist das nie. Das entsteht in der Zusammenarbeit zwischen dem Klaus und mir.
Meyer: Und bei allem Respekt vor Ihnen, Manfred Zapatka, warum haben Sie, Klaus Buhlert, sich am Ende dafür entschieden, diese ganze Ilias mit Hunderten von Figuren von genau einem Darsteller sprechen zu lassen?
Buhlert: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es sowohl ein sehr organisatorisch aufwendiges Projekt, was natürlich wesentlich einfacher wird, wenn es ein Schauspieler macht, ganz pragmatisch. Der zweite Punkt ist, dass die "Ilias" ja in aufgeschriebener Form erst seit, sagen wir mal, 2800 Jahren existiert. Davor wurde es oral weitergegeben, das heißt, es wurde von Erzählern über Generationen nur mündlich weitergegeben. Und diese Art und Weise, dass ein Rhapsode, der gegebenenfalls noch auf einer Phorminx, einer Art Lyra, an besonders dramatischen Stellen musikalische Akzente gibt, diese Art von Interpretation, die ja sehr monoton ist in der Erzählung, die aber in die Moderne hineinreicht, indem man einen Erzähler in vielfältigen Rollen erscheinen lässt und so die Vielstimmigkeit der Modernität, sozusagen beide Seiten erzeugen kann. Und das hat mich von Anfang sehr fasziniert. Und da ist es notwendig, sehr genau und sehr intensiv zu arbeiten, so genau, dass beide, der Hörer als Regisseur und der Hersteller als Schauspieler, oft Kopfschmerzen bekommen.
Meyer: Wir wollen mal einen kleinen Eindruck geben. Wir haben ein ganz kleine Probe ausgesucht, um mal hörbar werden zu lassen, wie das eigentlich klingen kann, was Sie da gemeinsam hergestellt haben. Das hören wir uns mal kurz an.
Original-Einspielung Ilias mit Zapatka: "Bist schon wieder da? Was holt Zeus übereifrige Tochter nur so schnell vom Olymp herab? Was hat sie wohl vor? Will sie ihren Griechen vielleicht ganz unerwartet noch zum Sieg verhelfen? Ich weiß, dass die Trojaner sterben, ist ihr ganz egal. Aber was würdest du denn davon halten, wenn wir das Massaker für heute beenden? Wie wäre das? Wir können doch morgen dann weiter um Troja kämpfen, wenn Hera und du es unbedingt darauf abgesehen habt, diese Stadt vollkommen in Schutt und Asche zu legen."
Meyer: Manfred Zapatka spricht "Die Ilias". Und ich rede mit dem Schauspieler und seinem Regisseur Klaus Buhlert hier im Deutschlandradio Kultur über ihre Hörspielfassung der "Ilias". Bei dieser Probe, die wir gerade gehört haben, ich konnte anfangs kaum glauben, dass das wirklich ein Darsteller ist, eben Manfred Zapatka. Gab es denn, Manfred Zapatka, bei all diesen Rollen, die Sie da sprechen, gab es Figuren, die Ihnen besonders schwer gefallen sind, die Frauenfiguren zum Beispiel?
Zapatka: Ach, die Frauenfiguren finde ich eigentlich nicht so schwer, obwohl es da immer bei uns hoch hergeht, wie man die gerade nun anlegen soll oder nicht. Ja, ja, schon. Ein großes Problem ist immer für mich so die ganz alten Leute, die da auftreten, der Nestor zum Beispiel, weil ja jede Figur so doch in einer gefassten Denkungsart bleiben muss usw. Aber bei Frauenfiguren habe ich, glaube ich, nicht so ein großes Problem. Das heißt, der Klaus sagt ab und zu, ich soll jetzt nicht die Frau spielen, was ja auch richtig ist, finde ich. Aber nein, das ist eigentlich ja sehr, was den ganzen Götterhimmel angeht, sehr spaßig und ja auch sehr schön, finde ich.
Meyer: Die Grundlage für diese Arbeit war ja eine und ist immer noch eine Neuübersetzung der "Ilias" durch den Dichter und Literaturhistoriker Raoul Schrott. Wir haben in der vergangenen Woche hier im "Radiofeuilleton" auch mit ihm gesprochen über diese Neuübersetzung. Es gibt nun Gräzisten, die diese Übersetzung ablehnen und sagen, die würde die Größe Homers beschneiden. Und es gibt da tatsächlich Stellen, in denen das Deutsch sehr von heute ist. Da ist von Weicheiern die Rede, von Saufköpfen, das heißt, das Paris und Helena sich lieben, dass die Bettpfosten wackeln. So hat man ja seinen Homer noch nie gelesen. Was würden Sie sagen, Klaus Buhlert, diese Neuübersetzung, wie würden Sie die charakterisieren und hat die auch Grenzen?
Buhlert: Wie jede Übersetzung hat natürlich auch die Schrott'sche, berührt bestimmte Grenzbereiche. Was ich an dieser Übersetzung schwierig finde, ist, dass durch die Modernität der Übersetzung eine Art Linearität in den Mythos kommt, der mir oft zu wenig vielschichtig erscheint. Das ist aber nicht eine Angelegenheit, die Schrott verursacht hat, sondern die permanent in solchen Übersetzungsproblemen, auch wenn man moderne Übersetzungen, wenn man Pynchon übersetzt oder was auch immer, gibt es diese Problematik, auch bei "Moby Dick" gibt es diese Problematik. Es war ein großer Übersetzerstreit, was "Moby Dick", was ich auch mal mit Manfred Zapatka zusammen gemacht habe.
Aber in diesem Fall muss ich sagen, ist diese Linearität sicherlich beim ersten Lesen bei mir das sehr große Problem gewesen, dass der Mythos, die Poesie, die Vielschichtigkeit an manchen Stellen beiseite gedrückt wird und dafür das plakative Element stärker in den Vordergrund kommt. Was wir versucht haben, ist in dieser Produktion, dass die Vielschichtigkeit der Ansätze, der Modernität wieder so zu relativieren, dass diese Vielstimmigkeit der Gesellschaft hineinkommt und damit auch wieder die Vieldimensionalität, die der Test ursprünglich hatte.
Meyer: Wie ging Ihnen das, Manfred Zapatka? War Ihnen diese Übersetzung in jeder Steller plausibel oder hatten Sie Schwierigkeiten?
Zapatka: Ach, ich war ja mal auf einem humanistischen Gymnasium und habe ja auch das sogenannte große Graecum.
Meyer: Sie sprechen ja auch griechisch jetzt?
Zapatka: Ja, ja, ich spreche auch griechisch. Das heißt, ja, ja, ich tue es, auch mithilfe meines lieben Freundes Peuss, der mir da sehr bei hilft. Es ist so: Als Schüler hat man größte Schwierigkeiten, zunächst mal das Ganze zu verstehen, weil es ja in Hexametern geschrieben ist und der Vers im Vordergrund steht usw.
Was ich an dieser Übersetzung spannend finde und für mich besonders gut fand, dass diese Figuren so an mich rangerückt werden, dass ich gedacht habe, schade, hättest du das früher so nah und so direkt erlebt, hättest du zum Beispiel mit der ganzen schulischen Arbeit viel mehr Freude und viel weniger Stress gehabt. Ich finde das nicht so schlimm. Ich glaube, das ist ja eine heutige Übersetzung, es muss auch eine heutige Übersetzung sein. Wir leben ja im 21. Jahrhundert. Und warum sollen wir nicht Worte oder Sätze benutzen, die nur wir heute sagen? Ich habe da nicht ein so großes Problem damit.
Meyer: Homers "Ilias" kommt ins Radio. Ab heute, genau ab 9:30 Uhr, werden die 24 Gesänge der "Ilias" beim Hessischen Rundfunk, bei hr2 zu hören sein, über den Monat September verteilt und ab Weihnachten werden 17 Gesänge dann bundesweit bei unserem Schwesterprogramm Deutschlandfunk ausgestrahlt. Und außerdem erscheint auch noch das Hörbuch mit der kompletten Ilias im September im Münchener Hörverlag. Zu verdanken haben wir das dem Schauspieler Manfred Zapatka und dem Regisseur Klaus Buhlert. An Sie beide herzlichen Dank für das Gespräch!
Zapatka: Danke schön!
Buhlert: Danke!
Die ILIAS im Radio - eine Koproduktion
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