Ein kühner Versuch

Von Hartmut Krug |
Ein Geschwulst, das immer weiter wächst: Damit wird Fabrikchef Rusanov in die Krebsstation eines Provinz-Krankenhauses eingeliefert. Alexander Solschenizyns Roman "Krebsstation" erschien 1968 in Deutschland. Die Geschichte wurde jetzt vom Hans Otto Theater in Potsdam auf die Bühne gebracht.
Es ist ein wichtiger, ein kühner Versuch, Solschenizyns zweiten Roman auf die Bühne zu bringen. Wie in "Krebsstation" Menschen in einer beginnenden Umbruchszeit 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod, sich über ihr vergangenes Leben im gesellschaftlichen Machtgefüge und über ihr weiteres Leben im Angesicht des drohenden Todes zu vergewissern suchen, das atmet philosophisch-poetische Intensität.

Der Roman stellt ethische und politische Fragen, die der Leser sich selbst beantworten kann. Die Potsdamer Inszenierung nimmt dem Zuschauer mit ihrem realistischen Überdeutlichkeitsspiel aber Neugier und Nachdenklichkeit: hier wird vorgedacht und vorgemacht, ausgemalt und durchbuchstabiert. So, wenn zu Beginn weiß geschminkte Jammergestalten ein Treppenhaus bevölkern, das mit seinen Betten als Krebsstation dient. Einer übergibt sich, ein anderer weiß nicht wohin mit seiner Urinprobe. Eingehüllt wird all das von emotionaler Bedeutungsmusik.

So bieder theatralisch eindeutig bleibt Tobias Wellemeyers Inszenierung ihre gesamten dreieinhalb langen Aufführungsstunden. Wo die Figuren bei Solschenizyn auch sozial genau entwickelt werden, führt sie der Regisseur auf der Bühne eher als emotional leidende gegeneinander, - und die Musik spielt dazu. Sie vor allem verdeutlicht dem Publikum Empfindungen und Situationen, die die Schauspieler vermitteln sollten.

Insgesamt wirkt Solschenizyns (von John von Düffel allzu umfänglich für die Bühne eingerichteter) poetisch-metaphorischer Roman wie ein plakatives Erklärspiel. Wellemeyer gelingt es nicht wie in seiner Inszenierung nach Uwe Tellkamps "Der Turm", Politisches und Biografisches so durchdringen zu lassen, dass ein Gesellschaftspanorama entsteht. Und die Traumsequenzen, unter anderem mit einem Stalin als von modernen Schächern drangsalierter Jesus, oder eine Kerzen tragende Bedeutungsfigur, scheinen ebenso entbehrlich wie die Karikatur einer jungen opportunistischen Schriftstellerin.

Zu Beginn trifft ein höherer Parteikader als Sonderbehandlung fordernder ein, der trotz Halsgeschwürs behauptet, keinen Krebs zu haben. Doch der Mann (Jon Kaare-Koppe spielt ihn nicht als Monster oder Karikatur, sondern zeigt ihn in seiner erbärmlichen Normalität), der seine Karriere als Denunziant mit falschen Anschuldigungen betrieben hat, der schon im politischen Alltagsleben in seiner eigenen Realität gelebt hat, verliert im Krankenhaus seine Sonderfunktion und wird zum Menschen unter anderen Menschen.

Wenn er auf den vom Krieg gezeichneten, im Straflager fast verreckten Oleg trifft, den Wolfgang Vogler mit souverän übergenauer, wenn auch eintöniger Körpersprache als tief Leidenden und zugleich Lebenswilligen spielt, treffen zwei politische und emotionale Haltungen aufeinander. Es ist ein buntes, vor allem männliches Patientenvölkchen, das hier vielerlei Lebenshaltungen durchdekliniert und erfährt, dass es von Ärzten, die immer nur ihr Bestes wollen, genauso wie im politischen Lebensalltag fremdbestimmt behandelt werden.

In Doppelrollen stechen Roland Kuchenbuch und Christoph Hohmann hervor, während beim vorwiegend weiblichen Personal Melanie Straub als aus ihrer Verhärmtheit in vergebliche Liebe zu Oleg aufwachende Ärztin überzeugt.

Insgesamt aber leider eine zwar ambitionierte, aber allzu sehr als deutliches und theatralisch konventionelles Einverständnistheater daher kommende Inszenierung.

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