Ein Komponist verschickt seine Musik

Dieser "Notenwechsel" von Gustav Mahler ist eine spannende Zeitreise in eine Epoche, in der man Manuskripte nicht als Dateien, sondern als Unikate auf dem Postweg verschickte. Mahlers Briefe bieten einen Blick in das Schaffen des Komponisten und in die Entstehung seiner Werke.
Über Gustav Mahler ist alles gesagt - aber noch nicht von allen. Diesen Eindruck konnte man angesichts der Publikationen der Mahler-Gedenkjahre 2010/11 durchaus bekommen. Ein gutes Jahr danach erscheint nun ein Buch, das den Komponisten tatsächlich unter einem neuen Aspekt betrachtet: Im Briefwechsel mit seinen Verlegern tritt uns Gustav Mahler als Geschäftsmann entgegen.

Dass dieses Buch in einem Verlag erscheint, der normalerweise Noten veröffentlicht, ist kein Zufall: Die Wiener Universal Edition ist der Verlag der Wiener Moderne, angefangen bei Gustav Mahler über die Schönberg-Schule bis hin zur Musik unserer Zeit. Allerdings dauerte es lange, bis ein Großteil der Werke Mahlers in dieser ebenso risikofreudigen wie seriösen Partiturenreihe erscheinen konnte.

Nicht weniger als zwölf Verlage haben das vergleichsweise überschaubare Schaffen Mahlers in den zwei Jahrzehnten vor dessen Tod 1911 betreut. Meist erlosch schon nach einer Publikation das verlegerische Interesse an (oder auch die Geduld mit) diesem höchst anspruchsvollen Komponisten, dessen Perfektionismus sich bis auf drucktechnische Details der Titelblätter erstreckte ("Die Reproduktion muss jedenfalls photomechanisch erfolgen. Also: wenn von einer Zinkplatte gedruckt werden soll, muss ein vollständiges zinkographisches Clichè hergestellt werden ... "). Und das bei einem Höchstgagen einfordernden Musiker, der zwar als Dirigent und Intendant der Wiener Hofoper Erfolge feierte, sich aber als Komponist zunächst kaum durchsetzen konnte.

Explizite künstlerische Bekenntnisse sucht man in dieser Edition ebenso vergeblich wie besondere biografische Neuigkeiten: Die wichtigsten der 110 wiedergegebenen Briefe waren schon bekannt, werden hier aber in einen neuen Zusammenhang gebracht und überaus sorgfältig mit Hintergrundinformationen verbunden. Der Herausgeber Franz Willnauer ist nicht nur ein ausgewiesener Mahlerianer, der bereits zwei Briefeditionen zusammengestellt hat, sondern er ist selber vom Fach, war Mitarbeiter der Universal Edition und in führender Position bei den Salzburger Festspielen tätig. Die vorliegende Briefausgabe liest sich wie eine Sozial-, Medien- und Rechtsgeschichte der frühen Moderne, dargestellt am lebhaften Beispiel eines ihrer bedeutendsten Vertreter.

Mahlers "Notenwechsel" ist die spannende Zeitreise in eine Epoche, in der man Manuskripte nicht als Dateien, sondern als Unikate auf dem Postweg verschickte, in der Veranstalter, Agenten und Journalisten nicht mit Demo-CDs und Youtube-Trailern, sondern mit Klavierauszügen und Taschenpartituren bemustert wurden - in eine Zeit, in der die Rechte, die heutige Internetpiraten umschiffen, gerade erst definiert wurden. In der Spätphase der überlieferten Verlagskorrespondenz Mahlers findet sich ein Vertrag aus dem Jahr 1909, in dem diesem erstmals das Recht zur akustischen Reproduktion eines seiner Werke eingeräumt wurde. Der Komponist jedoch hatte keine Gelegenheit mehr, dieses Recht wahrzunehmen - und dem eigentlichen Urheber wäre es ohnehin nicht zugute gekommen: Gustav Mahler hatte hier aus zwei Suiten von Johann Sebastian Bach ein Orchesterwerk für die New Yorker Philharmoniker gemacht.

Besprochen von Olaf Wilhelmer

Gustav Mahler: Briefe an seine Verleger. Hg. v. Franz Willnauer
Universal Edition, Wien 2012, 264 S., 29,95 Euro

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