Auf Augenhöhe

Die Künstlerin Alma Mahler und der Komponist Arnold Schönberg pflegten eine über Jahrzehnte andauernde Freundschaft. Während beide gegenüber anderen Zeitgenossen sehr dominant auftraten, begegneten sie sich hier auf Augenhöhe und voll gegenseitiger Bewunderung, wie ein nun erstmals veröffentlichter Briefwechsel zeigt.
Um es vorweg zu nehmen: Arnold Schönberg gehörte nicht zur Liebhabersammlung von Alma Mahler. Und dennoch findet sich der Komponist im illustren Kreis jener Persönlichkeiten, mit denen Alma Schindler (verwitwete Mahler, geschiedene Gropius, verwitwete Werfel) auf unterschiedlichste Weisen verkehrte – darunter Alban Berg, Gerhart Hauptmann, Wassily Kandinsky, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Thomas Mann, Arthur Schnitzler, Richard Strauss... Schönbergs Bewunderung für Alma Mahler war frei von amourösen Untertönen; seine Zuneigung galt einer Frau, die als Gefährtin des vergötterten Gustav Mahler in der Wiener Moderne allerhöchste Autorität genoss – und die mit ihrer Autorität dem nicht nur finanziell bedrängten Neutöner immer wieder beisprang.

In einer Zeit, in der Schönberg wegen seiner erst frei-atonalen, dann zwölftönigen Musik von fast allen Seiten angefeindet wurde, hielt Alma Mahler unerschütterlich zu ihm. Sie unterstützte ihn über Jahre hinweg nicht nur mit Geld aus dem Erbe Gustav Mahlers, sie begleitete auch Schönbergs künstlerische Entwicklung Schritt für Schritt. Im Gegenzug gewährte ihr der Komponist Einblicke in seine neuesten Werke – ihr Urteil war ihm wichtig.

Mit der 1879 geborenen Alma Mahler und dem fünf Jahre älteren Arnold Schönberg trafen zwei extrem selbstbewusste Naturen aufeinander. Während beide gegenüber anderen Zeitgenossen sehr dominant auftraten, begegneten sie sich hier auf Augenhöhe, voll gegenseitiger Bewunderung. Er an sie: "Und kann Ihnen vor Allem sagen, dass ich glücklich bin, Ihre Achtung zu besitzen und fühlen zu dürfen, dass Sie sich für mein Schicksal interessieren." Sie an ihn (nachdem Sie ihm das "Du" angeboten hatte): "Es gibt heute auf der Welt kaum einen zweiten Menschen dem ich so mit Ehrfurcht und liebender Scheu nahe – wie gerade Dir. Ich bin Dir gegenüber unsicher wie ein Schulmädel ... "

Die erstaunliche Dimension dieser über vier Jahrzehnte andauernden, alle Wechselfälle der Zeitgeschichte spiegelnden Freundschaft zeigt sich nun im erstmals veröffentlichten Briefwechsel zwischen Alma Mahler und Arnold Schönberg. Mit einem lockeren Informationsaustausch beginnt die Korrespondenz 1904, intensiviert sich 1912 nach Gustav Mahlers Tod, erreicht ihren Höhepunkt um 1920 und währt dann mit Unterbrechungen bis zu Schönbergs Tod 1951. Die Briefe handeln zunächst meist von Schönbergs beklemmender Geldknappheit, schließen aber mehr und mehr auch künstlerische und politische Bekenntnisse sowie gegenseitige Ratschläge, etwa zum Alltag im amerikanischen Exil, ein.

Haide Tenner, Musikchefin des ORF im Ruhestand, hat die Quellen gesichtet und mit erläuternden Zwischentexten zusammengestellt. Es handelt sich um eine Leseausgabe, nicht – wie bei etlichen anderen Briefeditionen zur Wiener Moderne – um eine wissenschaftliche Arbeit.

Ohne das große Verdienst der Herausgeberin schmälern zu wollen, muss doch festgehalten werden, dass die Kommentierung nicht immer präzise ist und dass in den Transkriptionen der Briefe hin und wieder kuriose Lesefehler auftauchen. Beispielsweise steht Alban Bergs Ferienort "Tralmitten" auf keiner Landkarte: Das steirische Dorf heißt in Wirklichkeit Trahütten und hat sogar eine Straße nach Schönbergs Meisterschüler benannt ... einem Musiker, der Alma Mahler ebenfalls Briefe schrieb und ihr seine Oper "Wozzeck" widmete. Aber das ist eine andere Geschichte.

Besprochen von Olaf Wilhelmer

Alma Mahler / Arnold Schönberg: Ich möchte so lange leben, als ich Ihnen dankbar sein kann. Der Briefwechsel. Hg. v. Haide Tenner
Residenz Verlag, St. Pölten 2012, 301 Seiten, 43 Abbildungen, 24,90 Euro